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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Meine Zöglinge stehen vor meinem Fenster. Adolf wirft nasse Erdklöße an die Scheiben, Laura schneidet respektswidrige Grimassen und Edelfried, der künftige Majoratsherr, streckt die Zunge gegen mich heraus. Ja, mein Herr, die Zunge! Und ich muß zufrieden sein, wenn es dabei bleibt. Ziehen Sie daraus keine nachtheiligen Schlüsse auf meine Person, hochzuverehrender Herr! Ich bin nur als Lehrerin angestellt und darf mich in die Erziehung nicht mischen … Einer baldigen Antwort entgegensehend bin ich einstweilen, mein Herr,

Ihre  
unter dem Druck der Sklavenketten seufzende  
Adele Finnig,  
geprüfte Lehrerin.  
Groß-Woltersdorf bei M …      

      Nachschrift.
Die ‚Trübsalstropfen‘ erhalten Sie zur Einsicht, sobald ich Ihre Adresse habe.“

„Das verhüte der Himmel!“ sagte Claudius mit Inbrunst. „Aber wir könnten der armen Person vielleicht ohne Namensunterschrift eine kleine Weihnachtsüberraschung bereiten. Etwa durch Uebersendung einiger Flaschen guten, alten Weines mit der Bezeichnung: ‚Trostestropfen‘!“

„Ein hübscher Einfall! Sehen wir nun, wie es die Briefschreiberin Nummer zwei anfängt, Ihr Herz zu gewinnen. Sie schreibt Ihnen auf parfümiertem rosa Papier und in der ängstlich regelrechten Handschrift eines Schulmädchens:

,Berlin SW. 
  Geehrter Herr!
Ich bin nicht abgeneigt, mit Ihnen in Briefwechsel zu treten. Auch ich wünsche mir über alles einen interessanten Geistesverkehr mit einem Unbekannten! Schon in der Pension schwärmten wir dafür und Alma probierte es auch, als wir eines Tages ein schwungvolles Gedicht, worin sich jemand fürchterlich nach einer ‚verwandten Seele‘ sehnte, in der Zeitung fanden. Sie korrespondierten danach ein Vierteljahr, Alma und der Unbekannte; er schrieb Briefe wie ein Gardelieutenant, sage ich Ihnen. Abgrundtief poetisch! Schließlich wollte er Alma aber auch kennenlernen, und das war das Schlimme. Alma trauert noch heute um ihren schönen Traum. Ihr Seelenfreund entpuppte sich als Apothekergehilfe. Seinen Beruf hätten wir ihm indessen nicht verübelt, denn ‚Pharmaceut‘ klingt ja recht hübsch wie alle Fremdwörter. Aber, was meinen Sie, er erschien mit Zwirnhandschuhen und schiefgelaufenen Stiefelabsätzen beim Rendezvous, roch ganz abscheulich nach Baldrian und Pfefferminze und lud uns – Therese und ich hatten Alma natürlich begleitet – schließlich zu einem Glas Bier in die ‚Zelte‘ ein! Sofort Kehrt machen und den Unseligen auf immer stehen lassen, war für uns das Werk eines Augenblicks! – –

Seitdem behalfen wir uns ohne Romantik. Nun aber, da wir die Pension verlassen und uns trennen mußten, geht es doch nicht mehr so. Das Leben daheim ist schmählich öde, besonders wenn man schon seine ganze Zukunft im voraus weiß. In zwei Jahren soll ich nämlich meinen Cousin Julius heirathen, der das große Wein-Importgeschäft unter den Linden hat. Wenn es Ihnen recht ist und mir Ihre Briefe gefallen, so könnten wir uns in der Zwischenzeit einander platonisch widmen. Ihre Briefe müßten natürlich so gehalten sein, daß ich vor Alma und Therese damit Ehre einlegen kann. Ich werde sie (die Briefe!) in einer verschließbaren Kassette aufbewahren – so etwas kommt in allen besseren Romanen vor! – und an meinem Hochzeitstage unter Thränen verbrennen. Das ist so poetisch! Und es wäre doch auch zu abgeschmackt, wenn nur die Männer an diesem wichtigsten Wendepunkte des Lebens etwas zu verbrennen haben dürften!

Uebrigens hoffe ich, daß Sie weit von Berlin wohnen und niemals herkommen werden. Nicht wegen etwaiger Zwirnhandschuhe oder schiefer Absätze, sondern wegen der Romantik. Die ist gleich futsch, sobald man sich kennt! …

Lieben Sie Paul Heyse? Ich rasend. Essen Sie gern Pralinées? Ich furchtbar gern. Gehen Sie gern ins Theater? lch lasse mein Leben dafür! Wie denken Sie über Ibsen und Karl Bleibtreu? Letzterer erscheint mir weit bedeutender!

Da wäre gleich Stoff für Ihren nächsten Brief. Ich werde mir denselben am Sonnabend vor Weihnachten von der Hauptpost abholen. Bitte zu adressieren: La Rabbiata. Berlin. Hauptpostlagernd. Betty.‘“ 

Diese Epistel wirkte noch um ein gutes Theil erheiternder als die vorangegangene auf Claudius und seinen Vertrauensmann. „Der Berliner Backfisch, wie er im Buche steht,“ meinte Gerlach, „das natürliche Ergebniß einer Erziehung, bei welcher die widerspruchsvollen Einflüsse der Töchterschulen-Dressur und des eigenartigen Berliner Großstadtlebens durcheinander wirken! ‚Cousin Julius‘ wird es nicht ganz leicht haben, in diesem zweifellos reizenden Köpfchen einigermaßen aufzuräumen, da Sie aber keinesfalls wünschen werden, sich der Kleinen auf zweijährigen Accord ‚platonisch zu widmen‘, so können wir nichts weiter in der Sache thun –“

„Und gehen daher zu Nummer drei über. Ganz recht, lieber Freund. Ich beginne wahrhaftig, an dem ‚Feenreigen‘ Geschmack zu finden!“

„Hinsichtlich der dritten ‚Fee‘ muß ich Sie leider enttäuschen, wie ich sehe. Hören Sie!

  ‚Ew. Hochgeboren
geistreiches Inserat in der ‚Norddeutschen Allgemeinen Zeitung‘ enthält zwar das Wort ‚Heirath‘ nicht ausdrücklich, doch ist eine solche, wie ich mit Sicherheit annehme, des Pudels Kern und ich glaube Ihnen daher einen Dienst zu erweisen, indem ich Sie auf ein Institut hinweise, dessen segensreiches Wirken von zahllosen Glücklichen beiderlei Geschlechts anerkannt und gepriesen wird. Mein Ehevermittlungs-Bureau arbeitet mit glänzendem Erfolge für alle Kreise und verfügt stets über die Mittel, jeder, selbst der exquisitesten Geschmacksrichtung Rechnung zu tragen. An jungen Damen der von Ihnen gewünschten Gattung könnte ich zur Zeit drei Stück empfehlen:

Nr. 1, höhere Beamtentochter, Waise, Erbin einer uralten Tante, in deren Hause sie lebt. Sehr gediegen und häuslich erzogen. Fügsam und geduldig. Evangelisch. Regelmäßige Kirchenbesucherin. Brünett. Sechsundzwanzig Jahre alt.

Nr. 2, Offizierstochter; von Adel. Hoffähig. Lebt mit Mutter von deren Witwen-Pension und kleiner Stiftsrente. Vierundzwanzig Jahr alt. Auffallend schön. Blond. Fein erzogen. Zur Repräsentation geeignet. Evangelisch. Heiteren Temperaments.

Nr. 3, Rentierstochter. Mutterlos. Vater ehemals Seifensieder, möchte die Tochter gern unter die Haube bringen, um seine Freiheit besser genießen zu können. Mindestens achtzigtausend Thaler Mitgift. Gut erzogen. Etwas dick, sonst recht nett. Hochblond. Vierundzwanzig Jahr alt. Etwas sentimental und schwärmerisch. Wäre vielleicht ganz nach Ew. Hochgeboren Geschmack.

Ich kann Ew. Hochgeboren nur rathen, der Sache näher zu treten, und stehe in jeder Hinsicht zu Dero geneigter Verfügung. Geschätzte Zuschrift erbitte unter ‚Eden‘. Erstes deutsches Centralbureau für Ehevermittelung.   Berlin SW. III."

„Da haben wir’s!“ sagte Claudius lachend. „Die sündige Menschheit besitzt wieder ein Eden!“

„Und dieses versendet die Aepfel der Versuchung durch die Post, in Gestalt solcher Musterkarten moderner Even! Jedenfalls das eigenartigste Stück unserer Ernte, diese Epistel aus Eden! … Nun haben wir es nur noch mit dem vierten und letzten Briefe zu thun. Kritzelige Handschrift, unleserlicher Poststempel.

      ‚Werthgeschätzter Herr Einsender des bewußten Inserats!
Ich bin sonst durchaus nicht für so etwas. Aber man muß immer wissen, wenn man es darf, und dieses ist das erste Mal, wo es mir so scheint. Also bitte, verkennen Sie mich nicht. Es ist nur wegen der Fortbildung! Im übrigen geht es mir gut, mein Geschäft blüht und es fehlt mir ebensowenig nicht an achtbarem Umgange. Der eine Herr, wo ich meistens die Theaterbilljette von kriege, macht sich nächstens selbständig in Wollwaaren und ließ schon mehrfach etwas fallen, woraus ich auf seine Absichten schließen kann. Aber das erlauben mir meine strebsamen Anlagen nicht (mein Vater war überseeischer Reisender in Tabak!), mich hier in Krummwinkel zu vergraben, umringt von einem Erdball, den ich noch nicht kenne, und unter Leuten, die keinen Schein von einem höheren Aufschwunge besitzen! Nein! ich will auf flüchtigen Schienen die Welt durcheilen, will den Erdball kennenlernen, wenigstens da, wo er ziehvielisirt ist! Vorher aber mir eine gewisse, sozusagende Salon-Politur und etwas

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_531.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)