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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Schwerte der Römer erlagen sie, und nun zogen diese ein vielmaschiges Straßennetz über das Land und bauten feste Schanzen, sodaß Hochdämme und Hohlwege, Wälle und Warten an vielen Orten die Isarufer begleiten.

Vor dem mächtigen Ansturme germanischer Völker wichen die Römer wiederum über die Alpen zurück, und nun besiedelten die Sippen der Bajuwaren das Land, und jeder Familienvater erbaute sein Gehöfte just da, wo ihm auf sonnigem Hügel oder an sprudelnder Quelle das Plätzlein gefiel; heute noch sitzen die Nachkommen auf den weithin zerstreuten „Einöden“. Dann schritt eine Zeit der Noth und Drangsal über die Gaue: da sicherten die vornehmen Geschlechter und die Fürsten ihre Sitze und führten auf steilen Hügeln oder vorspringenden Bergnasen die festen Burgen auf, deren Thürme schutzverheißend in das Land hinausblickten, und hinter einem schirmenden Mauerringe barg sich die Bürgerschaft der neugegründeten Stadt Landshut. Emsigkeit und Fleiß brachte ihr bald Wohlstand, mit frommem Sinne und mit vereinten Kräften schuf sie Gott zu Dank, St. Martin zu Ehren und sich selbst zum Preise ein prächtiges Gotteshaus, dessen Thurm als einer der höchsten in Deutschland (er mißt 133 Meter) kühn zum Himmel ragt.

Solche Bilder steigen vor dir auf, wenn du auf den Höhen um jene lustige und luftige Hauptstadt Niederbayerns wanderst und das Auge über die liebliche Gegend schweifen läßt. Wie ein Silberband zieht der rauschende Fluß durch das weite Thal an reichen wohlgebauten Ortschaften vorbei, zahlreiche Kirchen und Schlösser schauen von den Höhen auf ihn herab, ein welliges Gelände, überwoben vom Teppiche üppiger Wiesen, fruchtprangender Ackerfluren und hochstämmiger Waldungen, breitet sich bis zum fernverschwimmenden Horizonte aus, den gegen Mittag die feinen blauenden Linien der Alpen und gegen Mitternacht und Morgen die ernsten dunklen Umrisse des Bayer- und Böhmerwaldes umsäumen. Und wenn dein Auge sich an dem herrlichen Bilde ergötzt, so tauchen wohl auch an dem oder jenem Orte die Gestalten der Vergangenheit auf und erzählen dir von ihrem Geschicke, von Lust und Leid, das ihr Herz einst ebenso empfunden wie das deine, und von dem Wechsel aller irdischen Dinge, von ihrem Aufstieg und von ihrem Niedergang.

Willst du mit mir wandern, vom glänzenden berühmten Herzogsschlosse Trausnitz ob Landshut mit den grünen Wellen der Isar einige Stunden gegen Norden? Dort am Hochgestade des rechten Ufers, entlang der kurzen Wegstrecke von einer Drittelmeile, krönen fünf alte „Burgställe“ – so heißt der Volksmund die untergegangenen Burgen – die Bergvorsprünge, der Reihenfolge nach von Süd gegen Nord: Straßburg, Sterneck, Neudeck, Schaumburg und Wolfstein. In der Anlage gleichen sie sich alle, insofern sie die zwei typischen Bestandtheile der mittelalterlichen Burgen aufweisen: die Vorburg, als Vorwerk dienend und die Wirthschaftsgebäude einschließend, und hinter ihr, durch einen tiefen Graben getrennt, die Hauptburg mit dem eigentlichen festen Baue und dem trutzigen Bergfried, das Ganze von einem oder mehreren tiefen Gräben umfangen. Längst sind die festen Thürme, sind Pallas und Kemenate spurlos verschwunden, ja wir kennen nicht einmal mehr die Namen der Edelgeschlechter, welche in grauer Vergangenheit auf diesen Burgen saßen, ausgenommen Schaumburg und Wolfstein. Nach der Schaumburg nennt sich ein Graf Heinrich, der in den Jahren 1150 bis 1160 häufig im Gefolge der bayerischen Pfalzgrafen aus Wittelsbachischem Stamme auftritt, und auf Wolfstein hauste seines Vaters Bruder Udalrich. Bald darauf erscheinen beide Burgen im Besitze der nunmehr zur Herzogswürde gelangten Wittelsbacher, und Wolfstein gewinnt den Vorrang vor der Nachbarburg, um diesen nach kurzem Zeitraume an die neue Gründung Herzog Ottos I., an Burg und Stadt Landshut zu verlieren. Zu je höherer Blüthe aber Landshut gedieh, desto mehr trat Wolfstein zurück, endlich, 1418, wurde dieses von Herzog Heinrich an Herrn Schweigker von Gundelfingen zu Leibgeding verliehen, und aus dem Jahre 1517 melden die Urkunden, daß Maurer und Zimmerleute „das Ueberzimmer und Ausladung um und um niedergelegt, desgleichen die Tächer abgebrochen“ haben, 6 Jahre später aber besteht dort bereits die „Tafern“, in welcher die Besucher heute noch labende Erquickung finden.

Zum Wirthshause ist die stolze herzogliche Burg herabgesunken; das ist das Schicksal der Mauern, in welchen die Wiege des letzten Hohenstaufen, des letzten Edelreises auf dem Stamme des glänzenden Kaisergeschlechtes, gestanden hatte! Denn hier war es, wo der unglückliche Konradin „am Montag den 25. März 1252 nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, aber näher der ersteren Stunde“, das Licht der Welt erblickte. So meldet gewissenhaft und genau eine Aufzeichnung aus gleicher Zeit von der Hand eines ghibellinischen Italieners, welche vor beiläufig dreißig Jahren zu Brüssel in einem alten Buche aufgefunden wurde. Durch diese Notiz ist dem Zwiste ein Ende gemacht worden, ob Regensburg oder Landshut oder andere Orte im Bayerlande die Ehre beanspruchen dürfen, die Geburtsstätte des ritterlichen Königssohnes zu sein, der fern von der Heimath zu Neapel unter dem Beile des Henkers verbluten mußte.

Wenig Glück lächelte dem Prinzen, auf den die stolzen Hoffnungen zweier Reiche gerichtet waren. Auf seinem Haupte ruhte niemals die segnende Hand des Vaters; denn als der heiß ersehnte Sohn geboren wurde, da focht Konrad IV. im fernen Süden für die Rechte der kaiserlichen Krone und seines Hauses. Nachdem Kaiser Friedrich II. die Augen geschlossen hatte, war König Konrad nach Italien geeilt (im Oktober 1251) und hatte seine Gemahlin Elisabeth, mit welcher er am 1. September 1246 auf der alten, nun auch in Trümmern liegenden Vohburg in Glanz und Schimmer Hochzeit gefeiert hatte, in der Obhut ihres Vaters zurückgelassen, des Herzogs Otto des Erlauchten. Mit welch’ sehnsüchtigem Verlangen mag die Fürstin ihre Blicke hinübergesandt haben zur blauduftigen Alpenkette, jenseit deren dem Könige das Auge brach, ohne daß es je den Sohn geschaut hätte! –

Die Burg Wolfstein liegt auf einer Bergnase, die sich von der Thalhöhe gegen die Sohle des Isarthales vorschiebt und mit steilgeböschten Wänden nach drei Seiten hin abfällt, während die Ostseite mit dem Lande zusammenhängt. Hier sicherten einst tiefe Gräben und eine hohe und starke Mantelmauer das Burginnere, da binnenwärts das Gelände bedeutend ansteigt und somit gegen eine dem Vertheidiger recht unbequeme Ueberhöhung Vorkehrung zu treffen war. Von den Gebäuden der eigentlichen Burg ist nichts mehr vorhanden. Ihren Umfang bezeichnen die jetzt vorhandenen Häuser: die „Taferne“ mit Stadel, Stall und Scheunen, welche im offenen Viereck den Burghof umschließen. Als die einzigen Ueberreste der vormaligen Herrlichkeit sind unter dem Wirthshause noch die alten in den Felsen gehauenen Keller vorhanden, darunter ein größerer, dessen Wölbung eine starke Säule stützt; sodann die auf den Felsenrand des Ufersteilhanges aufgesetzte, westwärts schauende Mauer von etwa 20 Metern Länge und fast 2 Metern Stärke, an und auf welcher das Wirthshaus steht und durch welche die Erdgeschoßfenster des letzteren wie Schießscharten durchgebrochen sind. An der Außenseite dieser Mauer hat der historische Verein des Kreises Niederbayern pietätvoll eine Marmortafel mit entsprechender Inschrift anbringen lassen.

Eine herrliche Rundsicht in das lachende Isarthal und weit hinaus in das Hügelland belohnt den Wanderer, der seinen Fuß auf die geschichtlich geweihte Stätte gesetzt hat. Ehe wir sie verlassen, erinnern wir uns noch daran, daß Wolfstein zur bräutlichen Morgengabe Kaiser Ludwigs des Bayern an seine zweite Gemahlin, Margaretha von Holland, gehörte, und daß dort in stiller Zurückgezogenheit Ludwigs Sohn, Otto V., Markgraf von Brandenburg, sein vielbewegtes Leben noch in schönster Manneskraft beschloß. Sein Name wurde einst mit vielem Tadel und starken Schmähungen überhäuft, aber mit Unrecht, denn der Fürst wurde das Opfer der Verhältnisse und hätte ein besseres Schicksal verdient. Hören wir seine Geschichte.

Nachdem Ludwig der Bayer den deutschen Kaiserthron bestiegen hatte, war ein Hauptziel seiner Politik die Gründung einer starken Hausmacht. Hierzu war er gezwungen, wenn er überhaupt die Krone in seinem Hause vererben wollte; allein er bewies keine politische Voraussicht und keine glückliche Hand beim Erwerb der Lande, die er für Wittelsbach gewann. Der Besitz Tirols, welches er durch die Vermählung seines Sohnes Ludwig mit Margaretha Maultasch an sein Haus gebracht hatte, war eine Lebensfrage für den Bestand des habsburgischen Gebietes, und darum ruhten die österreichischen Herzöge nicht eher, als bis das herrliche Bergland ihnen gehuldigt hatte; Holland, Seeland und Brandenburg waren durch zu große Entfernungen von den

bayerischen Stammlanden getrennt, als daß sie anders denn in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_523.jpg&oldid=- (Version vom 2.9.2023)