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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

den folgenden Gläsern die „liebe Weanastadt“ als den schönsten Fleck Erde zu feiern und den „Weaner“ als das Meisterstück der Schöpfung zu preisen, der das beste Gemüth besitzt, denn:

„’S Herz von an’ echten Weana,
Da kann ma no ’was lerna“

spielen ihnen die „Schrammeln“ vor, das geschätzteste Volksquartett, das sich auch in hohen Kreisen großer Beliebtheit erfreut, und der „Xandl“ singt es ihnen vor und der „Baron Schan’“ pfeift es ihnen vor; und der „Hungerl“ und der „Bratfisch“, die Volksbarden unter den Fiakern, fügen neues Lob in neuen Tonarten hinzu und versichern ihre Zuhörer, daß der Wiener keinen Grund hat, den Kopf hängen zu lassen:

„Immer lustig, fesch und munter,
Denn der Weana geht net unter.“

Wirklich ist auch seine Natur so geartet, daß er selbst ohne klassische Bildung stets ein gut Stück dichterischer Empfindung in seinem Gemüthe trägt. Uebermüthig rühmt das Volkslied:

„Das hat ka Goethe geschrieben, das hat ka Schiller ’dicht’,
’s is von kan’ Klassiker, von kan’ Genie.
Das is a Weana, der zu aner Weanerin spricht,
Und klingt halt doch wie lauter Poesie.“

Mit dem stolzen Gefühl, den übrigen Völkern als Muster der Vollkommenheit voranzuleuchten, kann man sich dann beruhigt der lautesten Fröhlichkeit hingeben.

Die großen Wirthschaftsanwesen, „Gschwandner“, „Stahlener“, „Mandl“, „Tökes“, die „Waldschnepfe“ in Dornbach und die ungezählten Heurigenschenken in den westlichen Ortschaften sind denn auch an Sonntagen von einer lustigen Menge überfüllt. Obwohl in den meisten Wirthschaften warme Speisen oder wenigstens „heiße Würstel“ verabreicht werden, bringen doch viele Wurst oder kaltes Geflügel mit. Hausierer bieten zum Weine süßes Backwerk oder sogenannte „Korsikanerln“ an, alte Weiber spielen Riesenkipfel aus, der „Gotscheeber“ (Südfrüchtehändler) verlost seine Ware mit dem beliebten Spiele „Grad oder Ungrad“; Blumenmädchen, Zündhölzchenjungen, Kurzwarenhändler gehen von Tisch zu Tisch – alles will leben und alles lebt.

Sind die Vororte einerseits der Sitz der lautesten und urwüchsigsten Fröhlichkeit, so sind sie andererseits auch eine Stätte des Gewerbefleißes und zahlreicher Industrien. In Währing ist außerdem ein anmuthiges Villenviertel mit reizenden Landhäusern und freundlichen Gärten entstanden. Döbling und Heiligenstadt, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Hietzing, Lainz, Speising dienen auch als Sommerfrischen.

Mit dem jüngst beschlossenen Falle der Linienwälle tritt die Entwicklung des ganzen großen Stadtgebietes in einen neuen Abschnitt ein. Die frühere Gemeinde Wien wird dadurch einen Bevölkerungszuwachs von nahezu einer halben Million erhalten. Das neue Verbrauchsteuergebiet wird fast sämmtliche im bisherigen Polizeirayon inbegriffenen Vororte und Landgemeinden enthalten. Große, weit ausschauende Pläne gehen mit dieser lang ersehnten Veränderung ihrer Verwirklichung entgegen. Der Bau einer Stadtbahn, die Ueberwölbung des Wienflusses, die Verlegung der Kasernen, die Ueberbauung der Linienwallstrecken – das alles soll möglichst bald in Angriff genommen werden. Man erhofft von diesen Unternehmungen eine großartige Blüthe der Baugewerbe, einen neuen wirthschaftlichen Aufschwung und damit die Heilung der Wunden, welche ungünstige Umstände politischer und wirthschaftlicher Art dem großen Gemeinwesen geschlagen haben.




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Leuchtbacillen.

Was aus der Bakterienlehre in die große Masse der Leser dringt, das sind in der Regel recht düstere Bilder: Cholera, Diphtheritis, Tuberkulose und wie alle diese Geißeln der Menschheit sonst heißen. Die Bakterienkunde hat es aber nicht ausschließlich mit solchen Krankheitserregern und Giftträgern zu thun; unter dem Mikroskop begegnen dem Forscher auch harmlose Kunden aus der unsichtbaren Welt, die durch ihre besonderen Eigenschaften die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich lenken. Die Betrachtung dieser Wesen zählt zu den lichteren Bildern in der Bakteriologie, und aus diesen wollen wir einige wirklich leuchtende herausgreifen und unsern Lesern vorführen: winzige Wesen, die thatsächlich Licht erzeugen.

Bevor wir jedoch näher auf die Sache eingehen, möchten wir uns erlauben, einige Worte über die Bacillen selbst zu sagen. Veranlassung dazu giebt uns eine „Depesche“, die wir jüngst in einem Provinzialblatt lasen. In derselben wurde der Welt verkündet, daß ein englischer Professor den Krebsbacillus entdeckt habe, der zu der Hefeklasse zähle. Diese „Depesche“ ist bezeichnend für die Unklarheit, in welcher noch die weitesten Kreise der Gebildeten befangen sind, soweit es sich um die Errungenschaften der noch so jungen bakteriologischen Wissenschaft handelt. Wenn in der Zeitung die Nachricht stünde, daß ein Wolf, der einen Park unsicher machte, erlegt worden sei und daß man gefunden habe, er zähle zur Familie der Enten, so würde man über eine solche Notiz lächeln. Den „Witz“ aber, der in jener Depesche sich verbarg, haben wohl die wenigsten Leser bemerkt. Die Welt derjenigen kleinsten Lebewesen, welche man mit dem Gesammtnamen „Pilze“ umfaßt, haben die Forscher in verschiedene Klassen eingetheilt. Die erste bilden die Schimmelpilze, die zweite die Sproß- oder Hefepilze und die dritte die Spaltpilze oder Bakterien. Die Bakterien sind die kleinsten einzelligen organischen Gebilde, nahe Verwandte der Algen, und zerfallen wieder in drei Abtheilungen. „Mikrokokken“ oder „Kugelbakterien“ nennt man diejenigen, die rund wie eine Billardkugel aussehen, „Bacillen“ oder „Stäbchenbakterien“ diejenigen, welche cylinderförmig wie etwa ein Bleistift sind, und „Spirillen“ oder „Schraubenbakterien“ Gebilde, die einem Korkzieher ähnlich sehen. Die leuchtenden Wesen, mit denen wir uns befassen wollen, sind Bakterien von stäbchenartiger Form oder Bacillen.

Im gewöhnlichen Leben bemerken wir oft die Thatsache, daß rohes Fleisch oder sonstige Nahrungsmittel im Dunkeln grünlich leuchten. Es ist ein Bacillus, der dieses Leuchten verursacht, und man hat ihm darum den Namen Bacterium phosphorescens, der „Leuchtbacillus“, beigelegt. Unter dem Mikroskop entpuppt er sich als ein kurzes dickes Stäbchen, das an beiden Enden abgerundet und unbeweglich ist. Dieser Leuchtbacillus ist sehr verbreitet. Das beste Mittel, um ihn ausfindig zu machen, bieten Versuche mit frischen, noch nicht vertrockneten Seefischen. Nimmt man eine Anzahl frischer Dorsche oder Heringe und bewahrt sie zwischen zwei Tellern bei einer Temperatur von etwa 15° C. auf, so bemerkt man oft schon nach 24 Stunden, daß an der Oberfläche der Fische hier und dort einige leuchtende Punkte auftreten, die mit der Zeit, etwa am zweiten Tage, die ganze Oberfläche des Thieres überziehen. Ueberlassen wir die Fische sich selbst, so tritt die Fäulniß ein, die durch andere Bakterien bewirkt wird, und mit der fortschreitenden Zunahme derselben schwindet die Erscheinung der Phosphoreszenz, die uns durch ihren grünlichen oder grünlichweißen Glanz erfreute.

Man kann aber die Leuchtbacillen in ein mit Nährgelatine gefülltes Röhrchen überimpfen und sie in demselben fortzüchten. An solchen Kulturen hat man die Lebenseigenschaften des wunderbaren Wesens näher erforscht.

Das Bacterium phosphorescenz wächst schon bei Temperaturen von 0 bis 15° C., am besten allerdings bei solchen, die zwischen 15 bis 25° C. liegen. Es entwickelt sich sowohl in sauerstoffhaltiger wie in sauerstofffreier Luft, leuchten kann es indessen nur dann, wenn es Sauerstoff verbraucht. Fertigen wir uns ein Probierröhrchen derart an, daß wir die Glaswand nur mit einer dünnen Schicht der Gelatine überziehen, so entwickeln sich die Leuchtwesen auf der ganzen Fläche und das Röhrchen leuchtet alsdann so stark, daß man beim Scheine desselben die Zeiger auf dem Zifferblatte der Uhr erkennen kann; ja es ist sogar einem der Bakteriologen gelungen, die leuchtenden Kulturen bei ihrem eigenen Glanze zu photographieren.

Bei diesen Bakterien kann man auch die künstliche Abschwächung, die ja bei den Heilversuchen mit Bakterien eine so große Rolle spielt, augenscheinlich nachweisen. Anfangs gedeihen die Leuchtbacillen ganz gut auf der Nährgelatine und die Kulturen derselben behalten mitunter monatelang ihren geheimnißvollen Glanz. Impfen wir sie aber von Generation zu Generation auf frische Nährgelatine über, so bemerken wir, daß ihnen dieser künstliche Boden nicht zusagt, daß sie ihre leuchtende Eigenschaft nach und nach einbüßen. Anfangs leuchten noch die frischen Kulturen, aber der Glanz schwindet schon nach einigen Tagen, schließlich geht die Leuchtkraft völlig verloren. Allein sie kann wieder geweckt werden; wir brauchen der Nährgelatine nur 2 bis 3% Kochsalz zuzusetzen, und die Bakterien wachsen besonders üppig und glänzen von neuem. Damit hängt es auch zusammen, daß natürliches und künstliches Seewasser sowie gekochte Fische einen trefflichen Boden für die Entstehung der Phosphorescenz bieten.

Das Meer ist überhaupt die vornehmste Heimath leuchtender Wesen und es fehlen ihm wie gesagt auch nicht die Leuchtbacillen. In westindischen Gewässern wurde von Prof. Fischer ein besonderer Leuchtbacillus entdeckt, der sich von dem soeben beschriebenen <tt<Bacterium phosphorescens wesentlich unterscheidet; er bildet ein mittelgroßes Stäbchen, welches mit lebhafter Bewegung ausgestattet ist; das Licht, welches er ausstrahlt, ist nicht grünlich, sondern bläulichweiß. Er wurde zum Unterschied von dem bereits bekannten „Westindischer Leuchtbacillus“ genannt. Wir können ihn gleichfalls in Probierröhren fortzüchten, aber er hat seine besonderen Eigenschaften; er ist ein echtes Tropenkind und gedeiht nicht in der Kühle, in welcher das Bacterium phosphorescens sich noch fortpflanzen kann. Unter 15° C. schon hört das Wachsthum des Westindischen Leuchtbacillus auf und erst bei einer Temperatur von über 30° C. beginnt er, mit voller Kraft sich zu vermehren; dann kommt auch die Erscheinung des Leuchtens am schönsten zur Geltung. „Die beste Stelle für die Beobachtung derselben,“ sagt Professor Karl Fränkel in seinem „Grundriß der Bakterienkunde“, „ist freilich die Oberfläche gekochter Fische; mit einer kleinen Menge künstlicher Kultur beimpft, wird sie rasch, in wenigen Stunden, von einem schmierig aussehenden Bakterienrasen überzogen, welcher im Dunkeln ein prachtvolles, bläulichweißes Licht ausstrahlt.“

Aber auch unseren deutschen Meeren fehlen die Leuchtbacillen nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_511.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)