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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

eisig, „wollte ich annehmen, meine Persönlichkeit werde der Fürstin Dasanoff noch so wichtig sein, daß mein Anblick sie erregen würde.“

Diese Ablehnung war so stark, daß Rahel nur schweigen konnte.

Jetzt gesellte sich auch die Gräfin zu ihnen, und Rahel sagte, daß sie sich verabschieden müßten, denn die Fürstin habe ihnen entgegengehen wollen; sie hätten sich nun zu beeilen, sie zu treffen.

Eine plötzliche Ahnung durchzuckte Clairon, aber seine Lippen blieben fest geschlossen. Doch seine Frau rief:

„Ah – das wäre drollig! Vorhin ging hier eine Dame, sie redete unsern Sohn an. Sie sah so aus – so – – und wir dachten … ach nein, wie komisch!“

Und eine kindische Verlegenheit bemächtigte sich der Gräfin, weil es ihr beinahe entfahren wäre, welche Betrachtungen Clairon und sie über jene Dame angestellt hatten.

„Die Fürstin ist sehr groß, war heute früh wenigstens in Weiß gekleidet und pflegt Hut und Gesicht dicht mit Schleiern zu umhüllen,“ half ihr Lüdinghausen.

„Sie war es!“ entgegnete die Gräfin.

Rahel blickte wie gebannt in Clairons Züge.

Was mochte alles vorgehen hinter dieser gefurchten Stirn, die sich langsam mit flammendem Roth bedeckte!

„Nicht anfassen!“ hatte sein Sohn ihr zugerufen, ihr, die er über Ehre und Pflicht hinaus geliebt.

Und seine eigenen Augen hatten sie fremd, mißtrauisch und kritisch betrachtet wie etwa eine Abenteurerin. Und kein schnellerer Pulsschlag hatte ihm gesagt: sie ist es.

Clairon begegnete Rahels Blick und bemerkte, daß diese Angen in seiner Seele forschten.

Mit einem Lächeln, vor welchem sie erbebte, fragte er im leichtesten Ton:

„Also auf heute abend bei Ehrhausens?“

„Auf heute abend!“

„Bitte, gnädige Frau, was zieht man nur an? Ich bin ganz verzweifelt,“ klagte die Gräfin. „Seit sechs Jahren haben wir Westernburg nicht verlassen – Sie begreifen, ich bin noch heute nervös, wenn ich einen Wagen besteigen soll – und jetzt habe ich keine Gesellschaftskleider mitgenommen, ich habe überhaupt keine, denn seit dem Unglück, daß unser Bodo starb, machten wir nichts mehr mit.“

Lüdinghausen begriff, daß es für Clairon nicht leicht sein mußte, solche Reden anzuhören.

Der Verstorbene und das Unglück, welches ihn hinweggenommen hatte, beherrschte also die Westernburg und ihre Bewohner; trotz des neuen Lebens, welches seit der Vermählung Clairons mit seiner Schwägerin begonnen hatte, trugen beide doch gleichsam noch immer Trauer um den Gatten und Bruder. Welches Dasein für Clairon! Er war und blieb der „Stellvertreter“.

Nun verstand Lüdinghausen weiter auch den Ton, in welchem Clairon von seinem Knaben sprach.

Dieser Knabe wenigstens war sein, war seine echte, eigenste Welt.

„Aber Gräfin,“ sagte Lüdinghausen mit fast väterlichem Wohlwollen, „wenn die Baronin sich noch so streng ‚große Toilette‘ ausbittet, so ist man auf Reisen doch nicht verpflichtet, solche zu tragen. Kommen Sie, wie Sie da sind, und Sie werden immer reizend sein.“

Ihr enges Köpfchen war befriedigt. Man mußte ihr nur eine Weisung geben, einerlei welche, dann folgte sie und fühlte sich nicht mehr verantwortlich.

Als später Lüdinghausen mit seiner Frau am Arme in der Pension ankam, in welcher sie mit Herrn von Römpker einige Zimmer des ersten Stockwerks gemiethet hatten, fand er seinen Schwiegervater in großer Erregung seiner harrend.

Herr von Römpker war noch immer sehr jugendlich und sah genau so aus wie vor sechs Jahren. Ja, er vergnügte sich jetzt viel mehr als einst, denn es bot sich ihm ungleich mehr Abwechslung. Viele Monate brachte er in Petersburg oder auf Dasanoffschen Gütern zu. Er war eng befreundet mit seinem „großen“ Schwiegersohn, aber den Hintergrund dieser Freundschaft bildete doch das Gefühl eines gewissen Abstandes, über das Römpker dem Fürsten gegenüber nie hinauskam.

Mit Lüdinghausen stand er auch sehr gut, doch hier herrschte mehr vertrauliche Kameradschaftlichkeit. Ihm berichtete er alle Geldverlegenheiten, in denen er sich recht oft befand. Denn seit er der Schwiegervater von Millionären geworden war, lebte er selbst wie ein Nabob, und hinter Rahels Rücken hatte Lüdinghausen Römpkerhof schon beliehen. Römpker nahm das sehr leicht; erstens blieb die Geschichte in der Familie und kam nicht aus, zweitens erhielt Lüdinghausen Römpkerhof ja doch einmal, wobei er freilich Lea auszuzahlen hatte, und drittens, und das war die Hauptsache, erfuhr Rahel nichts. Denn vor dieser hatte er viel Respekt, unbequem viel.

Römpker hatte von der Pensionswirthin gehört, daß gestern wieder eine Familie angelangt sei, ein Graf Clairon-Westernburg.

Vor seiner geängstigten Einbildungskraft standen nun allerlei mehr oder minder bewegte Auftritte, welche sich abspielen mußten, wenn diese beiden – Clairon und Lea – sich plötzlich begegneten. Dasanoff war zwar nicht eifersüchtig, gar nicht, sonst würde er nicht geduldet haben, daß der Großfürst Feodor Lea überallhin begleitete und auf jedem Ball neben ihr erschien, aber eine aufsehenerregende Scene, die fand er sicher gräßlich.

Römpker war gleich hingegangen, Lea zu benachrichtigen.

„Nun, und was meinte Lea?“ fragte Lüdinghausen, der schon berichtet hatte, daß er Clairon getroffen habe und daß dieser der Fürstin nicht ausweichen wolle.

„Lea kam gerade von einem einsamen Spaziergang am Strand heim,“ erzählte Herr von Römpker, „sie sah noch blässer aus als sonst. Als ich ihr mittheilte: ‚Clairon ist da und gewiß sehen wir ihn bei Ehrhausens’ erwiderte sie ganz ruhig: ‚Nun, was weiter?‘ ‚Willst Du ihm begegnen, Kind?‘ forschte ich, worauf sie versetzte, während sie langsam die Handschuhe auszog: ‚Die kleine Ehrhausen würde untröstlich sein, wenn ich nicht da wäre, ich will die gute Frau nicht betrüben.‘“

„Also laß geschehen, was will,“ beschloß Rahel die Unterredung, „wenn beide sich stark oder gleichgültig genug wissen, ist es auch besser, sie sehen sich wieder; die Welt ist zu klein, immer kann man sich doch nicht aus dem Wege gehen.“

„Ist es nicht,“ fragte sie später ihren Gatten, „als ob die beiden von einem vernichtenden Hang besessen wären, sich Auge in Auge zu schauen? Wenn nun doch die alte Leidenschaft neu erwacht?“

„Mir ist nicht bange,“ tröstete er. „Clairon hat die Flammen in seiner Brust mit fester Hand erstickt.“

Und der Abend kam.

Der Fürst und die Fürstin Dasanoff mußten sich schon entschließen, zu Fuß die kurze Strecke zurückzulegen, welche ihre Villa von derjenigen trennte, die Ehrhausens bewohnten; die zwei Häuserlängen zu fahren, wäre komisch gewesen.

Der Fürst ging im Frack mit dem Klapphut auf dem Kopfe. Ueber seine Brust zogen sich an einer feinen Kette alle seine Orden in den üblichen Miniaturnachbildungen hin. Lea trug etwas mühsam an ihrer Schleppe. Ein weißer Mantel fiel von ihren Schultern und ihr Kopf war in einen indischen Seidenshawl gehüllt.

Hinter ihnen her stolzierte der französische Kammerdiener mit Leas Fächer und dem Ueberrock des Fürsten.

Der Abend war dunkel und merkwürdig warm. Es roch nach feuchter Erde und Kartoffelkraut. Die Grillen zirpten laut.

Aus dem einzigen Hause, an welchem man vorbei mußte, drang Lichtschein und Gesang. Das nächste war schon das Ehrhausensche. Man ging auf der landwärts gerichteten Seite der Häuser entlang, und das Meer, welches so nicht sichtbar war, verrieth durch keinen Laut seine Nähe.

Völlig unbewegt ragten die schwarzen Laubmassen in die dunkle Luft. Diese abendliche Herbststille hatte etwas Beklemmendes.

Im Flur der Ehrhausenschen Villa nahm der Diener seiner Herrin Mantel und Kopftuch ab, überreichte ihr den Fächer und half ihr die Schleppe ordnen. Die Jungfer der Baronin stand voll Ehrfurcht dabei und wagte nicht, der stolzen Dame ihre Dienste anzubieten.

Dann öffneten sich die Thüren und Lea schritt am Arme ihres Gatten in das Empfangszimmer.

Die Baronin, noch immer so zierlich, niedlich und laut wie einst, begrüßte sie mit großer Freude und stellte die bunte Welt einander vor.

In der Haltung des fürstlichen Paares prägte sich das selbstverständliche Bewußtsein aus, die ersten dieses Kreises zu sein. Es waren vielleicht zwanzig Menschen da, beurlaubte Offiziere

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