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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ist, wird er fortan dagegen sein. Die Wahrheit? Die Wahrheit ist, daß ich ihm bisher etwas vorgelogen habe. Sage Du ihm das! Ich – ich – Vitus, ich ertrage die Schande nicht.“ Sie rang die Hände. Plötzlich wurde ihr Blick starr. „Aber Vitus –“ sprach sie und deutete auf die Geldkasse, die jetzt offen stand, „da hast Du ja Geld.“

Müller antwortete mit schwermütigem Lächeln, daß er sie schon gestern über Herkunft und Bestimmung dieser Gelder aufgeklärt habe.

„Ich erinnere mich,“ entgegnete sie, ohne die Augen wegzuwenden. „Wieviel nanntest Du gestern?“

„Ja, gestern waren wir reich. Aber heute wurden ein paar Dorfprinzen mündig erklärt, und fast der ganze Mammon ist ihnen ausgeliefert worden. In die sechstausend Mark, die noch vorhanden sind, theilt sich dereinst ein volles Dutzend.“

„Es sind Staatspapiere?“

„Ja.“

„Und sie bleiben in Deiner Verwahrung?“

„Wenn ich solange lebe, bis die Rangen mündig werden –“

„Dann ist die Sache sehr einfach: Du borgst bis morgen mir das Geld.“

„Liebes Kind, welcher Einfall! Nicht einmal gegen gleiche Werte austauschen könnte ich die Papiere. Die Nummern sind gebucht.“

„Aber Männchen, es handelt sich ja bloß um einen Tag. Morgen kehrt der Onkel zurück; mit dem Gelde, das Du von ihm erhältst, fahr’ ich in die Residenz und tausche die Scheine dafür ein.“

Vitus schloß die Kasse zu und erhob sich. „Liebe Ida,“ versetzte er bestimmt, „Du solltest nach Deinen Gästen sehen.“

Seine Gemahlin warf einen verzweifelten Blick auf die Wanduhr. „Excellenz kann jeden Augenblick kommen,“ schluchzte sie, „ich gehe nicht mehr hinüber, ich laufe auf und davon. Sag’ der Majorin, Helmuth, dem Präsidenten – sag’ was Du willst – meinethalben alles!“

„Aber Ida, Du kannst die Wahrheit bekennen: das Geld ist heute nicht eingetroffen, kommt morgen aber sicher.“

„Morgen? Und wenn Dein Onkel wieder sein Wort bricht?“

„Du glaubst all diese Möglichkeit und forderst das von mir!“

Sie hob stolz den Kopf. „Was verlang' ich denn Großes? Im schlimmsten Fall handelt es sich um eine Woche. Niemand außer Deinen Vorgesetzten kann Schlüssel und Einblick von Dir fordern. Noch ist kein Monat seit der letzten Rechnungsabnahme vergangen, und man hatte, wie Du erklärt hast, alles zur Zufriedenheit gefunden. Bis wieder eine Revision erfolgt, wird die Baronin Gatterburg diese Summe doch aufbringen!“

Vitus fuhr mit der Hand immer hastiger über den Scheitel.

„Du überlegst nicht, was Du verlangst!“

„Was kann nicht Liebe von Liebe verlangen!“ rief sie leidenschaftlich und brach in Thränen aus.

Diese Thränen waren furchtbar und unerträglich. Er drückte Ida plötzlich an sich, küßte sie auf die Augen, die Lippen, wandte sich dann zum Tisch, schloß auf, raffte die Papiere zusammen und gab sie ihr:

„Nimm!“ – –

(Fortsetzung folgt.)




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Drei deutsche Musiker.

(Zu dem Bilde S. 485.)

Es ist heute nicht mehr vollständig, das stolze Kleeblatt der Brüder Lachner: einer von ihnen, Franz Lachner, der älteste und musikalisch bedeutendste, ist am 20. Januar vorigen Jahres gestorben, ein 86jähriger Greis, einer der letzten, über deren Jugendtagen noch die Sonnen Beethoven und Schubert gestrahlt hatten. Der jüngste aber, Vincenz, feiert am 19. Juli d. J. seinen achtzigsten Geburtstag.

Das Städtchen Rain im oberbayrischen Kreise Schwaben und Neuburg ist der Geburtsort der Künstler: Franz wurde 1803, Ignaz 1807 und Vincenz 1811 geboren. Ihr Vater war daselbst Organist, Orgelbauer und zugleich Uhrmacher. Von elf Kindern blieben ihm acht am Leben, seine spärliche Besoldung als Organist reichte nicht entfernt aus, die starke Familie zu ernähren, und so waren die Brüder in ihrer Jugend nicht auf Rosen gebettet.

Das rastlos und streng verfolgte Ziel des auf allen Instrumenten gewandten, tüchtigen Vaters war die musikalische Erziehung seiner Kinder. Kein Tag verlief ohne Schläge; wurden die Züchtungen allzu hart, so kam wohl die Mutter herbei, um Einhalt zu thun, aber sie wurde regelmäßig mit den Worten abgewiesen: „Sei still, das verstehst Du nicht, die Stunde ist 12 Kreuzer werth.“

Mit dem fünften Jahre begann der Unterricht auf einem Klavier, das man bequem unter dem Arme forttragen konnte, mit dem achten Jahre ging es an die Orgel, und auch die Schwestern mußten an diesem Unterrichte theilnehmen – zwei Schwestern bekleideten später jahrelang besoldete Organistenämter in Augsburg und Rain – nebenher wurde der Gesang, das Spiel auf Violine, Violoncello und anderen Instrumenten geübt. Wenn die Kinder soweit herangebildet waren, nahm sie der Vater mit in die benachbarten Städte, wo sie durch kleine Konzerte, durch Musizieren in den Wirthshäusern und sogar aus der Straße ihr Brot verdienen helfen mußten. Bei einer solchen Gelegenheit geschah es auch, daß sie auf dem Nachhausewege von Augsburg nach Rain auf der Landstraße dem späteren Kaiser Napoleon III. und seiner Mutter Hortense vorspielten und von ihnen einen Louisd'or erhielten, gewiß eine seltene Ausbeute.

Der Vater Lachner starb früh und ließ seine Familie in Noth und Sorgen zurück. Indeß konnte auf der tüchtigen musikalischen Grundlage, welche er seinen Kindern gegeben hatte, mit gutem Erfolg weiter gebaut werden, so daß es den Söhnen möglich wurde, durch Verwerthung ihrer musikalischen Fertigkeiten und mit Hilfe mildtätiger Unterstützungen sogar das Gymnasium in Augsburg und das Studienseminar in Neuburg a. D. zu besuchen. Mit siebzehn Jahren sehen wir Franz nach München übersiedeln, um sich dort ganz der Musik zu widmen. Hier genoß er eine geraume Zeit lang den Kompositionsunterricht Kaspar Etts und erwarb seinen Lebensunterhalt als Kontrabassist am Isarthortheater und durch Unterrichtgeben. Im Jahre 1822 ging er ohne jede sichere Aussicht nach dem damaligen Mittelpunkt der musikalischen Welt, nach Wien, um in die Nähe des großen Beethoven zu gelangen. Freilich mußte er sich in Ermanglung der nöthigen Mittel zur Reise auf einem Floß verdingen, und so landete der Kunstjünger als Ruderknecht am Ziele seiner Wünsche. Etwas Tabak, der einzige Luxusartikel, welchen er mit sich führte, brachte ihm noch um die Hälfte seiner geringen Barschaft, da er an der Grenze wegen Schmuggel zur Strafe gezogen würde.

In Wien angekommen, fand Franz in der ersten Zeitung, die er zur Hand nahm, das Ausschreiben eines Probespiels zur Bewerbung um das Organistenamt an der protestantischen Kirche, und zwar sollte dasselbe gleich am nächsten Tage stattfinden. Lachner meldete sich und erhielt von den dreißig Bewerbern als der letzte und beste Spieler die Stelle. Bald wurde er auch durch Zufall mit Franz Schubert bekannt, und dieser führte ihn in einen Kreis hochstrebender junger Männer ein, von denen wir hier nur Moritz Schwind, Eduard Bauernfeld, Anastasius Grün, Franz Grillparzer und Lenau nennen.

Mit Beethoven, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand, kam Franz Lachner dreimal in persönlichen Verkehr; das erste Mal im Klaviersaal des Fabrikanten Streicher; das zweite Mal bei dem Komponisten und Musikschriftsteller Abbé Stadler, wo Beethoven nach der Vorstellung Lachners kurz erwiderte: „Ich hab' ihn ja schon gesehen!“; das dritte Mal suchte Lachner Beethoven in seiner Wohnung auf, wo er ihm eine seiner Kompositionen – die Sonate in A-moll für Klavier – vorlegen durfte. Beethoven las das Werk aufmerksam durch, verbesserte hie und da eine Stelle und entließ Lachuer mit freundlich ermunternden Worten.

Nicht lange darauf begleiteten Franz und Ignaz Lachner die irdischen Reste des Unsterblichen zu seiner letzten Ruhestätte. Schubert, der an ihrer Seite ging, sagte wehmütig: „Wer wird der Nächste sein?“ – Er sollte es selbst werden; schon anderthalb Jahre später, im November 1828, verstummte sein liederreicher Mund für immer.

Frauz hatte inzwischen, wie aus dem eben Gesagten zu ersehen ist, seinen Bruder Ignaz nachgezogen. Es ist überhaupt eine rührende Wahrnehmung, wie der älteste Bruder als Pfadfinder und Bahnbrecher immer vorangeht und seinen jüngeren Brüdern den Weg in bessere Stellungen ebnet. Im Jahre 1825 kam Ignaz nach Wien. Dieser hatte es schon in frühester Jugend zu einer solchen Fertigkeit im Violinspiel gebracht, daß er mit sechs Jahren ein Konzert von Pleyel wiederzugeben imstande war. Zwölf Jahre alt, hatte er sich in Augsburg durch sein Spiel die Herzen dreier wackerer Männer gewonnen, welche für die Ausbildung und Erziehung des jungen Virtuosen Sorge trugen. Wie von Augsburg nach München, so war er seinem Bruder Franz nun auch nach Wien gefolgt und hatte bald die Organistenstelle an der reformierten Kirche erhalten. Gleichzeitig wurde er Violinist des kaiserlichen Theaters am Kärntnerthor, wo sein Bruder unterdeß Vicekapellmeister geworden war.

Im Jahre 1828 rückte Franz an die Stelle des ersten Kapellmeisters vor, mit Konradin Kreutzer als zweitem zur Seite, und 1830 wurde Ignaz dritter Kapellmeister neben den beiden Genannten. Unterdeß finden wir auch den jüngsten Bruder Vincenz auf kurze Zeit in Wien; auf der Durchreise nach Posen hatte er daselbst einen dreiwöchigen Aufenthalt genommen und zu Kompositionsstudien bei seinem Bruder Franz benutzt; 1831 kehrte er zu dauerndem Ausenthalt nach Wien zurück. Ignaz folgte im gleichen Jahre einem Rufe als Hofmusikdirektor nach Stuttgart, wo er elf Jahre lang verblieb; im Jahre 1842 sehen wir ihn in gleicher Stellung in München neben seinem Bruder Franz, später in Hamburg und Stockholm und vom Jahre 1861 bis 1875 als ersten Theaterkapellmeister in Frankfurt a. M. wirken. Nachdem er hier sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert hatte, zog er sich von der öffentlichen Thätigkeit zurück. Zur Zeit lebt er, 84 Jahre alt, bei seinem Sohne Karl, Direktor der Kunstgewerbeschule zu Hannover.

Iu Wien war Franz bis 1834 verblieben; in diesem Jahr folgte er einem Rufe als Hofkapellmeister nach Mannheim, während Vincenz in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_491.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2023)