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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Die Wände des Speisezimmers waren wie alle in der Richterwohnung hoch hinauf mit Holz verkleidet, doch war hier die Vertäfelung mit Blumen- und Blätterwerk übermalt. Die Mauern oberhalb zeigten allerlei Stillleben, die, zu ihrem Vortheil, stark gelitten hatten. Ein Hängeleuchterchen von venetianischem Glas, ein Erbstück des Richters, fügte sich gut in die verblichene Pracht. Als Vitus vom Amte kam, hörte er die Stimme seiner Frau im Speisezimmer und trat deshalb sofort ein. Noch war die Morgenkühle drin, und es roch nach den Blumen, die den wohlgedeckten Tisch zierten. Ida legte eben die letzte Hand an die Tafel. Dabei sprach sie mit einem Soldaten, der stramm neben der Anrichte stand. Die rothen Bänder eines Spitzenhäubchens hoben ihre Gesichtsfarbe, das lichte Linnenkleid zeigte ihren schönen Wuchs.

„Du bist’s!“ rief sie und nickte Vitus zu. „Sieh doch – Schütz, hier fehlt ein Wasserglas – sieh doch, wie aufmerksam Helmuth ist, schickt einen Korb Wein zur Tafel und seinen Burschen zur Aufwartung!“

Vitus putzte seine Brille, setzte sie wieder auf und musterte die „Aufmerksamkeiten“ Helmuths, zunächst den Bedienten. „Ah, Sie sind es, Schütz,“ sagte er. „Sind Sie denn auch wieder mitgekommen?“

Ida antwortete für den Soldaten, daß sein Herr ihn nicht habe entbehren wollen, daß Schütz gelernter Gärtner sei und sich jetzt mit Helmuths Erlaubniß um die Verschönerung des Städtchens verdient mache. Dann schickte sie den Burschen hinaus, um anrichten zu lassen. Als sie allein waren, wandte sie sich an ihren Gemahl und sagte halblaut. „Ein Glas Wein wird Dir gut thun, denn Du weißt: um drei Uhr!“

Der Richter seufzte.

„Es muß sein,“ ermunterte Ida, „und bitte den Onkel, Dir das Geld sogleich zu geben.“

„Wird er soviel liegen haben?“

„Er, der täglich Wechselgeschäfte macht! … Der Präsident hat sich auf fünf bei mir angemeldet – soll ich ihm die Wahrheit bekennen? Willst Du mich bloßstellen?“

„Aber Ida! Punkt drei Uhr bin ich beim Onkel. Es handelt sich um Dich und Verena. Da bedarf es keines Sporns.“

Gelächter klang aus dem Nebenzimmer. „Ah, Helmuth!“ sagte der Richter, und seine Mienen wurden heiter. „So herzlich kann nur ein guter Mensch lachen.“ Rasch öffnete er die Thürflügel und rief den Kindern im Nebenzimmer seinen Gruß zu.

Als noch das Banner der Ritter von Hohenwart vom Bergfried wehte, der nun schon seit einem Jahrhundert abgetragen war, fanden in der Burg wohl genug heitere Feste und Gelage statt, aber schwerlich ein fröhlicheres Mahl als das des kleinen Kreises. Ida und das Brautpaar waren von Anfang an in glücklichster Stimmung, und Vitus Müller that es bald ihnen gleich, weil er alles zufrieden sah. „Meine Frau hat recht,“ dachte er, „ich nehme die Geldfrage viel zu schwer, einem Onkel gegenüber ist man der Neffe, der bitten darf, nicht der Beamte, der sich etwas vergeben könnte.“ Nach dem zweiten Glase lachte er mindestens ebenso herzlich wie der Lieutenant. Die Sorge blieb ausgeschlossen wie der heiße Tag, der draußen vor dem breiten Fenster lag. Zwar hatten die Forellen zu lang gekocht, und der Braten war nicht allzu zart, gleichwohl konnten die Männer mit voller Aufrichtigkeit versichern, niemals besser gegessen zu haben. Die Gegenwart einer liebenswürdigen Hausfrau machte alle Fehler der Küche gut. Als schon der Kaffee aufgetragen war und die herzliche Fröhlichkeit der Vier ihre Höhe erreicht hatte, ward Vitus auf einmal still. „Jetzt zum Onkel!“ sagte er sich, und Ida, die seine Gedanken errieth, raunte ihm unbemerkt zu: „Ja, ja, spute Dich!“

Müller ging, ohne sich zu verabschieden, doch im Vorzimmer wurde er von Verena ereilt. Sie wollte ihn den wichtigen Gang nicht ohne ein Zeichen ihrer Liebe machen lassen, umschlang ihn mit beiden Armen und küßte seine Wange.

Wie heiß war es, sobald der Richter aus dem Baumschatten der Burgstraße trat! Jetzt fühlte er den starken Wein. Auf dem verödeten Markplatz lag grell der Sonnenschein; es flimmerte vor seinen Augen und der Schweiß drang ihm aus allen Poren.

„Was treibt denn Sie bei dieser Hitze aus der Kühle droben?“ redete ihn der Bezirksarzt an, der ihm entgegenkam.

Sie schüttelten einander die Hände. „Nun, bei Ihnen ist alles wohl,“ sagte der Arzt. „Ich sah am frühen Morgen schon die Frau Baronin unterwegs. Ja, sie versteht’s, sich jung zu erhalten. Da war ich heute bei Tannhauser, der versteht’s ganz und gar nicht.“

„Ist er kränker?“

„Wenn er sich ein paar Zähne ziehen und seine Zimmer lüften läßt, wenn er sich mehr Bewegung macht und weniger Bier trinkt, ist er bald so gesund wie Sie und ich. Allein da fehlt’s! Ein größerer Querkopf ist mir noch nicht vorgekommen. Er klagt wie ein Kind und will sich nicht helfen wie ein Mann. Sie als sein Vorgesetzter sollten ihm ins Gewissen reden. Mir folgt er nicht.“

„Seine Arbeiten sind meisterhaft.“

„Aber er wird bei dieser Lebensweise nicht lange mehr musterhaft oder überhaupt nicht lange mehr arbeiten. Und nun adieu! Meine Empfehlung der Gnädigen!“

Die Stadtuhr schlug halb drei, als Vitus den Weg fortsetzte. In der Sackgasse dort hinten wohnte sein Assessor. Es war ein gutes Werk, den Einsiedler zu besuchen und im Sinne des Arztes mit ihm zu sprechen. Gedacht, gethan. In der Stube des Assessors war es heiß wie in einem Backofen. Der Leidende saß in einem schmutzigen Schlafrock und mit verbundenem Kopfe am Tisch, der mit Aktenbündeln belastet war, und diktierte dem Gerichtsschreiber in die Feder. Ein feuchtschimmernder Maßkrug stand neben dem Kranken. Im Erdgeschoß des Hauses war die Bierschenke „Zum Raben“, finster, schmutzig und nicht selten von übelberufenen Leuten besucht. Um so besser war der Ruf des Bieres, das der Wirth aus der Hauptstadt bezog. Keine städtische oder allgemein politische Frage wurde in Hohenwart so eifrig und unaufhörlich erörtert wie diejenige, ob das Schloßbräu oder das Rabenbier besser sei. Tannhauser schwur auf den „Raben“.

So klein war des Assessors Klause, daß er dem Schreiber – offenbar zu dessen innigster Freude – befehlen mußte, einstweilen in der Küche der Wirthsleute sich aufzuhalten.

„Wie geht’s, Tannhauser?“

„Schlecht, schlecht, Herr Amtsrichter. Wenn ich nicht meine Akten und nachmittags unsern Schreiber, auch dann und wann das Bier vom ‚Raben‘ hätte, würde ich mich umbringen.“

Müller gab ihm vernünftige Rathschläge, allein Tannhauser schüttelte zu allem den Kopf.

„Herr Amtsrichter,“ sagte er, „jeder kennt selbst am besten seine Natur. Der Schmerz ist rheumatisch.“

„Aber der Bezirksarzt –“

„Der Bezirksarzt! Diese Aerzte! Alles über einen Kamm! Als Jurist behaupte ich meine Persönlichkeit; mein Zahnschmerz kommt nicht von den Zähnen. Vererbung! Die Tannhauser Familie ist zu alt! – Hat man bei der Veitenbäuerin schon gepfändet?“

Der Richter stockte mit der Antwort. „N – nein. Was – was meinen Sie, wenn wir noch ein paar Tage warten würden? Vielleicht bringt sie doch das Geld zusammen. Sie kam wirklich unverschuldet ins Unglück.“

„Sie kam dazu wie ich zum Zahnweh. Ihr Mann war ein Lump, der alles vergeudete. Der Mann ist todt, aber der Gesetzesparagraph ist lebendig, wir müssen uns an die Paragraphen halten. Was ich noch sagen wollte: der Schreiber Franz, der ja leider wieder los ist, verjubelte gestern mit dem ‚Pfannen-Gide‘ im ‚Raben‘ eine Menge Geld, trat heute erst um elf zu der Arbeit an, welche ihm der städtische Straßenmeister aus Mitleid gegeben hatte, und wurde deshalb entlassen.“

„Dachte ich es doch! Schlechte Kameradschaft währt am längsten.“

„Einsperren! Den einen wie den andern. Es gibt doch Paragraphen genug für die paar Spitzbuben! Da ist zum Beispiel Paragraph achthundert – au!“ Er drückte die Hand auf die Backe. „Ach, Herr Amtsrichter, wenn ich achthundert Zähne hätte – au!“

„Ich bedaure Sie lebhaft,“ versetzte Vitus, während er die perlende Stirn trocknete, „allein Sie sollten sich bessere Luft gönnen.“

„Herr Amtsrichter, nach dem, was man von alten Ritterburgen weiß, haben meine Vorfahren in den ihrigen eher zu viel als zu wenig Luftzug gehabt. Daher mein Rheumatismus! Für

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