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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Onkel Anton!“ rief der Amtsrichter.

Der Dicke sah auf. „Servus, Neffe, grüß’ Dich!“ schnaufte er, „Baronin, Baronesse, habe die Ehre!“ Dabei hob er den Hut hoch über den Kopf, der mit dem kurzgeschorenen struppigen Haar einer schwarzen Pelzmütze ähnelte. Dann schüttelte er seinem Neffen die Hand. Dieser wußte nicht, was er inmitten der kichernden Menge, die sich über den Alten mit seinem Prachtexemplar von Hund lustig machte, zur Erwiderung des Grußes sagen sollte. Er blickte verlegen auf das Zwitterding von Bulldogge und Rattenfänger nieder:

„Wie heißt er? Azor? Ein – ein – hübscher Hund!“

„Das will ich meinen!“ bestätigte der geschmeichelte Onkel. „Aber gehen wir in den Kurgarten, diese Kleinstädter haben eine Lebensart –“

„So kommen Sie, Herr Furtenbacher,“ willigte Ida ein und zwang sich zu einem Lächeln. „Warum denn übrigens in den Kurgarten?“

„Erlauben Sie mir, Ihnen das zu erzählen, sobald wir unter uns sind,“ entgegnete Furtenbacher, „es wird die erste angenehme Viertelstunde seit meiner Ankunft sein.“

Mit diesen Worten setzte er den Hund zur Erde und bot der Frau Baronin den Arm. Einzig sie vermochte es, ihn zu einem solchen Aufgebot von Artigkeit zu veranlassen.

Im Kurgarten saß, in die Zeitung vertieft, ein einziger Gast, ein alter Herr, in Schwarz bis auf den großen Panamahut – Präsident Imhof. Nach der ersten Begrüßung stellte Ida dem Präsidenten den Onkel vor und diesem dann den Präsidenten als den Vater von Verenas Bräutigam. Diese Neuigkeit brachte denn doch auch Furtenbacher aus dem Gleichgewicht. „Und das erfahr’ ich erst jetzt?“

„Wir durften Ihnen ja beileibe nicht schreiben.“

„Aber heut auf dem Bahnhof?“

„Die schönste Nachricht verliert, wenn wir sie bei übler Laune erhalten, und mir schien, daß Sie bei Ihrer Ankunft nicht zum besten gestimmt waren.“

„O!“ fiel Furtenbacher mit Wärme ein, „eine gute Nachricht heilt die schlimmste Laune – davon bin ich das Beispiel! Meinen herzlichsten Glückwunsch!“

Vitus Müller athmete auf; nun war er überzeugt, daß sein Onkel auch den Lieutenant mit offenen Armen empfangen werde. Er wechselte mit Verena, welche das Zusammentreffen mit dem Verlobten drüben im Schloßkeller nur ungern aufgeschoben hatte, heimlich Blick und Zeichen und stahl sich dann hinweg.

Die Excellenz machte übrigens auf den Onkel weniger Eindruck, als Ida erwartet hatte. Ob Furtenbacher auch schon als Hutmacher so knorrig gewesen war, sei dahingestellt; jetzt hatte er Geld, sehr viel Geld, und zwar dank eigener Findigkeit und Ausdauer. Dies Bewußtsein steifte ihm den Nacken.

„Excellenz,“ sagte er, indem er erst den Hund auf einen Stuhl setzte, dann selbst Platz nahm, „ich freue mich, daß auch Excellenz kein Freund sogenannter Gartenfeste sind. Vollends in einem solchen Krähwinkel wie hier ist das unausstehlich. Ich kann an keinem Tisch Platz nehmen, ohne mich mit einem andern zu verfeinden. Setze ich mich zu Beamten, heißen mich die Bürgerlichen hochmüthig; halt’ ich mich zu den Bürgerlichen, grüßt mich morgen die Frau Bahnhofsinspektor nur noch mit der Nasenspitze. Ich habe die Kleinstädterei satt, ich gehe auf und davon, und wenn Excellenz mein Grundstück kaufen wollen, ich laß’ es Ihnen um ein Butterbrot.“

Frau Ida wurde ungeduldig.

„Ich weiß noch immer nicht, woher die Erregung –“ begann sie, doch der Onkel fiel ihr in die Rede.

„Das will ich Ihnen erklären. Der Azorl und ich gingen in schönstem Frieden nach dem Schloßkeller. Kaum aber waren wir dort, als die rohe Menge uns hin und herpuffte. Ich nahm den Azorl auf den Arm und sah mich nach einem gesicherten Plätzchen um. Zuletzt ließ ich mich bei einigen jungen Fremden nieder, die man auf zehn Meilen als Offiziere erkannte, obwohl nur einer seine Lieutenant-Uniform trug.“

Die Excellenz runzelte die Stirn, Mutter und Tochter wurden unruhig. Allein der entrüstete Onkel ließ sich nicht stören.

„Ich setzte mich also zu den Herren. Excellenz und die Damen werden verzeihen – das war mein erster Fehler. Kaum seßhaft, bemerkte ich, daß mein Azorl die Aufmerksamkeit des bewaffneten Jünglings erweckte. ‚Vollblut?‘ fragte er. ‚Zu dienen,‘ sag’ ich. ‚Kamerun?‘ er; ‚Apenninen,‘ ich. Denn diese Art kommt in der That nur in den Apenninen vor. Ein Wort gab das andere. Der Lieutenant blieb gelassen, ich wurde heiß – zweiter Fehler. Man sollte denken, daß die umstehenden Hohenwarter die Partei ihres Mitbürgers ergriffen hätten. Bewahre! Der platteste Witz des Lieutenants wurde mit wieherndem Gelächter belohnt, und als der Hoffnungsvolle zuletzt meinen Azorl beim Schweif nahm und so herumzeigte, war die Hölle los! Und da soll man nicht wild werden?“

Unterdessen war Vitus Müller zurückgekehrt, von Helmuth begleitet. Onkel Anton saß mit dem Rücken gegen den Eingang und war ganz bei seiner Erzählung. Den Frauen schwante ein unangenehmer Zusammenstoß.

„Lieber Onkel,“ sagte der Amtsrichter, „erlaube, Dir Verenas Verlobten vorzustellen –“

Der Onkel sprang auf, drehte sich und warf vor Ueberraschung den Stuhl um. Der Lieutenant aber bot ihm, ohne die geringste Verlegenheit oder Reue zu zeigen, lachend die Hand.

„I!“ rief er, „wir kennen uns bereits, und da ist ja auch Azor, der Wunderhund!“

Furtenbacher sah den lächelnd vor ihm Stehenden mit grimmiger Miene an, und wer weiß, welche Wendung das Gespräch genommen hätte, wenn nicht zum Glück in diesem Augenblick die Stadtkapelle drüben das Zeichen zum Aufbruch nach dem Bahnhof gegeben hätte. Die staatskluge Frau Ida drängte zum Anschluß. Auf der Straße war alles in Bewegung, der Zug ordnete sich, voran in Reih und Glied schritten die Turner und Mitglieder der Liedertafel, hinterher fluthete die Menge. Ganz Hohenwart war auf dem Wege. In den Gasthöfen, Bierhäusern und Kaffeeschenken lag das Gesinde in den offenen Fenstern, denn sie hatten keine Gäste.

Diejenigen Familien, welche sich vornehmer dünkten als der große Haufe, bildeten die Nachhut; die Richtersfamilie und ihr Anhang waren die allerletzten. Voran ging das Brautpaar, dann folgte Ida am Arm des Präsidenten, der seine Orden nicht angelegt, sondern nur den Panamahut mit einem Cylinder vertauscht hatte. Onkel und Neffe waren das letzte Paar, wenn nicht Azor, den sein Herr an einer Schnur mehr zog, denn führte, als Dritter gerechnet werden soll.

„Du zürnst doch dem jungen Mann nicht mehr?“ begann der Amtsrichter vorsichtig und bemächtigte sich des Arms seines Onkels.

„Hätte ich nicht Ursache? Wer meinen Azorl beleidigt, beleidigt mich.“

„Geh! als wir jung waren, Onkel, waren auch wir übermüthig.“

„Ich war weder Student, noch Lieutenant,“ versetzte herb der andere. „Aber reden wir nicht mehr davon! Ich schaffe die Standesvorrechte nicht aus der Welt, und Du auch nicht. Schau diese Kleinstädter! Musik, Fahnen, Stadtrath, Turnerei, Singerei! Warum? Weil Seine Hoheit an ihnen vorbeifährt!“

„Ich halte mich an das Gegebene. Der Prinz ist unser zukünftiger Fürst – weißt Du, daß der Präsident sich seiner besonderen Gnade erfreut?“

„Alle Streber richten sich auf morgen ein. Dir kann es ja lieb sein; wenn Verena den Sohn des Präsidenten heirathet, erinnert man sich vielleicht Deiner Verdienste.“

„Ich bin zu bequem, um ehrgeizig zu sein. Für mich gllt nur eine Frage: wird meine Tochter mit Helmuth Imhof glücklich? Ich glaube, ja! Er ist zwar ein flotter Bursch, aber mit tüchtigem Kern.“

„Wann soll die Hochzeit sein?“

„Im August – das heißt, die Sache hat noch einen Haken. Der Präsident ist ohne Vermögen, und die Kaution –“

Furtenbacher grinste. „Als ich seinen Cylinder im Mondschein glänzen sah, dacht’ ich sofort: auch einer, an dem Schneider und Hutmacher nur alle fünf Jahre etwas verdienen.“

Sie waren in die Vorstadt gelangt, vor Onkel Antons Haus, das in einem Garten voll Rosen lag. Furtenbacher blieb stehen und blickte zum erleuchteten Erker auf. „Meine Kathi erwartet mich zum Abendbrot; nehmt es nicht übel, ich werde mich von den andern da vorn auf französisch verabschieden.“

Dem Richter trat der Schweiß auf die Stirn, er hielt die Hand des Onkels fest. „Könnte ich morgen Dich sprechen?“

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