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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Wenn sie geht, sieht es aus, als ob ein Schilderhaus auf Rollen geschoben würde,“ äußerte sich Raimar wohl sonst. Heute kam er zu keinen kritisierenden Beobachtungen, sondern war mit einem Satz bei ihr und ergriff ihren knöchernen Arm. Er konnte sich denken, daß jenes Wort lauten würde: Lüdinghausen ist da.

„Hiergeblieben!“ rief er. „Rahel hat es befohlen!“

Fräulein Malchen gab sich Mühe, zu erröthen, natürlich vergebens.

„Bitte, fassen Sie mich nicht an.“ sagte sie spitz.

Lüdinghausen aber lauschte mit höchster Spannung.

War der Zauber, der heimliche, süße, märchenhafte, nicht mit einem Male ins Haus gekommen? Raunte und huschte, flüsterte und lachte es nicht da draußen? Ging es nicht wie ein seliges Ahnen durch die Luft? Und die alte, dunkle, verräucherte Stube, sah sie nicht auf einmal ganz geheimnißvoll aus?

Ein leichter Schritt, den er nur zu gut kannte, eilte über die Diele draußen. Christels greisenhafte Stimme sprach halblaut, er hörte Töne der Verwunderung und dazwischen ein reizendes Lachen. Es rauschte und knisterte.

Und dann plötzlich athemlose Stille, die Pause vor dem großen Ereigniß.

Es raschelte wieder an der Thür, die Klinke bewegte sich, die Thür that sich auf, und auf der Schwelle, gerade da, wo sie einst gestanden in Kummer und Noth und die erwachende Liebe in den Augen, da stand sie wieder – wie ein Engel des Lichtes, der vom Himmel hernieder gekommen ist, Frieden und Glück auf diese Erde zu bringen.

Mit ihren beiden Händen hatte sie den Schaft eines schlanken Tannenbäumchens umspannt und hielt es aufrecht vor sich hin. Sie sah mit ihren strahlenden Augen in die grünen Zweige und auf die flimmernden Lichter, die an Bändchen pendelnden Zierate und das rauschende Gold. Sie ging langsam vorwärts, mit lachendem Gesicht und doch ängstlich vertieft in die Aufgabe, ihre schwierige Last im Gleichgewicht zu erhalten.

Und mit ihr kam der Weihnachtsglanz in die verräucherte Junggesellenstube.

Die Männer wichen zurück und sahen ihr zu, ihnen war’s, als träumten sie. Dem alten feuchteten sich die Augen, der junge preßte die Lippen zusammen, damit der Jubel seines Herzens nicht laut ausbreche.

Und nun war sie am Tisch, und Christel, die ihr nachgefolgt war, half ihr das Bäumchen in den dazu bestimmten Träger stellen.

Mit einem reizenden, kindlichen Triumph wandte sich Rahel jetzt dem alten, lieben Onkel zu. Da sah sie, daß jemand neben ihm war, den sie nicht hier erwartet hatte.

„O,“ sagte sie, weiter nichts, und sie stand mit herabhängenden Armen und blickte erröthend zu Boden.

„Mein Kind!“ rief der alte Mann und schloß sie in seine Arme.

Er war übermannt von dem Liebreiz dieses Anblickes.

Lüdinghausen aber nahm wieder wie damals eine ihrer Hände und fragte leise:

„Wollen Sie mich Einsamen auch Theil nehmen lassen an Ihrem Weihnachtsfeste?“

Rahel fühlte, daß die Rührung sie zu überwältigen drohte. Doch nein, das durfte nicht sein. Sie rang tapfer dagegen. „Nicht weinen,“ dachte sie, „nicht vor ihm! Es ist ja gar kein Grund dazu vorhanden.“

Sie versuchte zu lächeln und nickte zustimmend, dann drehte sie sich mit Augen, die nicht klar sahen, weil sie in Thau standen, wieder dem Tisch zu.

Mit spitzem Zeigefinger deutete sie auf die Sachen.

„O, wie viel schöne Dinge! Wer hat Dir denn das geschenkt?“ wandte sie sich an Raimar, obgleich ihr nicht entging, daß das lauter Gegenstände für eine Dame seien.

Nun war Onkel Raimar stolz und glücklich. Er vergaß alle Bedenken über die Würdigkeit und die geschmackvolle Auswahl der Geschenke und legte ihr jeden einzelnen Gegenstand vor.

„Das sollst Du haben, und das und das. Von wem? Von mir.“

Rahel schlug die Hände zusammen.

„Wie schön, wie schön!“ rief sie.

Raimar erklärte ihr alles, dabei lachte er immer mächtig dazwischen und sah Lüdinghausen an.

Fräulein Malchen wurde von seinem lauten Wesen nervös. „Es ist nur gut,“ tröstete sie ihr jungfräuliches Herz, „daß ich ihn nicht geheirathet habe, sein Organ hätte mich getödtet.“

„Aber wo hast Du denn diese Herrlichkeiten eingekauft?“ erkundigte sich Rahel.

„Ich – hm, ich bin heimlich nach Berlin gefahren,“ sagte er und sah Lüdinghausen herausfordernd an, als wollte er fragen: „Na, kann ich nicht großartig flunkern, wenn’s drauf ankommt?“

„Onkel, Du lügst ja wie gedruckt,“ rief Rahel, die den Blick auffing und sofort den „Kommissionär“ errieth.

Sie erglühte vor Freude und ihre Hand strich liebkosend über all die kleinen Dinge, denen man es freilich zum größten Theil ansah, daß sie von einem beredten Ladeninhaber einem unschlüssigen und ungewandten Käufer aufgedrängt worden waren.

„Kannst Du aber diese Geschichten auch brauchen?“ meinte Raimar bedenklich. „Christel hat uns so angst gemacht.“

„O gewiß, gewiß!“ behauptete Rahel entzückt. Gerade die Geschenke rührten sie am tiefsten, denen sie das Bemühen und die Rathlosigkeit ansah. „Christel versteht sich doch nicht auf die hunderterlei Luxuswünsche einer jungen Dame.“

„Und der Seidenstoff? Gefällt Ihnen die Farbe?“ fragte Lüdinghausen.

Er hatte ihn ausgesucht, weil er sich genau erinnerte, daß seine Mutter ein solches Kleid zu tragen pflegte, und es hatte eine große Mühe gekostet, bis er den Verkäufern in der Seidenhandlung seinen Wunsch verständlich beschrieben hatte. Er wußte, daß es weder blau noch roth noch grün oder gelb gewesen sei, daß aber seine Mutter sehr stattlich darin ausgesehen habe. Schweißperlen waren auf seiner Stirn gestanden, und endlich fand sich die Farbe vor.

Rahel nickte zu der Frage. Wenn es Sackleinwand gewesen wäre, ihr würde auch diese gefallen haben, weil er sie ausgesucht hatte.

Fräulein Malchen hatte den Seidenstoff gleich gesehen, als sie eintrat, und sich sofort gesagt, daß das eine Farbe für ältere Damen sei. Natürlich glaubte sie daher, man wolle ihr das Kleid geben, und regte sich sehr auf, ob sie ein so intimes Geschenk annehmen könne. Nun fiel ihr eine Centnerlast vom Herzen. Nein, sie hätte es auch um keinen Preis angenommen.

„Fräulein Malchen,“ redete jetzt Raimar sie an, „ich darf mir doch wohl erlauben, heute auch Ihnen eine Kleinigkeit …“

„Aber ich bitte Sie, Sie setzen mich in tödliche Verlegenheit,“ hauchte Malchen.

Raimar stand schon vor ihr, in der einen Hand einen großartigen Fächer, in der andern ein prachtvolles Tintenfaß.

Der Fächer paßte für eine junge Ballkönigin, und auf dem Tintenfaß stand ein Amor, ein völlig unbekleideter Amor.

Fräulein Malchen gerieth in die größte Verwirrung. Ihre Augen strahlten, aber ihre Lippen stotterten.

„Von Ihnen? Diese Gaben? Mein Gott, was soll ich dabei denken?“

Rahel lachte und Lüdinghausen begriff erst jetzt, wie ungeeignet seine Wahl gewesen sei. Er sah Rahel in die Augen und sagte leise:

„Wir Männer sind doch ganz ungeschickt ohne eine leitende Frauenhand.“

„Wo ist denn die Kiste von den Meinigen?“ fragte Rahel. „Auf diese bin ich ja eingeladen worden. Alles andere ist gegen die Abmachung.“

„Die Kiste steht im Eßzimmer. Ich meinte, Du packest sie vielleicht erst auf Römpkerhof aus.“

„O nein!“

Rahel ging rasch an die Thür, Fräulein Malchen hastete ihr nach.

„Bitte recht sehr,“ sagte Raimar, „sollen wir Männer hier allein die Lichter bewachen? Fräulein Malchen spielt eine Partie Bésigue mit mir, ich rechne darauf. Lüdinghausen kann beim Auspacken helfen.“

Seufzend ergab sich Malchen in diese Einsamkeit zu Zweien neben dem brennenden Tannenbäumchen.

Lüdinghausen folgte Rahel, die in der Thür zum Eßzimmer stand und den Blumenflor auf der kleinen Tafel überblickte. Wie im tiefsten Winter diese Fülle von Maréchal Nielrosen, von Maiblumen und Hyazinthen hierher kam, konnte sie leicht errathen. Sie war sich bewußt: das war sein Festgruß an sie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_466.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)