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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Tausend Meter über München.
Nach dem Gemälde von Th. Pixis.


„Und wenn sie uns auch auslacht! Sie sieht doch den guten Willen! Und noch einmal, Raimar, daß Sie nicht verrathen, ich sei Ihr Kommissionär gewesen.“

Die Dunkelheit brach herein, die durch den Schnee, der hoch und rein draußen lag, in langer Dämmerung verzögert worden war. Rings am Hause wurden an den Fenstern des Erdgeschosses die Läden vorgeschraubt.

Die beiden Männer saßen in stiller Erwartung da und rauchten, ohne daran zu denken, daß dies kein hübscher Empfang für die Damen sei und daß die Weihnachtsbescherung zwischen ihnen auf dem Tisch den Tabakgeruch in sich einziehen werde.

Draußen klingelte ein Schlitten, er hielt vor dem Hause. Raimar ging hinaus.

Der andere blieb mit pochendem Herzen im Zimmer und horchte. Er hörte lachen und eine liebe Stimme, die sagte:

„Untersteh’ Dich nicht, die Thür aufzumachen! Geh’ rasch in Deine Stube! Da mußt Du warten, bis ich komme. Hier, Malchen kannst Du mitnehmen!“

Gleich darauf erschien Raimar wieder, und zwar mit Malchen, die Pelz und Hut hatte draußen lassen müssen und nicht einmal erst im Spiegel nachsehen konnte, ob ihr Scheitel auch glatt sei und ihre Halskrause ordentlich sitze.

Aus dem Entsetzen hierüber fiel Malchen sofort in ein anderes.

Da saß Lüdinghausen. Das war unerhört! Diesen Mann, in welchem Malchen den Todfeind ihrer Freunde sah, diesen Mann einzuladen, hatte Raimar die Taktlosigkeit gehabt!

Sie grüßte steif und nahm auf einer Stuhlecke Platz. Sie hüstelte und wehte sich den Cigarrendampf weg. Alles an ihr war Abwehr: Abwehr gegen diese „Höhle“, in welche man sie geschleppt hatte, Abwehr gegen den taktlosen Hausherrn und den noch taktloseren Lüdinghausen, der seine Person einer Römpker unter die Augen zu bringen wagte.

Dabei bemerkte Raimar nicht einmal, daß der Husten dem Rauch galt. Er erzählte, daß Rahel nur ihr Näschen durch die Thür gesteckt und strengen Befehl gegeben habe, sie draußen nicht zu überraschen.

Malchen erkundigte sich, ob Briefe aus Wiesbaden gekommen seien.

„Brief aus Paris. Kistchen noch aus Wiesbaden. Hier ist ein Brief für Sie!“

Malchen griff nach dem Brief von ihrer lieben Alide wie nach einem rettenden Schutzmittel.

„Sie erlauben?“ fragte sie mit einer steifen Art von Verbeugung.

„Lesen Sie nur immerzu!“ entgegnete Raimar vergnügt.

„Ich muß nothwendig ein Wort mit Rahel sprechen,“ sagte sie plötzlich und strebte der Thür zu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_465.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2023)