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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Größe. Diese Fläche ist umgrenzt auf drei Seiten von fünf Meter hohen Glaswänden in Eisentragkonstruktion mit Holzsprossen, während nach Norden hin eine einfache Bretterwand den Schutz der Kulturfläche bildet. Ein flaches, wenig geneigtes Glasdach schließt den Weinberg nach oben ab. Eine Heizvorrichtung wurde anfänglich nicht eingelegt, dann aber im nassen Sommer und Herbst nachgebaut, um auch den Feuchtigkeitsgehalt der Luft regeln zu können. Wärme braucht dem Weinberge auf künstlichem Wege nicht zugeführt zu werden, denn schon die Wirkung der einfachen Verglasung erhöht die Innentemperatur um 8 bis 10 Grad. Im Innern enthält der fast quadratische Kastenbau zwölf eiserne Doppelspaliere von 4,5 bis 5,0 Metern Höhe, welche gleichzeitig das Dach tragen. An diesen Spalieren gedeihen in einfachem Längsschnitt – „Vertikal-Cordonform“ sagt der Deutsche – 360 Weinstöcke der edelsten Sorten: Riesling, Traminer, Muskateller, Spätburgunder, deren Setzlinge aus den besten Lagen bezogen wurden.

Das Erdbeet, in welchem die Reben wurzeln, ist 1,2 Meter tief und ruht auf einer 25 cm hohen Schuttlage; in dieser aber liegt ein Netz von Drainröhren, welches durch senkrechte Aufsatzrohre mit der oberen Luft und einem Zugschornstein in Verbindung steht. Durch diese Vorrichtung wird die erwärmte Luft in den Untergrund gesaugt, welchen sie durchlüftet und erwärmt. Der ursprünglich schwere Lettenboden dieses Weinberges ist durch reichliche Zufuhr von Sand, Kalk, Bauschutt, Dungstoffen und Salzen locker, durchlässig und fruchtbar gemacht worden. Selbstverständlich kann man durch Zufuhr zerkleinerter Gesteine, Schiefer etc. jede beliebige Bodenmischung herstellen. Bewässert wurde der Weinberg anfänglich durch 36 Brausen, welche an Gummischläuchen von den Wasserleitungsröhren herabhingen, da aber selbst dieses praktische Spritzverfahren immerhin noch eine erhebliche Arbeit erheischte, so ahmte Haupt den Naturvorgang nach und erfand eine Regenvorrichtung, durch welche, nach Aufdrehen eines einzigen Hahnes, in wenigen Minuten der ganze Weinberg in einen dichten Nebelsprühregen eingehüllt wird, den man beliebig lange sich ergießen lassen kann.

Dieser Regenapparat ist ein wahres Columbus-Ei. Einen Meter unter dem Weinbergsdache laufen nämlich über den Rebspalieren kupferne Wasserleitungsrohre, welche oben in Entfernung von je einem halben Meter fein gelocht sind. Die hier austretenden feinen Wasserstrahlen treffen gegen kleine Siebe aus Drahtgaze, die 25 cm über der Spritzöffnung stehen, und werden bei diesem Durchgange in einen wirklich nebelartig feinen Sprühregen aufgelöst, ohne daß Schlagfalltropfen entstehen, welche den Boden festschlagen oder auslaugen.

Ein Weinberg unter Glas.
Nach einer Zeichnung von E. Schmidt.

Die in so nachdrückliche Pflege genommenen Reben wuchsen geradezu wunderbar, und schon 1885 konnte Haupt den ersten Wein aus seinem Weinberge keltern. Die Trauben waren in dem künstlichen Klima zur vollen Edelreife gediehen und gaben einen Most, dessen Zuckergehalt höher als der von Johannisberg und Aßmannshausen war, während die Säureprozente geringer als in den meisten Erzeugnissen des Rheingaues blieben. 1886 brachte eine tüchtige Ernte und 1887, welches im übrigen zu den schlechtesten Weinjahren gehörte und am Rhein stellenweis gar keinen oder nur ganz geringwerthigen Wein gab, lieferte im Hauptschen Weinberge einen zarten, normalen Most. Das Mostgewicht der besten Rheinweine liegt zwischen 90 bis 115° der Mostwage, die Hauptschen Weine hatten 95 bis 115° bei 0,55 bis 0,62° Säure, während der Johannisberger 0,45 bis 0,72° Säure hat. In der Zwischenzeit haben die „Haupt-Weine“ ihre Lagerreife durchgemacht und sich zu hochedlem Getränke entfaltet, welches von erfahrenen Weinprüfern als etwas hervorragend Gutes anerkannt wird.

Aber selbst wenn dieses Ergebniß nicht erreicht würde, wenn nur ein einfacher, guter Tischwein in den Hauptschen Weinbergen gekeltert werden könnte, wäre Haupts Zweck erreicht: ein gutes Volksgetränk billig liefern zu können.

In dem Weinberge in Brieg liefert das Ar Grundfläche bei normaler Ernte vier Hektoliter Wein, da die Höhe der Reben und ihr Massenansatz ein ganz anderer ist als im Freien. Nach Anrechnung aller Kosten des Hausbaues, der Arbeit, der Dungstoffe, der Bodenrente, des Tilgungsbetrags, der Kellerbehandlung etc. stellt sich der Selbstkostenpreis des Liters Wein für Haupt auf noch nicht volle sechzig Pfennig. Hierzu kommt aber, daß unter diesen Anbauverhältnissen jedes Jahr eine sichere Ernte ergiebt, auch wenn draußen der Winzer seine mühsam erzogenen Trauben halbreif keltern oder im Frost verderben lassen muß. Im Hauptschen Weinberge giebt es keine Spätfröste, welche die Blüthe ruinieren, keine Dürre, welche die Beeren austrocknet, keine Nässe, welche sie am Stocke faulen läßt, alles geht programmmäßig nach dem Willen des Pflegemeisters. Der junge Trieb beginnt schon einige Wochen eher als im Freien, und im Herbst kann die Beere ihre volle Edelfäule am Stock erlangen. Der Schrecken des Weinbaues aber, die Reblaus, ist im Hauptschen Weinberge ein machtloser Schatten, denn im Nothfalle ist die Kulturfläche spielend unter Wasser gesetzt.

Je nach den Sorten, welche gebaut werden, kann die Kultur große Massen billiger Weine liefern oder die edelsten Qualitätsweine zum Verschnitt minderwerthiger Landweine. Jeder Ertrag wird dabei leicht noch durch Zwischenkulturen erheblich erhöht. In den Hauptschen Weinbergen steht zwischen je zwei Reben eine Rose, welche von März bis Mai ihre Blüthen als Marktware liefert, und Bohnen geben einen gleichfalls nicht zu unterschätzenden Nebenertrag. Jeder Boden, gleichviel ob Sand oder Lehm, ist nunmehr für die Weinkultur ausnutzbar. Er wird durch Be- und Entwässerung, durch Zufuhr des nöthigen Dungstoffes in urbare Fläche umgewandelt. Sonst fast werthlose Strecken werden es, besonders wenn der Anschluß an schon vorhandene Wasserleitungen möglich ist, zu hohen Renten bringen, und selbst theuere Böden in der Nähe größerer Städte geben einen Ertrag, wie ihn vorläufig keine andere Anlage zu geben vermag.

Die Weinbergskultur unter Glas hat so große und einleuchtende Vortheile, daß sie sich rasch Bahn brechen wird. Die Anlagen sind einfach, nicht übertrieben theuer, die Arbeit im Weinberge ist eine verhältnißmäßig viel geringere und billigere als im Freien, und die Kellerkosten sind dieselben.

Die neue Idee der Hauptschen Weinberge ist kein Phantasiebild, sondern das Ergebniß eines kühl rechnenden, sicher denkenden Geistes, so sonderbar sie auch im ersten Augenblick erscheint, so sehr sie auch zu Verketzerungen und zum Bespötteln verleitet. Sie ist der allein sichere Weg, dem übermäßigen ungesunden Schnapsgenuß entgegenzuwirken, indem sie billigen guten Wein liefert. Kleinigkeiten werden ja noch verbessert werden, aber der Gedanke selbst ist gut und klar auf dem allein sicheren Boden des Versuches nunmehr durchgeführt. Wenn es im bekannten Liede heißt:

„Denn um zu trinken solchen Wein,
Muß man geborner Schlesier sein“,

so wird der „Haupt-Wein“ die Welt in kurzer Frist belehren, daß Schlesien ein wirkliches Weinland ist, in welchem der Winzer Regen und Sonnenschein nach Belieben regelt. Haupts Idee wird nicht bloß die Weinberge der deutschen Ordensritter wieder beleben, sondern sie wird auch auf jetzt fast werthlosem Oedland die edelste Kulturpflanze ziehen und eröffnet der Gärtnerei und der Landwirthschaft ein neues, sicheres Erwerbsfeld.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_455.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2023)