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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ohne Worte. Er fand es selbstverständlich, daß seine Frau die erste Rolle spielte, daheim und überall. Sie stellte ihn völlig in den Schatten, doch er fühlte sich in diesem Schatten geborgen.

Ida gewann ihrem bescheidenen Lose bald die heitere Seite ab. Als Oberstin hatte sie mit ihrem Aufwande groß gethan, jetzt flunkerte sie mit ihrer Sparsamkeit. Das eine machte ihr genau soviel Vergnügen wie das andere. Auch sie entging dem Schicksal aller Zuzügler in einer Kleinstadt nicht: sie wurde von denjenigen angefeindet, von welchen sie es am wenigsten erwartet hätte. In Hohenwart lebte ein Major a. D. namens Langbein; wegen eines Fußleidens trug er Filzschuhe, schon das machte ihn harmlos. Seine Frau dagegen galt als die böseste Zunge im Städtchen, man nannte sie den Drachen von Hohenwart. „Der Kampf mit dem Drachen“ gehörte bald zu den Lebensaufgaben der Baronin. Wenn ein Unerfahrener die beiden Damen in der allerhöflichsten, ja in zärtlicher Weise mit einander verkehren sah, hielt er sie sicherlich für Freundinnen; in Wahrheit war jede Begegnung der beiden eine Schlacht. In der Regel blieb der Sieg bei der schneidigen Baronin.

Alles in allem war Ida mit ihrer neuen Heimath zufrieden. Nur die Abwesenheit der bewaffneten Macht trübte ihr Glück. Das Gesuch um eine Besatzung, das der Gemeinderath von Zeit zu Zeit an das Kriegsministerium richtete, wurde von ihren heißen Gebeten begleitet. Leider hatte entweder die Baronin keinen Einfluß im Himmel oder der Himmel keinen Einfluß auf den Kriegsminister, das Militär kam nicht. Und damit ward Frau Ida besonders im Blick auf ihre Tochter um eine Hoffnung ärmer. Denn das stand fest bei ihr, daß nur ein angehender General würdig sei, einen Schatz wie ihre Verena heimzuführen. Das Kind war herangewachsen und besaß alle Reize eines jungen Mädchens, ja einen Zauber mehr: bei aschblondem Haar hatte sie dunkle Brauen und Wimpern. Auch ihre Augen schienen schwarz zu sein; wer den Blick tiefer darein versenkte, entdeckte, daß sie blau waren, blau wie der Gardasee an seinen schönsten Tagen. Männer machten diese Erfahrung nicht ohne Gefahr. Manchen erinnerte die ganze Erscheinung an Bilder der venetianischen Schule; jugendliche Enthusiasten fanden sie einfach unvergleichlich, da sie zu ihrer Schönheit hin herzensgut, heiter und natürlich war.

Endlich, im fünften Jahre der richterlichen Ehe, zeigte sich das ersehnte Segel: nach Hohenwart kam zwar keine Besatzung, aber ein Lieutenant. Unerwartet trafen eines Tages Seine Excellenz der Präsident a. D. von Imhof und sein Sohn Helmut, Premierlieutenant im Regiment „Erbprinz“, im Kurhaus ein. Der Präsident war ein Studienfreund des Amtsrichters, den er tief unter sich gelassen hatte. Dafür sah er allerdings noch um zwanzig Jahre älter aus als Vitus Müller. Er machte mit seinem Sohne einen Anstandsbesuch im Schloß, war eisig gegen den Freund, um so aufmerksamer gegen Mutter und Tochter. Namentlich die Baronin machte Eindruck auf ihn, und da es seinem Sohne mit der Baronesse ähnlich erging, so entspann sich ein reger Verkehr von Haus zu Haus. Ida zeigte nicht die geringste Ehrfurcht vor dem Präsideuten; eben deshalb fand er sie „außerordentlich“. „Wie kommt der einfältige Müller zu dieser Frau?“ fragte er sich.

Müller war von seinen Vorgesetzten nie verwöhnt worden. Wenn sie ihm Aufmerksamkeit schenkten, war es nicht in freundlichem Sinne. Auch vom Präsidenten hatte er besondere Liebenswürdigkeit nicht erwartet und trug daher an dessen kühler Herablassung nicht schwer. Er gab dem Freunde seinen Titel und Auskunft, wenn er gefragt wurde, aufdrängen mochte er sich nicht. Dagegen schloß er den Sohn ins Herz. Dieser Helmuth war ein hübscher brauner Junge, weder Dichter noch Denker, nicht einmal musikalisch, aber frisch und muthig, Soldat mit Leib und Seele. Und da vorläufig Soldaten noch nöthig sind, so konnte man dem Fünfundzwanzigjährigen eine glänzende Zukunft voraussagen. Für Verena verknüpfte sich mit dem ritterlichen Eindruck, den Helmuth auf sie machte, die Erinnerung an ihren verstorbenen Vater, und dieser Umstand erleichterte den Sieg, den der junge Krieger rasch über ihr jungfräuliches Herz davontrug.

Frau Ida las im Gemüth der Tochter besser, errieth die Gefühle auch des Lieutenants früher als das Mädchen selbst. Obgleich sie über ihre Entdeckung mehr als glücklich war, verhielt sie sich doch mäuschenstill und wartete, bis die Gluth in Flammen ausbrechen werde.

Eines Abends hatte man in großer Gesellschaft einen Ausflug nach dem nächsten Wäldchen gemacht; die jungen Herren – der Referendar mit dem blonden Schnurrbart war auch dabei – überboten einander an Liebenswürdigkeit und gesellschaftlichen Talenten, die Mädchen waren munter wie Sperlinge und sangen dennoch im nächsten Augenblick die allerschwermüthigsten Lieder. Die Luft war weich und würzig, als man zum Heimweg aufbrach; und als der Mond unter Gewölk verschwand, blitzten Tausende von Johanniskäfern in den feuchten Wiesen auf. Verena trug einige Blumen an der Brust, in die Kelche hatte sie Leuchtwürmchen als Diamanten gesetzt. Helmuth ging neben ihr; anfangs waren sie überaus gesprächig, dann verstummten beide. Und doch war Verena der Weg nie so kurz geworden; zu ihrer Ueberraschung fand sie sich plötzlich daheim und mit den Eltern allein, der Stiefvater sagte gähnend gute Nacht. Dann kam der große Augenblick für die Baronin. Nach wenigen Fragen hing Verena an ihrem Hals und schluchzte.

„Bist Du ihm denn gut, ernsthaft gut?“

Verena nickte.

„Und er Dir auch?“

Verena nickte aufs neue und drückte sich fester an die Mutter.

„Hat er Dir’s gesagt?“

„O Mama, wie kannst Du glauben – aber ich weiß es – O, er würde für mich sterben und ich für ihn!“

„Und was würde dann aus mir?“ meinte lächelnd die Baronin. „Aber tröste Dich, Kind, und habe Vertrauen zu mir, es wird alles gut werden!“

Auch der Präsident merkte aus vielen Anzeichen, daß der Liebesfrühling für seinen Sohn angebrochen sei; er nahm Helmuth ins Gebet, und dieser erklärte mit gewohntem Freimuth und jugendlichem Feuer: „Verena oder keine!“

Alle Welt nannte den Präsidenten gemüthlos. Seinem Sohne gegenüber war er das sicherlich nicht, das einzige Kind war seine einzige Schwäche. Nach einigem Besinnen ließ er sich bereit finden, den Wünschen des Sohnes nachzukommen. Warum auch sollte er Verena nicht zur Schwiegertochter wünschen? Sie besaß alle Eigenschaften, um einen Mann glücklich zu machen, und war außerdem Baronesse. So fuhr er denn eines Mittags in Helmuths Begleitung zur Burg und brachte die Werbung in aller Form und Feierlichkeit an.

Der Amtsrichter, der jetzt erst von der Sache erfuhr, war erstaunt, doch wie zu erwarten stand, beurtheilte er das Verhältniß im Sinne seiner Frau. Nur meinte er, hätte Verena auch ihn ins Vertrauen ziehen sollen.

„Das war ihr verboten,“ versetzte Ida kampfbereit. „Wenn ein Mann mit Amtssorgen überhäuft ist wie Du, muß die Familiensorgen seine Frau auf sich nehmen.“

Und Vitus küßte ihr dankbar die Hand.

Die Einwilligung ward also gern gegeben, und es fehlte nichts zum Glück und zum Bündniß der Liebenden als die „Kaution“. Denn in einem Punkt waren der Präsident und der Amtsrichter Schicksalsbrüder: sie hatten beide keine Reichthümer gesammelt. Allein die Baronin vertraute auf die Sterne, die junger Liebe hold sind, und auf den Onkel!

In Hohenwart wohnte ein alter Hagestolz, namens Furtenbacher, ein Bruder der Mutter ihres Mannes. Er hatte in Wien als Hutmacher ein kleines Vermögen erworben, als Häusermakler es weise vergrößert und sich dann in seiner Geburtsstadt Hohenwart zur Ruhe gesetzt. Da galt er für so reich, daß man nur unter vier Augen erfahren konnte, er sei „eigentlich“ ein unleidlicher, selbstsüchtiger Brummbär, welcher kaum für etwas anderes als für seinen Magen lebe. Mit Hilfe dieses Hutmachers sollte das Hinderniß gehoben werden, das sich der Vereinigung der jungen Leute in den Weg stellte. Gegenwärtig war er in Karlsbad, während der Kur hatte er sich alle Briefe verbeten. Doch eine sichere Bürgschaft seiner baldigen Rückkehr tröstete Frau Ida: die ausgezeichnete Köchin des Onkels war in Hohenwart zurückgeblieben.




2.

„Ist mein Mann allein?“ fragte die Baronin den Amtsdiener Strobel, der schläfrig im Vorzimmer des Amtsgerichts saß und Akten heftete, Strobel sprang auf und nahm eine militärische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_451.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2023)