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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Römpker, zu begegnen, während er in der That nur genöthigt sein wollte, um seinen Wunsch, eine Begegnung gerade herbeizuführen, zu verhüllen.

„Meinetwegen, Herr Landrath,“ sagte sie mit zitternder Stimme, „darf Ihr Herr Vater ruhig kommen, denn ich werde noch heute heimgeholt.“

Wie sie sich selbst wehthat mit diesen Worten! Und wie sie ihm in die Seele schnitten!

Er sah sie traurig an und fuhr fort:

„So werden wir heute abend eintreffen. Mein Vater – ich bitte Sie dringend, lieber Raimar, dessen eingedenk zu bleiben – hat gar keine Bedürfnisse als ein sehr gutes Bett und morgens einen sehr guten Kaffee, und da diese beiden Dinge hier unter Christels Regiment selbstverställdlich sind, werden Sie keine Umstände durch ihn haben, noch sich solche machen.“ Dann stand er auf, um fortzugehen.

„Sie ist meine Feindin geworden,“ dachte er, „wie natürlich, wie sehr natürlich. Sie verachtet mich, weil ich Lea nicht zu durchschauen verstand. Sie hat ja völlig recht.“

Raimar sah beide nacheinander an, aber er vermied, etwas zu sagen.

„Ich werde demnach,“ begann Lüdinghausen, zu Rahel gewandt, „kaum noch das Vergnügen haben, Sie wiederzusehen, wenn Sie heute heimkehren. Ich bitte Sie, nicht gar zu klein von mir zu denken.“ Er beherrschte kaum seinen Ton.

„Ich denke nicht klein von Ihnen,“ stammelte Rahel, und in Thränen ausbrechend, eilte sie aus dem Zimmer.

Lüdinghausen wandte sich ab, damit Raimar sein Gesicht nicht sehe. Aber der war ohnedies viel zu gerührt, um den andern zu beobachten. Er war wie ein Kind und weinte mit, wenn er jemand weinen sah.

„Fräulein Rahel ist wenigstens barmherzig,“ sagte Lüdinghausen nach einer Weile mit einem erkünstelten Lächeln, „sie verschmäht es, mich zu demüthigen.“

Da konnte Raimar nun doch nicht mehr an sich halten, denn Gedanken lange zu verbergen, war ihm unmöglich.

„Ohrfeigen möchte ich mich, daß ich Ihnen die Lea so gelobt habe,“ rief er, und das war genug, um dem andern seine Plane zu verrathen. Lüdinghausen errieth sie auch und wurde so verlegen, daß er sich förmlich auf die Flucht begab. –

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Römpker holte auch am Nachmittag sein Töchterchen nicht heim.

Aber Rahel bat es sich sehr entschieden aus, diesen Abend in ihrem Zimmer bleiben zu dürfen. Und da saß sie denn vor einem Buche und horchte mit allen Sinnen auf die Laute im Hause.

Ein Wagen fuhr vor. Raimars Lachen schallte durch den Hausflur. Eine andere, angenehme, volle Stimme sprach dazwischen. Das war seines Vaters Stimme.

Rahel hörte vor Herzklopfen eine Weile nichts. Dann Schritte auf der Treppe und dann – o Schreck! – nebenan Stimmen und das Niederstoßen eines zu hart hingesetzten Koffers. Man hatte doch nicht den alten Herrn zu ihrem Nachbar gemacht?

Herrn Lüdinghausen senior wurden von Christel zwei Räume gegönnt, weil man ihr gesagt hatte, daß er einer der reichsten Männer im Königreiche und dementsprechend angesehen sei.

Er hatte richtig ein Wohngemach neben dem Rahels bekommen.

Rahel vernahm durch die dicke Zwischenwand nur die verschiedenen Klangfarben der redenden Stimmen und lauschte mit wehmüthiger Freude besonders auf die eine. Und sehr bald stiegen Vater und Sohn wieder treppab.

Rahel hörte nun nichts mehr. Sie fing an, schmerzliche Reue zu empfinden, daß sie sich von der Wohlthat ausgeschlossen hatte, Lüdinghausen zu sehen, dieselbe Luft mit ihm zu athmen.

Das gleiche Dach schirmte sie in diesen Stunden, aber sie waren sich so fern und würden es ewig bleiben.

Sie legte ihr Gesicht in das Buch. „Nein, Lea, ich habe ihn nicht für mich gewollt; wenn Du ihn geliebt hättest wie er Dich und wenn Du ihn beglückt hättest, ich wäre glücklich gewesen in Eurem Glück,“ dachte sie. „Und jetzt haßt er Lea und mit ihr alle, die zu ihrem Hause gehören, und am meisten mich, die ich störend zwischen ihn und sie trat. Vielleicht hätte er gewünscht, in der Täuschung zu bleiben – man sagt, daß Liebe sich so weit verirren kann. Nahm er nicht Abschied von mir? Hieß das nicht, daß er mich nicht wiedersehen will?“

Daß er ihr gestern abend so innig gedankt und daß sie gemeint hatte, aus dieser Erinnerung für alle Zukunft Muth schöpfen zu können, war ihr jetzt ganz aus dem Gedächtniß entschwunden, freilich nur, um vielleicht in der nächsten Viertelstunde wieder ein seliges Lächeln auf ihre Lippen zu locken. –

Die drei Herren besprachen sich unterdessen mit erstaunlicher Offenheit, oder richtiger, die beiden alten thaten es und der jüngere hörte nachdenklich zu, nachdem er schon im Wagen in langer Rede alle Ereignisse gebeichtet und seinen Vater wegen der unnöthigen Reise um Vergebung gebeten hatte.

Der Geheime Kommerzienrath Lüdinghausen war ein untersetzter Mann, den die Neigung zur Körperfülle nicht in sehr schnellen Bewegungen hinderte. Sein lebhaft gefärbtes Gesicht war bartlos, unter buschigen, grauen Brauen flammte ein Paar junger Augen, die von starkem Willen zeugten; über der hohen Stirn stand das weiße Haar dicht und dick wie eine Bürste empor.

Raimar staunte ihn unausgesetzt an. „Ja, ja, das sind die Naturen, die im engen Kreise keinen Platz haben und die vielleicht mit Fäusten niederschlagen, was sich ihnen in den Weg stellt; unsereiner kommt sich wunder was vor, wenn er sich anständig auf der Scholle erhält, die er von den Vätern geerbt hat.“

Und wie einfach dieser Fürst der Arbeit von sich und seinem Wirken sprach!

Er prahlte weder mit seiner Lebensleistung, noch verbarg er sie in ängstlichem Zagen, hier Vorurtheilen zu begegnen. Ihm war alles ganz ungemein natürlich.

Das Mißgeschick seines Sohnes schien er wie eine kleine Unannehmlichkeit hinzunehmen, über welche man nicht viel zu reden braucht. Die Dunkelheit im Wagen hatte freilich das seltsame Mienenspiel verborgen, welches bei dem Bericht des Sohnes sein Gesicht belebte.

Als der jüngere Lüdinghausen in die Stadt zurückgekehrt war, saßen die beiden Alten noch lange beim Wein. Vor Raimar machte der Vater des Landraths kein Hehl daraus, daß ihm dieses Erlebniß für seinen Sohn von unbezahlbarem Werth scheine.

Der Erasmus sei ihm, sagte er, immer zu vernünftig gewesen. Ein Musterknabe, von dem seine Frau stets gefürchtet habe, daß die Tollheiten doppelt schlimm nachkämen. Aber bewahre, es sei bei dem Jungen alles programmmäßig gegangen, und noch nie habe man ihn einen andern Schritt als einen lange und wohl überlegten thun sehen. Nun sei es doch von größtem Vortheil, daß er die Lehre empfangen habe, wie man sich in gewissen Dingen weniger auf Ueberlegung, als auf den Trieb des Herzens verlassen solle. Er wisse dieser Rahel noch besondern Dank, weil sie ihn selbst vor einer Schwiegertochter bewahrt habe, welche der Beschreibung nach zu sehr große Dame gewesen wäre, um ihm je herzlich nahe zu stehen.

Raimar hütete sich, zu verrathen, daß Rahel im Hause sei und daß er glaube, der junge Lüdinghausen stehe seit gestern abend plötzlich in lichterlohen Flammen für sie. Er hatte sich vorgenommen, ungemein diplomatisch zu sein, und wollte nicht den Verdacht erwecken, als spiele er den Heirathsvermittler für die Töchter des Freundes.

Am folgenden Morgen fuhr der alte Herr in die Stadt zu seinem Sohn. Noch sah man seinen Wagen fern auf der Landstraße, als Herr von Römpker angeritten kam.

Seine Tochter wie sein Freund sahen ihm sogleich an, daß er nicht erschien wie jemand, dem es froh und leicht ums Herz ist.

Er umarmte Rahel sehr flüchtig, aber nicht aus Feindseligkeit, sondern in bemerkbarer Zerstreutheit. Er hatte auch gar keine Zeit, sondern war nur gekommen, um sehr Nothwendiges zu besprechen.

Lea wolle schleunigst verreisen, erst nach Wiesbaden, dann vielleicht nach Paris oder nach Italien, kurz, man werde viele Monate abwesend sein, und die Eltern wollen beide mit, in der beruhigenden Gewißheit, daß Rahel unterdeß die Wirthschaft und das Schloß gut bewachen werde. Zwar sei die Kasse zur Zeit recht knapp, aber er habe den Verwalter beauftragt, die ganze Ernte schnell zu Geld zu machen, und weiterhin werde sich schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_431.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2023)