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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

zugeflüstert und sich der Hoffnung hingegeben, daß er auf sie hören würde. In jenen bangen Sekunden hatte sie nicht anders gekonnt als aufstehen und die entscheidenden Worte sprechen.

Heute wurde sie sich auch darüber klar, daß Lea und ihr Vater in der Heftigkeit Dinge gesagt hatten, welche sie jetzt vielleicht schon nicht mehr wußten, gewiß aber nicht mehr so meinten. Deswegen gleich das Haus zu verlassen, war sicherlich eine Thorheit.

Aber selbst diese Thorheit bereute sie nicht. Ihr war es, als müsse Lea daraus lernen, das Zartgefühl der Schwester mehr zu schonen.

Sie nahm sich von ganzem Herzen vor, die Schwester fortan doppelt zu lieben, nicht müde zu werden, um ihr Vertrauen zu werben, damit Lea nicht wieder so unberathen abirre von dem einfachen Weg der Ehrlichkeit.

Sie zweifelte gar nicht, daß dieses Ereigniß einen Wendepunkt in deren Leben bedeute, daß die Schwester erkennen werde, wie sie mit einer blinden Selbstsucht sich alles und alle dienstbar gemacht habe, und daß sie von nun an weich und warm sich den Ihrigen anschmiegen werde, anstatt sie als Vasallen an ihrem Thron zu betrachten.

Einen Fehler erkennen, meinte Rahel in ihrer geraden Art zu denken, heiße ihn alsbald ablegen.

Und in solchen Gedanken hatte sie ihre Ruhe wiedergefunden und wartete, daß ihr Vater sie zurückholen werde.

Auf ihrem Gesicht lag sogar ein Schimmer von Freudigkeit, den nur ein inneres Glücksgefühl dahin gezaubert haben konnte. Und in ihrem Gedächtniß klang fort und fort die Stimme nach, welche ihr gesagt hatte: „Ich danke Ihnen.“

Mit der Erinnerung an diesen Augenblick ließ sich das Leben schon weiter tragen.

Aber Herr von Römpker kam nicht, worüber Raimar sich alle Stunden von neuem erboste und woraus er das Recht ableitete, Rahel für immer bei sich behalten zu dürfen.

Denn das gefiel ihm ungeahnt wohl, so ein Töchterlein um sich zu haben. Rahel hatte sich unter der lächelnden Bemerkung, daß sie doch nicht krank sei, die allzu geräuschvolle und lästige „Pflege“ verbeten und sich gleich im Hause nützlich gemacht.

Christel hielt sich mit einigem Recht für die beste Hausverwalterin und Köchin der ganzen Gegend und bereitete noch immer für ihren Herrn selbst das Essen. Schönheitssinn aber hatte sie gar nicht.

In den Zimmern standen die Stühle steif aufmarschiert an den Wänden entlang, vor den blanken Scheiben auf den saubern Fensterbänken bunte Blumentöpfe, in den Vasen auf Pfeilertischen und Möbeln Sträuße von Papierblumen. Die dunklen Tischdecken waren mit weißen Theeservietten überlegt. Es sah so ordentlich und so sauber aus, daß darüber die Wohnlichkeit entflohen war. In Raimars Zimmer dagegen hatte der tägliche Tabakrauch allen Gegenständen jenen dunkeln und warmen Ton gegeben, der eine gewisse Behaglichkeit verbreitete.

Rahel bat, ob sie sich nicht ein paar Blumen holen dürfe, und Christel erlaubte ihr, nur von dem Standpunkt aus, daß man mit dem armen Kinde Geduld haben müsse, heute zu thun, was ihr beliebe. Rahel streifte unter dem Regenschirm in dem verwilderten Garten umher und schnitt ab, was sie fand. Sie füllte Vasen und Schalen, rückte die Möbel zurecht und nahm die vielen weißen Decken fort. Der Onkel konnte es kaum begreifen, daß seine vier Wände „nach soviel auszusehen“ vermochten. Christel enthielt sich jedes Urtheils, verstand aber nicht, wieso das schöner sein sollte, wenn ein Sofa schräg vor einer Ecke, anstatt ordentlich an einer Wand stehe; und daß das Reinmachen der vielen Vasen eine Arbeit sei, die nun auf sie falle, indem man doch den Mädchen die feinen Sachen nicht anvertrauen könne, schien das Fräulein auch nicht zu bedenken.

Bei Tisch meinte Raimar, es sei ja ordentlich wie in Gesellschaft, und bekam sentimentale Anwandlungen, als er die Rose in sein Knopfloch steckte, welche Rahel ihm auf seine Serviette gelegt hatte. Seit wann hatte er keine Rose mehr bekommen!

Er fing an zu klagen, daß er nicht geheirathet habe und nicht im Besitz einer solchen Tochter sei.

„Aber Onkel,“ tröstete Rahel, indem sie ihm Gemüse auffüllte, „es können eben nicht alle Menschen heirathen. – Noch mehr Bohnen? Du hast aber Appetit! – Siehst Du, ich muß doch auch ledig bleiben!“

Raimar legte Messer und Gabel hin und sah sie verblüfft an. Er hatte bei sich schon alles in Bereitschaft für sie: einen Gatten, und was für einen! – eine prachtvolle Häuslichkeit und dazu einen wirklichen Schwiegervater und einen Adoptivpapa, und dieser Adoptivpapa wollte ihr mal sein ganzes Geld vermachen, theils aus Liebe, theils um den Neffen zu ärgern, der auf seinen Tod lauerte.

Und nun sagte das schlecht berathene Mädchen, es müsse ledig bleiben!

„Warum denn, wenn ich gefälligst fragen darf?“ sprach er.

Rahel wurde dunkelroth. Sie habe sich nichts dabei gedacht, am Ende würde sie auch keiner nehmen, und wenn Lea Clairon heirathe, sei sie sozusagen arm, weil doch Lea dann Römpkerhof bekommen müsse – kurz, lauter Gründe, welche Raimar schlankweg für Unsinn erklärte.

Allein er blieb trotzdem ein bißchen besorgt.

„Sie wird sich doch nicht einreden,“ dachte er, „daß sie ihn nicht nehmen kann, weil er erst die Schwester wollte!“

Er hielt Rahel für sehr verständig und für unfähig, aus verletzter Eitelkeit zu handeln. Aber er gestand sich, daß dennoch einerseits ihr Stolz und andererseits die Rücksicht auf die Ihrigen ihr eine Verbindung mit Lüdinghausen unmöglich mache.

Und doch hatte er sich gestern abend infolge eines plötzlichen erleuchtenden Gedankens fest vorgenommen, aus diesen beiden Menschen ein Paar zu machen.

Er fand, daß sie großartig für einander paßten, und konnte nur das Eine nicht fassen, warum er selbst diese Bemerkung nicht früher gemacht hatte. Anstatt dessen war er beflissen gewesen, Leas Lob zu singen. Wer weiß, ob Lüdinghausen ohne seine Loblieder überhaupt auf Lea „angebissen“ hätte, denn diesem mußte doch gerade sein Urtheil bestimmend gewesen sein. So sah er sich als Mitschuldigen an und fühlte die Pflicht, den Fehler wieder gut zu machen. –

Als sie nach Tische noch beim Kaffee zusammen saßen, meldete Christel, daß der „neue Landrath“ da sei. Für sie blieb Lüdinghausen immer der „neue“.

„Bitte, bitte, nur herein!“ rief Raimar, aber er war entschieden ein bißchen verlegen dabei.

Lüdinghausen zögerte auf der Schwelle. Er hatte sich eingeredet, daß „sie“ natürlich schon in ihr Elternhaus zurückgekehrt sein werde und daß er ruhig nach Kohlhütte reiten könne. Und nun saß sie dennoch da und ihr Angesicht war ganz von zartem Roth überleuchtet.

Er reichte ihr die Hand und fühlte eiskalte und zitternde Finger.

Raimar bot ihm noch ein ganzes Mittagessen, alle Sorten Getränke, Kaffee, Cigarren an, und darüber kam es wenigstens so weit, daß Lüdinghausen sich zu ihnen setzte und um eine Tasse Kaffee bat.

Er sah sich erstaunt in dem Zimmer um, dessen frühere nackte Nüchternheit ihm nur zu bekannt war.

„Ja,“ sagte Raimar triumphierend, „das hat sie gethan.“

Es schien, daß Lüdinghausen wieder seinen wortkargen Tag hatte. Raimar mußte unaufhörlich schwatzen, und da er mit einer ziemlichen Wortfertigkeit begabt war, fiel es ihm nicht schwer.

Zuletzt rückte Lüdinghausen mit dem Zweck seines Besuches heraus. Er hatte ein Telegramm von seinem Vater bekommen. Der alte Herr reiste ohne Aufenthalt und dachte, heute abend einzutreffen. In dem Telegramm stand: „Hoffe dann morgen meine Schwiegertochter zu umarmen,“ weshalb Lüdinghausen es vorsichtig in der Tasche behielt. Von der derben Jovialität Raimars mußte er sonst gewagte Scherze befürchten, wie, daß man demnach schnell Ersatz suchen müsse, oder ähnliches.

Er sagte, daß das Anerbieten Raimars, den alten Herrn bei sich aufzunehmen, vielleicht übereilt gewesen sei, jedenfalls aber müsse er das von seiner Annahme der Einladung behaupten.

Nun ging jedoch Raimar mit den lebhaftesten Gebärden und seiner lautesten Stimme dagegen an. Was gesagt sei, bleibe gesagt, er würde es sehr übel vermerken, wenn Lüdinghausen dies Haus nicht als das nächste Freundeshaus ansähe und den Vater im Gasthaus des Städtchens einquartierte, weil er ihm in seiner eigenen engen Wohnung nicht die nöthige Bequemlichkeit bieten könne.

Rahel hatte bei dem Streit die Empfindung, als wolle Lüdinghausen seinen Vater nicht der Gefahr aussetzen, ihr, einer

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