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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

um meine Hand, nicht einmal unmittelbar nach einem Beisammensein, und ich antwortete ihm auf demselben Wege. Wir hatten beide Zeit gehabt zu kühlerer Ueberlegung, und es wäre unsere Schuld gewesen, wenn wir trotzdem voreilig dem Zwange eines noch unklaren Gefühls gefolgt wären. Meine zumal! denn so jung ich war, mein Verstand war in einer sehr herben Schule des Lebens früh ausgereift, und ich übersah mit aller Deutlichkeit den weiten und beschwerlichen Weg bis zum Ziele. Ich sagte ihm, daß ich an seine Liebe glaube und sie aus wärmstem Herzen erwidere, fügte aber mit einer Dringlichkeit, die er für aufrichtig halten mußte, die Bitte hinzu, nochmals sehr ernstlich zu prüfen, ob er sich und seiner Zukunft nicht ein Opfer des Herzens schuldig sei, das jetzt noch leicht wäre. ‚Ich weiß,‘ schrieb ich ihm, ‚daß Sie unverbrüchlich Ihr Wort halten werden, wenn Sie es gegeben haben – dafür bürgt mir Ihr Charakter. Aber um so mehr ist es Ihre Pflicht, nicht den Augenblick über Ihre ganze Zukunft bestimmen zu lassen. Wenn Sie je bereuten, würden Sie tief unglücklich sein und mich tief unglücklich machen – Sie müssen die Gewißheit fühlen, nie bereuen zu dürfen!‘ Er antwortete mit einem schönen Gedicht, dessen letzte Zeile lautete: ‚Ich liehe Dich und weiß, nie kann mich’s reu’n.‘ So sandten wir uns denn das Wort, das unseren Bund besiegeln sollte, und als wir einander darauf Aug’ in Auge blickten, brauchten wir es nicht erst noch auszusprechen, daß wir nur gethan hatten, was wir thun mußten – daß wir uns fürs Leben angehörten.

Wie heiter vergingen uns die Jahre! Wir waren ganz unserer Liebe froh, küßten und lachten, wenn wir beisammen waren, wie nur lebensfrisches junges Volk lachen und küssen kann, und schrieben uns in den langen Trennungszeiten Briefe voll unsinniger Zärtlichkeiten, doch auch voll ernster Selbstbekenntnisse, die uns bewiesen, daß unser Streben allewege Schritt hielt. Es war noch so lange, bis wir uns am Altar würden die Hände reichen können – wir dachten kaum flüchtig so weit voraus, lebten ganz der beglückenden Gegenwart. Ich wußte mich geliebt und war überselig, Eduard durch meine Liebe voll befriedigt zu sehen.

Er dichtete. Schon vor unserer Verlobung hatte er mir schüchterne Verse zugesteckt, und ich gestehe, daß sie ihm mein Herz nur um so rascher gewonnen hatten. Wenn man uns Mädchen so schön besingt –! Und daß man uns besingt, macht schon die Verse schön. Aber Sie kennen ja selbst viele seiner Liebeslieder und haben sie gelobt, wie er mir später einmal verrieth.

Daß ich sie nicht kritisierte, werden Sie verstehen. Was kümmerte es mich, ob ein Dichter vor ihm die Reime schon künstlicher verschlungen, den Jubel seines Herzens eigenartiger auszudrücken verstanden hatte; ich fand die Empfindung treu und schlicht, wie ich selbst sie in ihm geweckt hatte, sah mich in seiner Dichtung wie ein verschöntes Spiegelbild. Kein Wunder, daß ich ihn ermuthigte, seiner reichen Begabung alle Freistunden zu widmen.

Er schrieb indessen an mich nicht nur Verse, die wirkliche Herzenserlebnisse waren. Sie wissen ja, daß der dichterische Drang ihn auch zu epischen und dramatischen Versuchen trieb. Er hatte immer mit einem Uebermaß von Ideen zu kämpfen, die sich stets sehr rasch, aber so im ersten Anlauf unvollkommen gestalteten.

Er theilte sie mir unfertig mit, immer ganz Feuer und Flamme, und ich bemühte mich redlich, sie mir faßbar zu machen und ihm selbst näher zu bringen. Meist jedoch kamen meine Erwägungen schon zu spät. Er versicherte dann, längst sich selbst überzeugt zu haben, das sei doch nichts oder bereits verbraucht; etwas anderes aber verspreche den besten Erfolg. Und selten erging es diesem andern glücklicher. Er durchstöberte die ganze Weltgeschichte nach dramatischen Stoffen, plante, entwarf die Personenverzeichnisse und die Reihenfolge der Auftritte, führte wohl auch ganze Akte aus, um schließlich die Arbeit, die ihm nicht genügte, wieder liegen zu lassen. Einige Dramen wurden auch fertig, und ich selbst schrieb sie sauber für ihn ab, damit er sie einer Bühne einreichen könne. Aber sei es, daß dann die Lust schon verraucht war, daß er die Scheu nicht überwinden konnte, sich hinauszuwagen, oder daß die ersten Schritte schon auf Hindernisse stießen – er hatte die Freude daran verloren und vermied sogar, darüber zu sprechen. Etwas anderes – wieder etwas anderes!

Ich darf nicht verschweigen, daß ich mich zu diesen Erzeugnissen seiner Muse nicht ganz in gleicher Weise stellte wie zu seinen Liebesliedern. Auch sie schienen mir voll Talent, voll Kraft und Schwung zu sein, allein sie hatten für mich immer etwas Gemachtes, künstlich Erzwungenes, nicht aus seinem eigentlichen Wesen Herausgewachsenes. Sie waren gewiß so gut und in vieler Hinsicht besser als Stücke, die von den Theatern aufgeführt, von den Zeitungen mit Aufmerksamkeit besprochen wurden. Und dennoch sah ich nur zu deutlich, daß ihnen etwas fehlte, wofür Eduard gar kein Auge hatte und das ihnen doch erst die Theilnahme des Publikums sichern konnte – glaubte es wenigstens zu sehen.

Es war vielleicht ungeschickt, daß ich ihn darauf aufmerksam machte, ohne imstande zu sein, mich klar auszusprechen; aber ich dachte ihm zu nützen. Ich merkte bald, daß ich ihn verstimmte, und schwieg.

Das gefiel ihm noch weniger.“




Das Frühlingsfest der Berliner Künstler.

Von Hermann Heiberg.0 Mit Abbildungen von C. E. Döpler d. Ä.

Kalter Mai, doch endlich Sommersonne! Nach den rauhen Pfingsttagen ein lichtdurchflutheter, heißer Tag, ein blauer reiner Himmel und die Natur mit ihrem sattfrischen Grün an Bäumen, Gebüschen und Rasen in prangender Schönheit, die schon allein das Auge entzückte, als am 21. Mai der Verein Berliner Künstler sich anschickte, in dem Ausstellungsparke nahe beim Lehrter Bahnhof die Feier seines fünfzigjährigen Bestehens durch ein großes Kostümfest zu begehen, das den Einzug Karls des Großen in Aachen nach der Rückkehr von der römischen Kaiserkrönung darstellen sollte.

Nach drei Uhr beschritt ich den Vorplatz, der in einem stillen Frieden dalag und ein Alltagsgesicht bot, als sei’s ein Irrthum, hier näher zu treten, um ein großes Schaugepränge in Augenschein zu nehmen. Aber schon hinter dem Stadtbahnbogen veränderte sich das Bild; eine Gruppe von Avaren auf weißen Rossen erschien, Brustketten rasselten und Sturmhauben blitzten; und nachdem ich mit eifriger Anstrengung einen Platz gewonnen hatte, ward mir zunächst der Anblick des von Tribünen eingerahmten, mit Zuschauern besetzten Festplatzes, auf dem sich ein Schauspiel entrollen sollte, das durch seine schier erdrückende Farbenschönheit und Mannigfaltigkeit unvergeßlich bleibt.

Bis an den Zeustempel hinauf, der noch von dem großen pergamenischen Fest vor ein paar Jahren herstammt, Mengen Volkes, rechts und links bis auf die Spitzen des Uraniatheaters Zuschauer, Herren und Damen im Festkleide, und alles umstrahlt von dem Gold der Sonne.

Eben tönen durch die heiße Luft die Gesänge der in schneeweiße, blauumrandete Tuniken gehüllten Schulkinder und der Mönche, die an dem Fuße des Tempels sich aufgestellt haben.

Dann eröffnet den langen Zug die Geistlichkeit in wallenden Gewändern, geführt von einem Priester, der den goldenen Krummstab in der Rechten hält. Knaben mit vergoldeten Palmenwedeln; dahinter die Scharen der frommen Nonnen, deren ernstblickende

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