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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Verhältniß vielleicht nur, weil ich einmal in seiner Abwesenheit auf dem Tische seines Zimmers ein Heft mit Gedichten „an Cilli“ fand, das er wegzuschließen vergessen hatte.

Nun wurde ich sein Vertrauter. Das Mädchen sei arm, sagte er, aber ein Schatz von Herzensgüte und Edelmuth, ihm ganz ergeben. Hätte es sich sonst auch entschließen können, so lange auf ein eigenes Heim zu warten? Ich erlaubte mir schüchtern die Frage, ob es für einen Menschen seiner Art, ob es für seine dichterischen Pläne und Hoffnungen gut sei, sich so früh gefesselt zu haben. Allein er versicherte in stürmischem Erguß, von einer Fessel sei da gar nicht die Rede. Cilli sei die treibende Kraft seines Lebensschiffes, sie gerade begeistere ihn zu seinen Dichtungen, sie sporne ihn an zu wissenschaftlichen Arbeiten, sie stelle allen seinen Bemühungen ein würdiges Ziel. Was hätten da einige Jahre zu bedeuten, die sie so wenig zähle wie er. Er las mir Gedichte vor, welche die wärmste Begeisterung und echte Empfindung athmeten. Nach allem, was er mir mittheilte, konnte ich so wenig an der Aufrichtigkeit und Stärke seiner Neigung als an seiner Charakterfestigkeit zweifeln.

Wir waren dann nach den Studienjahren bei verschiedener Berufsthätigkeit voneinander ab-, gelegentlich auch wieder einmal zusammengekommen. Eduard hatte nicht ganz gehalten, was die Genossen einst sich von ihm versprochen. Er war freilich ein sehr tüchtiger Philologe geworden, der seine Examina gut bestand, aber nicht der große Mann, den sie erwartet hatten. Es fiel mir auf, daß er noch als Doktor eine Hauslehrerstelle in einem gräflichen Hause annahm, aber er erklärte mir’s damit, daß er von allen Mitteln entblößt sei und nothwendig einige hundert Thaler ersparen müsse, um sich über das Probejahr an einem Gymnasium hinwegzubringen. Die Frage, wie es mit der Poesie stehe, schien ihm unbequem zu sein. Zur Ausführung der großen Ideen, mit denen er sich trage, meinte er, habe sich bisher unmöglich die Zeit finden lassen.

Endlich erfuhr ich, daß er verheirathet sei. Ich hatte mich auf Reisen befunden und schon deshalb zur Hochzeit nicht eingeladen werden können. Nach meiner Rückkehr besuchte ich ihn in der kleinen Stadt, in der er seine erste Anstellung mit vier- oder fünfhundert Thalern Gehalt gefunden hatte, und traf ihn im Besitz seiner Cilli, wirklich einer prächtigen Frau, so glücklich, wie ich mir überhaupt einen jungen Ehemann denken konnte, freilich auch etwas abgespannt von der schweren und oft unerfreulichen Berufsarbeit. Die kleinen und hie und da wohl kleinlichen Anforderungen seines Amtes mochten es auch sein, welche manchmal etwas wie einen Schatten, wie einen dunklen Schein von Mißmuth in seinen Zügen hervortreten ließen. Doch Frau Cäcilie mit ihrer anmuthigen und theilnehmenden Art, die wie von selbst eine herzliche Freundschaft auch zwischen ihr und mir ermöglicht hatte, schien die Wolke zu zerstreuen, eigentlich ehe sie entstanden war. Wo die Gedichte und Trauerspiele Eduards geblieben seien, darüber machte ich mir wenig Gedanken. Wenn man ein Stück Leben kennengelernt hat, versteht man es ganz gut, daß nicht alle die schönen Blüthen, die ein junger Baum überkräftig treibt, Früchte ansetzen.

Ich sah ihn und seine Frau im Laufe der Jahre noch wiederholt, wenn auch selten, aber ich hörte oft genug rühmen, daß er ein sehr braver Schulmann geworden sei und sich in seinem Kreise großen Ansehens zu erfreuen habe. Er theilte mir nicht nur pflichtschuldigst die Geburt seiner Kinder mit, sondern trug mir bei dem jüngsten sogar eine Pathenstelle an, die ich natürlich mit Dank annahm. Auch daß er Professor geworden sei, schrieb er mir mit einigen humoristischen Bemerkungen, die mich doch darüber beruhigten, daß ihm die Auszeichnung Freude bereitet habe. Damals ließ er auch einfließen, daß seine silberne Hochzeit nicht mehr weit ausstehe, um die Hoffnung anzuknüpfen, daß ich dabei nicht fehlen werde. Und da ich jetzt nur wenige Stunden Eisenbahnfahrt von ihm entfernt wohnte und aufrichtig die Sehnsucht empfand, den alten Freund an dem Ehrentage seiner glücklichen Ehe ans Herz zu schließen, auch seiner Frau mit mehr als mit einigen schriftlichen Worten meine freudige Theilnahme auszudrücken, so folgte ich der Einladung gern und war schon zum Polterabend an Ort und Stelle. Das liebenswürdige Paar wollte mir durchaus nicht erlauben, ins Gasthaus zu gehen; ich mußte das Giebelstübchen beziehen, das für mich hergerichtet war, und wurde gebeten, mir gar nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wo der Herr Studiosus ein Unterkommen finde. Der Abend in der Familie war sehr erquicklich, und die Feier durfte ich nun nicht als ein fremder Gast, sondern als ein Hausgenosse mitmachen.

Das war eine Feier! Schon um elf Uhr waren alle Tische mit prächtigen Blumenkörbchen und Sträußen bestellt. Das Lehrerkollegium erschien vollzählig, und der Direktor überreichte·mit einer lateinischen Rede als Geschenk die kostbare Ausgabe eines Klassikers, sich in gutem Deutsch gleich darauf bei der lieben Frau entschuldigend, daß man die Wahl so einseitig getroffen habe. Die Kolleginnen hoben aber jedes Bedenken, indem sie vor der Frau Professor einen Teppich ausbreiteten, den sie gemeinsam gestickt hatten. Dann kam eine zahlreiche Abordnung· der Sekundaner und Primaner, dem geliebten Lehrer zu gratulieren und ein Album zu überbringen. Der Bürgermeister erschien für den Magistrat, der Stadtverordnetenvorsteher schloß sich ihm an. Die Geistlichen, die Richter, der Landrath, endlich auch der Oberst brachten ihren Glückwunsch an.

Von den angeseheneren Gewerbetreibenden, ihren Frauen und Töchtern wollte niemand fehlen, selbst viele Gutsbesitzer aus dem Kreise fuhren vor. Die Thür stand gar nicht still. Im Nebenzimmer sang die Liedertafel, Gedichte wurden aufgesagt, Geschenke überreicht. Und jeder, der sich einfand, mußte bleiben, so eng der Raum auch war. Die Frau Professor hatte für Speisen und Getränke in Ueberfülle gesorgt. Man zog in den Garten, wo Tische und Bänke aufgeschlagen waren, nahm die Bratenschüsseln, Flaschen und Gläser mit und blieb weit über die Mittagsstunde hinaus vergnügt beisammen. Das Fest sollte abends in der „Ressource“ mit Illumination und Feuerwerk fortgesetzt werden, wozu die Familie und ihre Hausgäste feierlichst eingeladen worden waren.

Ich hatte den wohlthuenden Eindruck, daß alle diese Leute sich mit aufrichtiger Hingebung betheiligten. Jeder schien es als ein Herzensbedürfniß zu empfinden, „Professors“ an diesem Tage zu zeigen, wie man sie liebe und hochschätze. Ich sprach viele von den Herren und Damen, und alle waren voll ihres Lobes. Dabei stand, wie ich bald bemerken mußte, die Frau keineswegs in zweiter Linie. Sie hatte Verehrer, die sehr geneigt waren, ihr sogar den ersten Platz zu geben. So der alte Arzt. „Ich kenne die beiden,“ sagte er mir, „so lange sie hier am Ort sind, und ich kenne sie besser als mancher andere, weil ich im Hause die ganze Zeit über Arzt war. Jetzt freilich verdiene ich mein Honorar mit Sünden, spreche alle acht oder vierzehn Tage einmal vor, sitze im Lehnstuhl und verplaudere ein Stündchen sehr angenehm; aber die Kinder sind auch einmal klein gewesen und haben so weit gebracht werden wollen, daß sie nun kräftige gesunde Menschen geworden sind. Aus dem Vollen war nicht zu greifen, es mußte sehr sparsam gewirthschaftet werden. Und der Mann hatte Bedürfnisse, die in so enger Häuslichkeit und mit so spärlichen Mitteln schwer zu befriedigen waren. Er wollte von aller Noth des Lebens möglichst unberührt sein, ruhig seine wissenschaftlichen Arbeiten fördern können, daneben genug guten Humor behalten, um sich auch schöngeistig zu beschäftigen und in stetem Zusammenhang mit der Gesellschaft bleiben, die seine Talente beanspruchte. Frau Cilli hat das Unmögliche möglich zu machen gewußt. Und doch, glaube ich, hat es Zeiten gegeben, in denen der liebe Mann an nervöser Verstimmung litt und ihr die Sorge nicht durch freundliche Anerkennung erleichterte. Es war etwas in ihm, das über die vermeintliche Enge des Hauses hinwegstrebte, und es gehörte eine ganz feine Art der Leitung dazu, ihn immer durch sich selbst die Grenzen ziehen zu lassen, die er nicht überschreiten durfte, ohne das häusliche Glück zu gefährden. Freilich mußte man schon ein so naher Hausfreund sein wie ich, um dergleichen leichte Trübungen überhaupt bemerken zu können. Ach, diese Frau! Man lernt sie gar nicht aus. Was der Professor uns geworden ist, liegt gleichsam auf der Hand; wir danken es ihm, daß er alle geistigen Kräfte angespannt und uns aus der erbärmlichen Kleinstädterei herausgeholfen hat. Aber daß er das konnte und zum Besten des Ganzen alle seine liebenswürdigen Eigenschaften rein zu entfalten vermochte, das kommt doch zum guten Theil auf Rechnung ihres stillen Wirkens. Und dieses Wirken hat sich niemals aufs Haus allein beschränkt. Ich selbst bin Zeuge ihrer Wohlthätigkeit und ihres tapferen Verhaltens in allerhand Nothständen gewesen. Sie besitzt eine Willenskraft, die man ihrer schwächlichen Gestalt und

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