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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

‚Elisabeth‘ sammt Ladung auf meine Rechnung übernehmen. Ich bitte Deinen Mann, den ‚Bremen‘ mit den von mir gecharterten Gütern, Baumwollenballen und Tabak, zu incargieren und hierherzuführen. – Es drängt mich, Dich bald wieder zu sehen.

Dein Dich liebender Vater 
Jakob Krusen, 
Senator.“ 

Natürlich zauderte Kapitän Aarhus keinen Augenblick, die ‚Elisabeth‘ gegen den prächtigen Dampfer zu vertauschen, denn welcher Kapitän würde nicht lieber auf einem großen Dampfer herrschen als auf einem Segler, wer würde anstehen, einen Dampfer im Werthe von etwa mehreren hunderttausend Mark gegen ein Segelschiff auszuwechseln, das vielleicht achtzigtausend gilt. Und dann konnte er auf einem so schönen Dampfschiff seiner jungen Frau ein anderes Logis und andere Bequemlichkeiten bieten als auf dem besten Segelschiff. Für die Dauer war der Aufenthalt auf einem Segler für die ganz anders gewöhnte Frau auch kaum durchführbar – das mochte der Kapitän auf dieser Reise eingesehen haben.

Am folgenden Tage, nachdem wir gelandet waren, gab mir Kapitän Aarhus den Brief seines Schwiegervaters und theilte mir seinen Entschluß mit, die „Elisabeth“ abzugeben. Ich begriff ihn, bat aber zugleich, meinen Dienst auf der „Elisabeth“ quittieren zu dürfen. Gerhardt war ein ganz guter Mann, ich kannte ihn, allein als Kapitän war er nur ein erfahrener Handwerker, und nachdem ich auf der „Elisabeth“ unter einem Kapitän gedient hatte, der mein Freund war, gelüstete es mich nicht weiter, auf demselben Schiff unter den gänzlich veränderten Verhältnissen zu bleiben.

Ich beschloß, vorläufig in Pernambuco Station zu machen und, soweit meine bescheidenen Mittel reichten, eine andere Gelegenheit abzuwarten. Aarhus billigte meinen Entschluß, die Kapitänin hätte mich gern auf dem „Bremen“ gesehen – ich vertröstete sie auf später – und so endete mein kurzer, aber erlebnißreicher Dienst auf der „Elisabeth“.




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Eine Beichte.

Novelle von Ernst Wichert.

Bei „Meinharts“ wurde heute schon vom frühen Morgen an silberne Hochzeit gefeiert. Die Nachbarn waren durch den Choral der Stadtkapelle aus dem Schlaf geweckt worden, und etwas später, so um die Kaffeezeit, hatte der Herr Oberst sogar die Regimentsmusik geschickt, die zwar im Garten hinter dem Hause spielte, aber straßenweit vernehmlich war. Hätte noch jemand zweifeln wollen, wem an diesem 20. Mai die Ständchen galten, so würden ihn die Laubgewinde zurechtgewiesen haben, die von geschäftigen Händen über Nacht um das Thürgerüst genagelt, um das Geländer der Vortreppe gewickelt und in Bogen aus den Fenstern des freundlichen Häuschens in der Kollegiengasse gehängt worden waren. Aber die ganze Stadt wußte auch ohne das alles, daß „Meinhardts“ silberne Hochzeit feierten.

Doktor Eduard Meinhart war erster Oberlehrer am städtischen Gymnasium, seit einigen Jahren schon durch den Titel Professor ausgezeichnet, die Hauptstütze der Anstalt, klassischer Philologe und Litterarhistoriker zugleich, ebenso beliebt bei seinen Schülern als bei deren Eltern – ja, man durfte dreist sagen: bei der ganzen Stadt. Er stellte gleichsam deren geistigen Mittelpunkt vor, nicht so sehr durch sein Amt, so viel Würde es ihm auch geben mochte, als durch persönliche Eigenschaften, durch seinen Geist, seine ungewöhnliche Begabung, seine Fähigkeit, die ganze Gesellschaft anzuregen. Er ließ sein Licht nicht in der Studierstube und im Schulzimmer verglimmen, sondern gern überallhin leuchten, wo man sich daran erfreute. Nicht leicht konnte etwas Gemeinsames unternommen werden, ohne daß er an die Spitze trat; und war es auch nur im Sommer ein Waldfest oder im Winter eine Schlittenfahrt, immer hatte er dabei eine Ueberraschung bereit, die kein anderer in dieser Weise bieten konnte. Er dichtete Prologe und Lieder, hielt ernste und launige Tischreden, ordnete Reigentänze und lebende Bilder an, schrieb sogar kleine Lustspiele für allerhand feierliche Gelegenheiten und übte sie als Regisseur ein. Er brachte regelmäßige Vorlesungen zustande, hielt den Journalzirkel in guter Ordnung, war der beste Berather des Buchhändlers, der die Leihbibliothek besaß, und mußte selbstverständlich jedem Ausschuß angehören, der sich mit öffentlichen Angelegenheiten nichtpolitischer Art zu beschäftigen hatte. Ihm war es zu verdanken, wenn die Provinzialstadt ein reicheres gesellschaftliches Leben entfaltete als mancher größere Ort, und man kargte auch nicht mit Dank. Das sollten der Professor Meinhart und seine Frau heute erfahren.

Frau Cäcilie – oder Cilli, wie man den Namen allgemein nach dem Beispiel ihres Mannes abkürzte – war nur wenige Jahre jünger als dieser und vielleicht niemals besonders schön gewesen; aber ihr schmales, von aschblonden Locken eingefaßtes Gesicht zeigte noch jetzt einen ungemein lieblichen Ausdruck und das große Auge eine wundersame Leuchtkraft. Sie schien sich die Aufgabe gestellt zu haben, ganz ihrem Manne zu leben, und sie versicherte, daß dies für eine Frau das beste Mittel sei, auch ihren Kindern etwas zu werden und der Gesellschaft nützlich zu sein. Was war das aber auch für ein reizendes eheliches Verhältniß! Wenn man von einer Musterehe sprechen wollte, wies man auf Meinhardts. Der Himmel ihres Glückes schien nie getrübt gewesen zu sein. Wie frei und doch wie rücksichtsvoll sie verkehrten! Was das eine that, war dem andern immer recht. Die Gesellschaft, so viel sie die beiden in Anspruch nahm, führte sie keineswegs voneinander ab. Wer freilich den vollen Genuß von ihnen haben wollte, mußte sie in ihrer ganz einfachen, vielleicht etwas altmodischen Häuslichkeit aufsuchen.

Sie hatten drei Kinder, alle wohl gerathen. Das älteste war ein Mädchen, vor kurzem an einen wohlhabenden Gutsbesitzer in der Nähe der Stadt verheirathet. Der Sohn studierte und war zum Fest von der Universität gekommen. Das jüngste Töchterchen zählte erst sechzehn Jahre, ähnelte der Mutter und besaß dabei die ganze Lebhaftigkeit und geistige Regsamkeit des Vaters, nicht zum wenigsten dessen Talent, Verse zu machen und Dramatisches mit wechselnder Stimme vorzulesen. Sie war des Hauses hellster Sonnenschein. In ihr schien vereinigt neu zu erstehen, was die beiden Alten einander zugebracht hatten. Es war nicht zu entscheiden, ob sie mehr ein Liebling des Vaters oder der Mutter war, deren Namen sie erhalten hatte. Aber die älteren Geschwister, denen sie das reizendste Spielzeug gewesen war, gönnten ihr auch neidlos diesen Vorzug.

Ich kannte Eduard Meinhart von alter Zeit her. Wir waren zusammen auf der Universität, sogar in derselben burschenschaftlichen Verbindung gewesen und hatten uns eng befreundet. Er war drei Semester hindurch unser Senior. Schon damals bewies er sich als ein in mancher Hinsicht ungewöhnlicher Mensch – streng sittlich ohne kleinliches Aburtheilen, heißblütig und verständig zugleich, fleißig und doch stets für uns zu haben, ebenso leicht angeregt als wieder anregend. Er verstand es trefflich, uns zusammen zu halten, für gemeinsame Zwecke in Thätigkeit zu setzen, eine idealistische Richtung zu geben. Er war unbemittelt, verdiente den größten Theil seines Unterhalts durch Stundengeben und als Korrektor einer Buchhandlung, schien aber nichts zu entbehren und erübrigte noch immer so viel, daß er seiner „Bude“ mit den Gipsbüsten unserer großen Dichter, für die er schwärmte, ein künstlerisches Ansehen geben konnte. Aus seiner Feder kamen nicht nur Kneiplieder, auf die wir stolz waren, so schwer sie sich auch singen ließen, sondern ebenso historische Trauerspiele, in denen die Helden den Mund gewaltig voll zu nehmen pflegten. Wir nannten ihn „Schiller“ und versprachen uns für ihn eine große Zukunft.

Ich wußte auch, daß er heimlich verlobt war, und hätte mich gewundert, wenn ein so leicht entzündliches Herz nicht früh Feuer gefangen hätte. Verlobt freilich –! Das Wort hatte einen philiströsen Beiklang. Ein Student, der schon ans Heirathen dachte –! Ich begriff, daß er darüber nicht gesprochen haben wollte. Selbst für mich war seine Braut nur immer „seine Liebe“. Ich erfuhr trotz unserer engen Freundschaft von dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_422.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)