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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Tochter besaß. Kein Wunder war’s deshalb, daß sich um die Hand der schönen Margaretha neben vielen Jünglingen aus dem Bürgerstande mehrere vom Adel bewarben. Sie erwies sich jedoch gegen alle gleichgültig, einen einzigen ausgenommen, einen zwar armen, aber wackeren jungen Edelmann, Otto von Kreßling, dessen Vater in Kaufbeuren ansässig war.

Nun ward in Kaufbeuren einst ein Fest gefeiert, zu welchem vornehm und gering aus nah und fern herbeiströmte. Auch ein Edler aus dem Hegau, Stephan Haußner, ein heruntergekommener Ritter, der in seinem halbzerfallenen Schlosse von Wegelagerei, Raub und Plünderung lebte, kam dahin und sah bei dieser Gelegenheit die schöne und reiche Erbin. Sofort erfaßte ihn eine heftige Leidenschaft für sie und – ihr Geld, und da er bei ihrer ihm bekannten Neigung zu Otto von Kreßling nicht hoffen konnte, ihre Hand im Wege einer Werbung zu erlangen, so beschloß er, sich ihres Besitzes durch List und Gewalt zu versichern.

Die Gelegenheit zur Ausführung dieses Planes kam früher, als er selbst wohl gehofft haben mochte. Durch einen Helfershelfer erhielt Haußner etwa zwei Monate nach jenem Feste Nachricht, daß einige Handelsleute aus Kaufbeuren, auf der Heimreise von Freiburg im Breisgau begriffen, ihren Weg durch den Hegau nehmen wollten. Flugs legte sich der Schnapphahn in den Hinterhalt, überfiel die sorglos Daherkommenden und schleppte sie, da sein eigenes altes Eulennest sich zur Verwahrung von Gefangenen nicht eignete, zu seinem Freunde und Raubgenossen Hans von Friedingen nach Hohenkrähen.

Unter den Ergriffenen befand sich nun auch Georg von Kreßling, der Vater jenes Otto, welcher inzwischen der erklärte Verlobte der schönen Margaretha Gutenberg geworden war. Groß war die Freude Haußners, als er die Entdeckung von seinem Fange machte.

Während er alle anderen Gefangenen nach Zahlung eines beträchtlichen Lösegeldes frei ließ, warf er den alten Kreßling in das Burgverließ und schwor, ihn so lange gefangen zu halten, bis Otto ihm die schöne Margaretha als Braut abtrete.

Als die That in Kaufbeuren bekannt wurde, erregte sie allgemeinen Unwillen. Schleunigst wurde beschlossen, eine Gesandtschaft an den Kaiser abzusenden und ihn um Hilfe anzugehen.

Der Kaiser gerieth bei der Kunde von diesem schnöden Bruch des gebotenen „ewigen Landfriedens“ in heftigen Zorn und ertheilte alsbald seinem Feldobersten, dem berühmten Georg von Frundsberg, den Befehl, die Friedensstörer zu züchtigen.

Frundsberg kam dem erhaltenen Befehle unverzüglich nach und rückte mit einem stattlichen Kriegsheere, welchem sich auch der junge Kreßling angeschlossen hatte, vor die Feste; aber die Lage derselben machte eine Belagerung sehr schwierig. Darum beschloß Frundsberg nach einer vergeblichen Beschießung, die hinreichend mit Mannschaft und Geschütz versehene Feste durch enge Einschließung und Hunger zur Uebergabe zu bringen.

Die Belagerung dauerte bereits mehrere Wochen, und fast täglich fanden kleine Ausfallgefechte statt, denn der Friedinger und Haußner, welche die Absicht Frundsbergs erkannten, suchten mit dem Muthe der Verzweiflung einen Ausweg zu gewinnen.

Da endlich trat ein Ereigniß ein, das den Fall der Burg beschleunigte.

Dem Friedinger wurde nämlich durch das Zerspringen einer Büchse der Arm zerschmettert, und da er dessen Abnahme nicht gestattete, so war sein Tod sicher. Gefaßt sah er demselben entgegen und gab, als er ihn herannahen fühlte, seinem Freunde Haußner noch selbst den Rath, sich und die Mannschaft zur Nachtzeit an Seilen über die steil abfallenden Felsen hinabzulassen und in Sicherheit zu bringen, weil die Lebensmittel der Burg bis auf einen kleinen Rest aufgezehrt seien. Diesen Rath befolgte Haußner. Nachdem des Friedingers Augen sich geschlossen hatten, ließ er dessen Leiche in der Burgkapelle aufbahren und entwich hierauf etwa eine Stunde vor Tagesanbruch mit der Mehrzahl seiner Kampfgenossen – ein kleiner Theil wollte sich zu dem Wagniß nicht entschließen – auf dem ihm bezeichneten Wege aus der Burg. Mit Absicht wählte er zum Niederstieg die allersteilste Stelle, weil er hoffen konnte, daß hier die Bewachung mangelhaft sein werde. Und wirklich täuschte er sich hierin nicht. Glücklich gelangten alle – mit Ausnahme eines einzigen, der bei dem gewagten Unternehmen den Hals brach – in den düstern Thalgrund und entkamen. Aber Haußner entrann darum seinem Schicksale dennoch nicht. Als er, in der Absicht, nach Basel zu flüchten, den Weg dahin einschlug, sprengte ihm plötzlich ein junger Ritter an der Spitze einiger Reisigen entgegen. Es war Otto von Kreßling, den Frundsberg zur Herbeischaffung von Lebensmitteln entsandt hatte. Augenblicklich erkannten sich beide und – tödlicher Schreck erfaßte Haußner; er sah, daß er verloren war. Eilends flüchtete er in eine am Wege stehende Kapelle, doch Otto stürzte ihm mit gezücktem Schwerte nach und, nicht achtend der geheiligten Stätte, stieß er ihn am Altare nieder.[1]

Eine Stunde später wurde die Feste übergeben und der alte Kreßling befreit. Frundsberg bewilligte dem Reste der Besatzung freien Abzug und gönnte der Leiche Friedingens ein ehrenhaftes Grab. Unmittelbar nachher aber ward das Raubnest in Flammen gesetzt und von Grund aus zerstört.

Dies ist die Geschichte von der ersten Zerstörung Hohenkrähens, wie sie die Einwohner von Schlatt und Umgebung erzählen; sie mag, wie bereits erwähnt, am wenigsten von allen hierüber umlaufenden Erzählungen „Sage“ sein.

Die Bnrg scheint übrigens bald nach dieser Frundsbergischen Zerstörung wieder aufgebaut worden zu sein, denn noch im gleichen Jahrhundert, im Jahre 1534, wurde sie vom König Ferdinand abermals einem Hans von Friedingen als Mannslehen übergeben, und außerdem werden noch mehrere Ritter anderer Geschlechter als Besitzer der Burg genannt, bis sie endlich an die freiherrliche Familie von Reischach kam. Im Jahre 1632 nahm ein Hauptmann Lösch, der zur Besatzung des Hohentwiel gehörte, die Feste wiederum ein und zwei Jahre später ließ sie der berühmte Kommandant des Hohentwiel Konrad Wiederhold zum zweitenmal niederbrennen. Seither liegt sie in Trümmern; nur einige Oekonomiegebäude sind bewohnbar geblieben.

Wie jede „richtige“ Burgruine hat auch Hohenkrähen sein Gespenst. Es ist allgemein unter dem Namen des „Poppele von Hohenkrähen“ bekannt und soll der Geist eines Menschen sein, der am Ende des dreizehnten Jahrhunderts als Schirmvogt einer verwitweten Frau von Krayen oder Krähen lebte. Sein Name war Johann Christoph Poppelius Mayer. Von Gestalt zwar klein, hager und verwachsen, soll er doch ein äußerst strenges Regiment geführt haben, wild und zügellos und – um mit Scheffel zu reden – „ein trinkbarer Mann“ gewesen sein. Einst spät abends sprach ein vorüberreisender Abt mit seinem Gefolge auf Hohenkrähen ein und bat um Herberge und Zehrung. Gastfreundlich gewährte Poppelius beides, setzte sich mit seinen Gästen zu Tische und ließ „vom Besten“ aufsetzen, der im Keller lag. Fröhlich kreiste der Becher und öffnete bald aller Herz und – Mund.

Auf einen derben Scherz, den Poppelius sich über die Person des wohlbeleibten Abtes erlaubte, antwortete dieser mit einem noch derberen, indem er unter dem wiehernden Gelächter seiner Zechgenossen den Schirmvogt „Knochenmännlein“ nannte und behauptete, „solch’ ein dürrer Knirps könne mit Leichtigkeit durch ein Nadelöhr gezogen werden“. Wüthend über diesen Schimpf sprang Poppelius jetzt auf und befahl, das feiste Pfäfflein ins unterste Burgverließ zu werfen und bei Wasser und Brot so lange gefangen zu halten, bis es ebenfalls so mager geworden sei, daß man es durch ein Nadelöhr ziehen könne. Erst nach Jahr und Tag wurde der bedauernswerthe Abt, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, seiner Haft entlassen.

Mit Ingrimm im Herzen schied der Mann von Hohenkrähen. Außerhalb der Zingeln[2] aber hielt er sein Roß an und sprach einen fürchterlichen Fluch aus über den gewaltthätigen Vogt, der ihm so schwere Unbill angethan.

Und der Himmel erhörte den Kirchenfürsten, der Fluch ging in Erfüllung. Nur wenige Tage nach des Abtes Abreise stürzte Poppelius, nachdem er wie gewöhnlich dem Becher etwas zu sehr zugesprochen hatte, eine Treppe hinab und brach den Hals.

Sein Leib wurde in der Kirche zu Mühlhausen[3] zur ewigen Ruhe gebettet, doch der Seele des Verfluchten war diese versagt. Sein ruheloser Geist plagte der Sage nach die ganze Umgegend durch seine Spukereien, die meist nur in Neckereien,


  1. Nach einer andern Ueberlieferung wurde Haußner gefangen und einige Tage später enthauptet.
  2. Die eine Burg umgebenden Ringmauern wurden Zingeln genannt.
  3. Badisches Dorf, nordwestlich am Fuße des Hohenkrähen gelegen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_406.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2023)