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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sammt und sonders gut. Da war zunächst der erste Steuermann, ein alter, wetterfester, bärtiger Seebär, dem man es ansah, daß er seit einem Menschenalter wohl auf allen Meeren gefahren war – dann zwei Holländer, grobe, einfache Gesellen mit tüchtigen Arbeitsfäusten, ein Schiffsjunge mit ängstlich spähenden kleinen Augen und einem riesigen Brotkaumaul; die übrigen alles Inselfriesen, wie der Kapitän auch, wortkarge, arbeitsame Leute mit scharfen, vorsichtig beobachtenden, hellen Augen. Auch den Schiffskoch lernte ich kennen, einen ehemaligen Schneidermeister aus Budjadingen – mit ziemlich kahlem Kopf und sehr spitz zulaufendem Kinn, dessen volle Lippen mir sofort großes Vertrauen zu seiner Kochkunst einflößten. Er hörte auf den schönen Namen Spia Tjaden. Zu meiner Ueberraschung erfuhr ich, daß wir auch eine Dame an Bord hätten, welche die ganze Reise mitmache – nämlich die Frau des Kapitäns, die Tochter eines sehr reichen Reeders in Bremen, der aber nichts hergebe, weil er gegen diese Heirath mit einem armen Kapitän gewesen. Die Geschichte sei sehr eigenthümlich zugegangen.

Das theilte mir in verschiedenen Stücken der erste Steuermann – er hieß Christian Poppinga – mit, der eine besondere Zuneigung zu mir an den Tag legte. So war ja auch Romantik hier auf dem Schiff. Ich war sehr neugierig, die Dame zu sehen; sie befand sich am Lande, Einkäufe zu machen.

Montag und Dienstag sollte es ans Löschen der Farbwaren gehen, dann war zwei Tage große Schiffswäsche, ein Tag völlig freier Urlaub und Sonnabend hieß es, Blechwaren einladen für brasilianische Häfen.

Das war der Arbeitsplan für die nächste Zeit.

Am Montag kam ich schon um Sonnenaufgang an Bord und fleißig steuerte ich bald breite, mit Fässern vollbeladene Ausladebarken von der „Elisabeth“ an den Zollamtsquai, wo ich noch vorgestern so mißmuthig gestanden hatte, und freute mich der tüchtigen Arbeit, die es gab.

Die Fässer waren schwer und nicht leicht aus den Barken ans Land zu karren. Gegen Mittag schon glänzte ich im schönsten Roth, Blau, Grün und Orange wie ein Orinoko-Papagei, denn die Fässer hatten bei der Fahrt einige Male gerollt und stäubten.

Zur festgesetzten Zeit wurden wir fertig, aber die Frau Kapitän hatte ich noch immer nicht zu Gesicht bekommen, sie wohnte während unseres Aufenthaltes hier im Gasthof. Sonnabend kamen die Blechwaren; sie waren nicht schwer, nahmen jedoch einen riesigen Raum fort, und wir mußten wahre Architektenkünste anwenden, um die Kisten mit Gießkannen, Bechern, Salatschwenkern, Kochtöpfen und Schaumlöffeln im Schiffsrumpf unterzubringen. Bis Mittwoch früh war alles verstaut und festgemacht – dann kamen noch ein paar Kisten voll Citronen und Orangen für eigenen Gebrauch, und Donnerstag früh mit den Wassertonnen die Frau Kapitän, eine hochgewachsene schöne Dame mit klugen, offenblickenden, blauen Augen und einem festen kleinen rothen Mund in dem blassen Gesicht.

Der Kapitän stellte sie mir vor. „Sie heißt Elisabeth wie mein Schiff,“ sprach er scherzend, „und sie ist oft eifersüchtig, wenn ich sage: ‚Erst kommt Elisabeth, das Schiff, und dann Elisabeth, die Frau‘ – Sie werden mir darin Recht geben.“

„Ja, Madame,“ antwortete ich – „das Schiff geht vor, denn das ist uns Mutter und Vater, es ist der Boden, auf dem wir stehen, Haus und Heimath, und giebt uns Arbeit und Nahrung.“

„Da hörst Du einen richtigen Seemann reden!“ sprach der Kapitän lachend zu Frau Elisabeth.

„Ja, Ihr seid alle so!“ antwortete die junge Frau schmollend, und mit einem Seitenblick auf ihren Mann fuhr sie in neckendem Tone fort: „Erst thut Ihr wie unsinnig, bis Ihr uns habt, dann benennt Ihr ein Schiff nach uns, und nun heißt’s – ‚erst das Schiff und dann die Frau!‘ Sie werden ledig sein?“ fragte sie mich.

„Ich stehe ganz allein.“

„Das ist für einen Seemann eigentlich das Beste,“ warf sie hin und sah dabei verliebt ihren Gatten an, der ziemlich pomadig das Scharmützel über sich ergehen ließ.

„Sie haben einst meinem Mann einen großen Dienst geleistet,“ wandte sie sich jetzt unmittelbar an mich. „Er erzählte es mir gestern, ich danke Ihnen noch nachträglich dafür. Ich freue mich, daß wir einen so tapferen Mann auf dem Schiff haben“ – und damit war die Vorstellung beendet und die Arbeit begann. –

Die Anker wurden gelichtet – der Bugsierdampfer mit dem Lotsen kam, Segel wurden gesetzt und langsam schwebten wir aus dem Hafen. Als wir auf die Höhe von Cap Porto Fino kamen, setzte der Wind ein, Schlepper und Lotse verließen uns. Die „Elisabeth“ blähte die Segel, und knarrend und rauschend fuhren wir mit einem guten Nordost den in blaßblauem Duft daliegenden Bergen Korsikas entgegen. Sobald wir aus dem Schutz der Küste waren, wurde die Luft rauh und winterlich. Wir nahmen den Kurs nach West und hin mit vollem Winde schoß die „Elisabeth“ über das blaue, glasklare, sonnenglitzernde Meer, daß das Wasser vorn am Bug hoch aufspritzte und wir am Abend die Leuchtfeuer von Korsika an der Leeseite hatten. Als der Nebel am nächsten Morgen sich hob, hielten wir mit günstigem Winde auf die Balearen zu, um durch die Meerenge von Gibraltar den Atlantischen Ocean zu gewinnen.

Die „Elisabeth“ täuschte die Erwartungen nicht, welche ich auf sie gesetzt hatte, sie war ein Segler ersten Ranges, schlingerte nie und schnitt die Fluth wie ein Messer. Sie gehorchte dem Steuer auf eine Hundertstel Drehung, und die schwere Arbeit, welche jedes Segelschiff verursacht, war hier ein Vergnügen.

Als die spanische Küste in bläulichem Dämmer vor uns auftauchte, gab es ein Märzgewitter, und ein paar Tage tanzten wir ziemlich unangenehm in Schnee, Regen und Nebel umher, ohne die Einfahrt in die Meerenge erzwingen zu können. Dann aber kam wieder ein schöner, lichter Tag mit steifem Ost-Süd-Ost, und nun sausten wir dem Riesenfels Gibraltar entgegen, den die Engländer mit Kanonen gespickt haben. Abends war ein wunderbarer Sonnenuntergang. Im tiefsten Violett lag die Küste von Afrika da, in goldenem Purpur die Felsen Spaniens – das Meer war rosenroth – und umhaucht, umweht von diesem sanften warmen Schimmer fuhren wir wie verklärt in den Paß ein. – Der Wind flaute ab und wogend schaukelten wir sanft und still mit der Strömung.

Am nächsten Morgen begrüßten uns die gewaltigen, blauen, gleichmäßig anrollenden Wogen des Oceans. Der Golfstrom mit seinen Frühlingswinden nahm die „Elisabeth“ auf und wir näherten uns Madeira. Dort wollten wir anlegen, um frisches Wasser und junge Gemüse aufzunehmen.

Nach drei Tagen kreuzte unsere schmucke „Elisabeth“ auf der Höhe von Funchal; zwei riesige blaue Bergspitzen ragten aus dem Meer zum Himmel, azurblau war dieser, azurblau das Meer, und zwischen diesem und den aufragenden Höhen lag eine Kette schneeweiß schimmernder, winzig kleiner Häuschen wie eine Perlenschnur am Fuß der Gebirge hingelegt.

Die Häuser wurden deutlicher, größer, die Berge mächtiger, zeigten stellenweise üppige Vegetation und waren übersät mit hellleuchtenden Villen. Ein paar Stunden später schaukelte die „Elisabeth“, geführt von einem rothmützigen Lotsen, in den Hafen von Funchal hinein.

Der Aufenthalt der „Elisabeth“ hier war auf einen Tag berechnet; wir nahmen frisches Wasser und Früchte aller Art ein, tranken abwechselnd Limonade und schweren gelbröthlichen Wein und fuhren am nächsten Morgen in den freien Ocean hinaus.

Unser Kurs richtete sich jetzt zwischen den Kanarischen Inseln durch nach St. Vincent, einer der Kap Verde-Inseln; vorläufig konnten wir noch die Strömung benutzen, ein Umstand, der die Arbeit dem Schiffsvolk sehr erleichtert.

Bei einer Fahrt von Europa nach Brasilien für Segelschiffe muß überhaupt eine große Anzahl Vortheile dem Meer und der Luft abgewonnen werden.

Der Ocean ist für den Segler nicht nur ein mächtig großes Wasser, das er nach einer bestimmten Richtung durchkreuzt, sondern ein Fahrgebiet, welches eine Fülle von Straßen und Wegen hat: Hauptstraßen, Nebenstraßen und sogar heimliche Pfade, Schleichwege sozusagen, die man unter bestimmten Bedingungen bei gewissen Witterungsverhältnissen schnell durchfahren kann. Oft müssen solche Strömungsstraßen durchkreuzt, am Rande, in der Mitte, durch Lavieren oder direkt durchsegelt werden. – Man darf im Frühjahr und Sommer nicht dieselben Straßen benutzen wie im Winter. Es gehört demnach ein außerordentlich gutes Seekartenstudium und viel Erfahrung dazu, um von uns aus glücklich über den Aequator und dann weiter zu kommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_402.jpg&oldid=- (Version vom 26.8.2023)