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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

diese?“ – und deutete mit dem Finger auf eine Schar junger Landmädchen, die eben auf dem Klippenvorsprung, hinter dem diese Einbuchtung liegt, zum Vorschein kamen. Sie schritten barfuß, die Holzschuhe in der Hand, den Klippenweg von der Vallata herunter und patschten dann, die Kleider sorgfältig zusammenraffend, gleichmüthig durch das seichte Uferwasser, das herwärts von den Klippen die Parkmauern der Villa Maccarani wäscht. Dies war allerdings der kürzeste und einfachste Weg nach der Vallata. Ich warf einen Blick auf Clelias verzärtelte Erscheinung und wir wandten dem Spötter unmuthig den Rücken.

Gegen Abend, als ich zufällig wieder des Weges kam, fand ich Clelia bei den abgetragenen Baracken stehen und das Sinken der Fluth beobachten. Da sahen wir, wie sich unterhalb der Parkmauer und fernerhin an den Klippen erst einzelne Steine aus dem Wasser hoben; diese bildeten kleine Inselchen, die größer und größer wurden, und bald lag ein schmaler, aber völlig trockener Uferweg vor uns. Ich war schon oft zur Zeit der Ebbe auf dieser Furt hingeschritten, aber Signora Clelia betrachtete die Erscheinung mit Verwunderung und meinte, hier wäre ja die Straße, die der „Principe“ uns vorschlüge.

Ich blickte zweifelhaft auf ihre Stöckelschuhe, doch ein ganz neuer Geist der Thatkraft und Unternehmungslust schien dieses Jahr in die hübsche Frau gefahren zu sein; sie bestand auf dem Versuch.

Eine halbe Stunde später waren wir schon unterwegs und der „Principe“ sah uns kopfschüttelnd nach, wie wir den niederen Quai hinabstiegen und an seinem Pfahlwerk vorüber mit geschürzten Kleidern längs der Parkmauer auf dem trockenen Kies hingingen, den heranhüpfenden kleinen Wellchen rasch ausweichend und begleitet von dem Neffen meines Hauswirths, dem kleinen Oscarino, der unser Badezeug in einem Ballen auf dem Kopf trug.

Die Expedition gelang über alles Erwarten gut, nur der Klippenweg bot einige Schwierigkeit, weil einer der Zinken so steil ist, daß er nur auf Händen und Füßen erklettert und rutschend wieder verlassen werden kann. Doch gute Laune besiegte auch dieses Hinderniß und jubelnd faßten wir nach kurzer Wanderung auf dem Gestade der Vallata Fuß.

Vor uns lag das herrliche Panorama des blauen Golfs mit seinen Buchten und Inseln, hinter uns die bewaldete Höhe von Marigola, zur Rechten der düstere Park der Villa Maccarani, der uns mit seinen hohen Cypressen und dichten Oliven, Steineichen und Pinien die Aussicht versperrte, links der steile Aufstieg nach der Fahrstraße von Lerici, die sich kühn am Berge hinwindet, und an den beiden Hörnern des Golfes auf dem äußersten Landvorsprung die Kastelle von San Terenzo und Lerici.

Natürliche Nischen in der Felswand schienen nur auf uns gewartet zu haben und ließen sich durch ein vorgespanntes Badetuch bereitwilligst in kleine Ankleidekabinette verwandeln. Und was soll ich von dem weichen durchsonnten Sande des Ufers sagen, der sich den Sohlen anschmeichelt wie ein Plüschteppich, was von der glatten Spiegelfluth, die wie ein Krystall den allmählich abfallenden Grund mit seinen breiten Sandwellen durchblicken läßt?

Als wir nach vollendetem Bade den holperigen feuchten Rückweg einschlugen, gelobten wir uns beide, nie wieder von der Bretterbude des „Principe“ Gebrauch zu machen, nachdem wir zu so viel höheren und vollkommeneren Genüssen durchgedrungen waren.

Wir hielten Wort und wochenlang überwanden wir Tag für Tag die Hindernisse des Wegs, der uns allmählich so vertraut wurde, daß wir ihn auch im Schlafwandel zurückgelegt hätten.

Darüber war der Sommer vorgeschritten, duftige bunte Kleider und Sonnenschirme von den wunderbarsten Formen und Farben tauchten schmetterlingsartig in den engen düsteren Gäßchen von San Terenzo auf und blinkten lustig von der Hügelstraße von Lerici herüber, denn jetzt war es auch „drüben“ so voll geworden, daß beide Orte keinen Grund mehr hatten, einander um ihre Badegäste zu beneiden.

Junge Mädchen im Matrosenkostüm, den niedern Strohhut auf den schwarzen hängenden Flechten, steuern geschickt ihre Kähne zwischen den anlandenden Dampfbooten durch, Herren im Badekostüm, gestreift wie Zebras, stürzen sich vom Hafendamm kopfüber in die Fluth, neugierige Fremde erklimmen das alte Kastell und lassen sich von der gutmüthigen drei Mann starken Besatzung das mächtige, den Golf beherrschende Teleskop richten, um drüben auf dem Quai von Lerici, der in einen Korso verwandelt ist, die Damenwelt zu beobachten.

Und richtig, am 15. Juni eröffnet auch der „Principe“ nach Brauch und Herkommen mit einem Festkonzert seine fertige Bretterbude, die er auf den poetischen Namen „Amphitrite“ getauft hat.

Er hat allen Grund, auf sein diesjähriges Werk stolz zu sein, die Pläne, über die er so lang am Ufer brütend gesonnen hat, liegen jetzt verwirklicht vor aller Augen. Der langen Vorderreihe von Badekabinen mit den hohen vom Wellenstoß erschütterten Wassertreppen hat er einen luftiggebauten Tanzsaal angehängt, den eine Reihe Petroleumlampen und rothe Baumwollgehänge an den Innenwänden zieren. Die unvermeidliche Drehorgel läßt ihre ohrenzerreißenden Töne vernehmen, nach denen sich schon einige tanzlustige Paare drehen, und am Schenktisch wird ein abscheuliches Bier verabreicht. Aber mit Kopfschütteln und mit Vorwurfsblicken, als verstehe er die Welt nicht mehr, sah uns der „Principe“ nach, als wir auch an diesem bedeutungsvollen Tage an seinem Wunderbau vorüber nach der Vallata wanderten.

Doch er sollte in der Folge noch mehr Anlaß zum Kopfschütteln und zu Vorwurfsblicken bekommen, da ihm mit einem Male die Hälfte der Badekabinen leer blieb. Die Ursache stellte sich bald heraus, als wir an einem der nächsten Tage bei unserer Ankunft in der Vallata die Felsennischen durch fremde Badetücher verhangen fanden.

Andere waren in unsere Fußstapfen getreten und hatten uns den unvergleichlichen Badeplatz nachentdeckt.

Doch dies kümmerte uns vorerst nicht viel.

Der Strand war lang genug, daß man sich gegenseitig aus dem Wege bleiben konnte, und bot noch andere natürliche Schlupfwinkel, die sich mit wenig Kunst in leidliche Badehütten verwandeln ließen. Indeß auch von diesen Stellen wurden wir mehr und mehr durch die nachrückende Kulturwelt verdrängt, wie es ja zu gehen pflegt, daß die ersten Entdecker eines neuen Landstrichs sich bald ihrer Nachfolger nicht mehr zu erwehren vermögen.

Und immer finsterer blickte der „Principe“ uns nach, wenn wir an seinen Pfahlbauten vorüber den Klippenweg einschlugen, denn stetig mehrte sich die Zahl der Ueberläufer aus seinem Lager, und es war bereits in San Terenzo ein öffentliches Geheimniß, daß der „Principe“ Feuer und Flamme gegen uns war.

Eines Morgens, als ich eben die Felsenstufen hinunter steigen wollte, die nach der Marina, dem sandigen Hafenplatz, führen, kam mir Giacomino barfuß, mit bis an die Kniee aufgeschlagenen Beinkleidern und nassem Tauwerk in den Händen entgegen und rief:

„Wohin wollen Sie? Das Meer ist ja in den Straßen! Haben Sie denn den Sturm nicht gehört? Das brüllte die ganze Nacht und schlug an den Quai wie ein Raubthier, das an den Stangen seines Käfigs rüttelt!“

Ich mußte bekennen, daß ich den ganzen großen Aufruhr verschlafen hatte.

Als ich um die Felsenecke bog, bot sich mir ein überraschender Anblick.

Die Marina war vom Meer völlig verschlungen, die Boote, die Tags zuvor an der sanften Böschung hoch ins Trockene hinaufgezogen worden waren, standen fußtief im Wasser, die Fluth leckte bis an die Stufen meiner Felsentreppe und drang bei den niedriger stehenden Häusern in die Thüren ein. Ein paar Männer patschten mit hoch aufgestülpten Beinkeidern im Wasser umher und fischten Stricke, Bretter und allerlei Geräthschaften zusammen, die da herrenlos einhertrieben. Sonst war der kleine Ort wie ausgestorben, weil die meisten Badegäste nicht zu den Hausthüren herauskonnten.

Doch nein, nicht ganz ausgestorben, denn drüben auf dem Quai steht Clelia in scharlachrothem Kleid mit Sonnenschirm von derselben Farbe und winkt und ruft zu mir herüber. Was sie spricht, kann ich zwar vor dem Getöse des Wassers nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_366.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)