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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Während vor 50 Jahren immer das fünfte Auge, vor 20 Jahren noch das zwanzigste oder dreißigste Auge bei der Staaroperation vereiterte, gehört dieses Unglück heute zu den größten Seltenheiten; ja es ist so selten geworden, daß man seit einigen Jahren diese Krankheit den Studierenden der Medizin kaum mehr zeigen kann.

Sind die Coccen einmal ins Auge eingedrungen, so ist es bei der fabelhaft schnellen Vermehrung derselben kaum möglich, gegen sie zu kämpfen. Um so wichtiger und segensreicher ist die Verhütung ihres Eindringens ins Auge.

Fig. 9.

Gegen die Wundrose, gegen die Diphtherie, gegen den Milzbrand sind leider noch keine beim Menschen verwendbaren Mittel gefunden; gegen die Tuberkulose hat Robert Koch, wie bekannt, in neuester Zeit das „Tuberkulin“ empfohlen.

Am Auge kommen Tuberkelbacillen sehr selten vor, kaum jemals primär, meist erst in sehr vorgeschrittenen Stadien des Allgemeinleidens, dann gewöhnlich in der Iris, ferner in den allerletzten Tagen vor dem Ende in der Aderhaut bei der Miliartuberkulose. Hier wird also, da Koch selbst sein Mittel nur für den Beginn des Leidens empfiehlt, nicht viel zu hoffen sein.

Dagegen wird man es mit Nutzen anwenden können beim Lupus der Augenlider und der Bindehaut. Es ist ja jetzt wohl allgemein bekannt, daß die fressende Flechte, der Lupus, nichts anderes ist als Tuberkelbacillen in der Haut oder Schleimhaut (siehe Fig. 9, t). Lupus gehört freilich zu den seltensten Augenkrankheiten – unter 50 000 Augenkranken sah ich ihn nur zweimal – aber er ist ein furchtbares Leiden; ein General, dem der Lupus von den Wangen schließlich ins Auge stieg, griff trotz seiner 70 Jahre zur Pistole. Bisher stand man der Krankheit völlig hilflos gegenüber; vielleicht hat aber auch für diese Unglücklichen die Erlösungsstunde durch Kochs Tuberkulin geschlagen. –

Da die Skrophulose eine der Tuberkulose sehr verwandte Krankheit ist, hofften einzelne Aerzte, auch bei skrophulösen Augenleiden Heilung durch das Tuberkulin zu erzielen. Koch hat nichts davon gesagt. Ich selbst habe auch bei skrophulösen Kindern keine Heilung von Entzündungen der Bindehaut und Hornhaut infolge von Einspritzungen mit Tuberkulin gesehen; glücklicherweise haben wir gegen diese Krankheiten auch viele altbewährte andere Mittel, mit denen wir, ohne ein allgemeines Fieber zu erzeugen, örtlich vorgehen können.

Hier ist also der Wunsch nach neuen Mitteln nicht so rege als bei den oben besprochenen schweren Augenkrankheiten. Hoffen wir, daß es der mächtig vorwärtsschreitenden Bakterienforschung bald gelingen möge, Mittel zu finden, welche die bereits eingedrungenen Bacillen zerstören, ohne zugleich das zarte Auge selbst zu gefährden. Bis dahin behüte der Himmel die Augen unserer Leser vor Coccen und Bacillen!




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Eine Räubergeschichte.

Von Isolde Kurz.0 Illustrirt von Fritz Bergen.

Ich war dieses Jahr früher als sonst, schon mit den ersten Leuchtkäfern, gekommen und ging in den holperigen Gäßchen von San Terenzo umher mit dem angenehmen Gefühl, eine wandelnde Sehenswürdigkeit zu sein. Die guten Leute waren ordentlich stolz auf den zeitigen Sommergast, um so stolzer, als in Lerici drüben noch nicht eine einzige Wohnung vermiethet war. Keine süßere Würze der eigenen geschmeichelten Eitelkeit als das Mißgeschick derer „von drüben“! Ist doch selbst der aufgeklärteste Kopf im ganzen Ort, mein Hauswirth Giacomino, von seinen Weltumsegelungsfahrten mit der unerschütterten Ueberzeugung zurückgekehrt, daß jeder Bewohner von Lerici mit dem Keim alles Bösen geboren werde – gerade wie weiland dem großen florentinischen Dichter Dante die gottverlassene Schlechtigkeit der nachbarlichen Fiesolaner ein Glaubenssatz war. Und auch der Klassiker von San Terenzo, ein dichtender Kapitän, hatte in einem seiner ungedruckten Gedichte, die sich von Mund zu Mund fortpflanzen, der Vermuthung Raum gegeben, daß Judas Ischariot aus Lerici gebürtig gewesen sei.

Diese uralte Eifersucht der beiden feindlichen Nachbarorte hat sich schon so weit auf mich übertragen, daß ich immer eifrig zustimme, wenn mein Hauswirth mir die Vorzüge San Terenzos auf Kosten von Lerici anpreist, und ich thue es mit gutem Gewissen, genieße ich doch in meinem unscheinbaren Felsennest den Segen einer wind- und sonnegeschützten Lage und habe das prächtige, gluthbestrahlte und von Stürmen umtoste Lerici auf der anderen Seite der Bucht mit seiner gewaltigen alten Zwingburg, die Land und Fluth beherrscht, gerade vor Augen; ich bin also weit besser dran, als wenn ich mich im umgekehrten Fall befände.

Als ich auf der Höhe des „Solaro“ aus dem über und über mit Staub bedeckten unbeschreiblichen Vehikel, das mich bis hierher gebracht hatte, herausgekrochen war, meine Gepäckstücke auf die Köpfe der herzugeeilten Weiber und Kinder vertheilt hatte und jetzt an der Spitze meiner Karawane den steilen Berghang hinunterstieg, kam ich mir vor wie ein Forschungsreisender mit seiner Expedition in wilden Ländern, und als ich zuerst wieder durch die Olivengebüsche tief, tief unten eine weite Fläche von geradezu unwahrscheinlichem Ultramarinblau leuchten sah, da pries ich die Natur, daß sie dies Restchen Paradies durch einen fast uneinnehmbaren Schutzwall gegen die anfluthende Kultur gesichert hatte.

In der That, nichts hat sich in dem stillen Golf geändert seit meinem letzten Hiersein. Dieselben Gesichter kommen mir entgegen, wie vor Jahren schaukeln sich die zur nächtlichen Fahrt gerüsteten Fischerboote auf der Reede, und die Netze werden von halbnackter, schwarzgebrannter Jugend keuchend ans Land gezogen. Wenn ich das Meer eintönig zwischen den Klippen murmeln höre und die Weiber mit bloßen Füßen die Wäsche in der schmutzigen Kanalmündung stampfen sehe, so ist mir, als stehe die Zeituhr still – und richtig, dort wandelt auch schon wie gewöhnlich der Doktor um die Ecke, begleitet von dem jungen Mann aus Bagnola, von dem mir Giacomino schon vor Jahren versichert hat, daß er ganz gewiß in kurzem ein Genie werden oder ins Narrenhaus kommen müsse, zwei Fälle, von denen bis jetzt noch keiner eingetroffen ist.

Und doch, eine Veränderung stößt mir auf, als ich mich abends zur Ruhe begebe: ich bemerke nämlich, daß Giacomino, der sonst um diese Zeit immer sorglich die Hausthür zu verriegeln pflegte, heute sich damit begnügt, sie einzuklinken und einen umgestülpten Kehrbesen von innen gegen die Thür zu lehnen, doch wohl mehr ein andeutendes Sinnbild der Sicherheit als ein wirkliches Werkzeug derselben. Der Riegel ist nämlich, wie ich höre, schon vor Monaten zerbrochen. Uebrigens ist ein solcher Besen der landesübliche Verschluß, und der Riegel vom vergangenen Jahr war nur einer der vielen Luxusgegenstände, die der in allen Dingen vorangeschrittene Giacomino sich gestattete, gewiß ein Ueberfluß in einer Gegend, wo man, wie die Einwohner versichern, das Geld auf den Straßen niederlegen kann und gewiß ist, es des andern Tags wieder zu finden. Darum theilen sich auch die beiden feindlichen Nachbarorte in die zwei einzigen verfügbaren Carabinieri dergestalt, daß die Wächter des Gesetzes zweimal wöchentlich, am Montag und am Donnerstag, in San Terenzo Aufenthalt nehmen, während sie den Rest der Woche auf die Sicherheit von Lerici verwenden.

Um meinen Vortheil als einziger Badegast nun auch sattsam auszukosten, nahm ich meinen Hauswirth, der sich während der Saison verhundertfachen muß, ausschließlich in Beschlag und besuchte in seiner Gesellschaft all die wunderbaren Orte, die ich bisher nur dem Namen nach gekannt hatte. Bald fuhren wir in die geheimnißvolle Grotte von Maralunga, wo das leise glucksende Wasser unser Boot ganz von selbst nach innen zog, daß die Fledermäuse erschreckt von den Wänden auffuhren. Bald steuerten wir zwischen dem Tino und der Palmaria hindurch nach dem kleinen Tinetto, der jetzt nur noch als ein wüster Steinhaufen aus den Wassern ragt. Das Nonnenklösterlein, das vor Zeiten dort gestanden hat, ist der Sage nach bei Nacht von kreuzenden saracenischen Piraten überfallen worden; seine Insassinnen wurden bis auf die letzte nach der Levante geschleppt, ohne daß die frommen Brüder vom Tino, der doch so nahe liegt, daß sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_364.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)