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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

hunderttausend Menschen die gute Sehkraft eines Auges zu erhalten. –

Wir kommen nun zu einer zweiten Sorte von Bakterien. Seit vielen Jahrzehnten ist den Augenärzten bekannt, daß, wenn ein Auge infolge einer Verletzung eine schwere Entzündung der Regenbogenhaut (Fig. 1, i) davongetragen hat, namentlich wenn ein fremder Körper ins Innere des Augapfels eingedrungen ist, daß dann nach 3 bis 6 Wochen, oft auch erst nach langen Jahren, das andere nicht verletzte Auge sich entzündet und dann meist unrettbar verloren ist. Es ist dies die so gefürchtete „sympathische Augenentzündung“, so genannt, weil man annahm, daß das andere Auge aus Sympathie, aus Mitleidenschaft erkranke.

Auf welchem Wege das andere, soweit entfernte Auge in Mitleidenschaft gezogen wurde, während doch die übrigen in der Nähe liegenden Körpertheile von Erkrankung frei blieben, das war bis vor einiger Zeit ein großes Räthsel. Da brachte Prof. Deutschmann in Hamburg in die dunkle Frage Licht und erhielt für seine Arbeiten auch mit Recht den großen Gräfe-Preis.

Fig. 4.

Bereits im Jahre 1883 hatte Professor Rosenbach in Göttingen bei den meisten Eiterungen ein ganz bestimmtes Bakterium entdeckt, das er den „goldgelben Traubencoccus“ nannte (Fig. 4). Es sind dies völlig rundliche kleine Zellen, die sich niemals in Ketten, sondern in dichten unregelmäßigen Haufen ordnen; in ihrem Aussehen, namentlich in den Geweben, erinnern sie an dichtbeerige Trauben, daher der Name „Traubencoccus“. Dieser Coccus ist sehr widerstandsfähig; selbst wenn er zehn Tage auf einem Uhrglase eingetrocknet ist, ist er noch nicht vernichtet; aber Siedehitze natürlich zerstört ihn. In Gelatine hält er sich fast ein Jahr. Sticht man ihn in ein Röhrchen mit fester Gelatine, so erscheinen nach zwei Tagen auf dem Boden desselben (Fig. 5, tr) kleine weiße Pünktchen, welche die Umgebung verflüssigen und einen orangegelben Farbstoff erzeugen. Da die Gelatine verflüssigt wird, so sinken die Coccen in die Tiefe und bilden einen krümeligen Bodensatz. Um die Einstichstelle bildet also die Verflüssigung eine Art Strumpf.

Fig. 5.

Man kann diesen Coccus sehr erfolgreich übertragen. Dr. Garré prüfte dies an sich selbst. Wenn er etwas davon nur auf der gesunden Haut seines Vorderarms verrieb, so erzeugte er dadurch einen mächtigen Absceß, der Wochen zu seiner Heilung brauchte und große Narben hinterließ; in diesem Absceß waren wieder die Traubencoccen massenhaft vermehrt, und mit ihnen konnte er von neuem die Krankheit weiter impfen. Dieser Traubencoccus findet sich überall, wo es Eiter giebt.

Fig. 6.

Nun benutzte Deutschmann die Reinkultur dieses Traubencoccus und spritzte sie einem Thiere in ein Auge, und siehe da, nach einiger Zeit waren die Coccen aus dem Auge heraus entlang dem Sehnerven (Fig. 6, n) nach dem Gehirn gewandert, an dessen Basis (bei k) sie zum andern Sehnerven übergingen, um sodann diesem entlang bis zum andern gesunden Auge vorzukriechen. Hier erregten sie eine Entzündung, ähnlich derjenigen, die man beim Menschen nach Verletzungen als sympathische Augenentzündung kennt. Und nun konnte man die Traubencoccen aus dem zweiten Auge weiter züchten und anderwärts einimpfen. Die sympathische Augenentzündung beruht also auf einem Wanderprozeß der Bakterien durch die Bahn der Sehnerven, die sich im Gehirn überkreuzen, von einem Auge ins andere.

Was lernen wir daraus? Da es unmöglich ist, die Coccen in dem ersterkrankten Auge zu zerstören, so nehme man dieses in schweren Fällen, wo es ja immer vollkommen oder fast vollkommen erblindet ist, ganz heraus, damit ein Ueberwandern der Coccen in das gesunde Auge gar nicht erst möglich wird. Es ist gewiß ein ernster Entschluß, sich ein Auge fortnehmen zu lassen, und man hat immer lange Kämpfe mit den Kranken und ihren Angehörigen, ehe sie die Erlaubniß zu dieser Operation geben; aber wenn man wartet, so wandern eben die Coccen in das andere Auge und vernichten beide. Da ist es doch besser, gleich radikal vorzugehen, als Jahre lang die gänzliche Erblindung fürchten zu müssen und sich dann erst zu spät zu der Entfernung des ersterkrankten Auges zu entschließen. –

Fig. 7.

Ebenso gefährlich wie die Traubencoccen sind die „Kettencoccen“, die namentlich bei Thränensack-Entzündungen gefunden werden. Die Thränen laufen durch die Thränenpunkte (Fig. 7, pp) und Thränenröhrchen (rr) nach dem Thränensack (s) und von da nach der Nase durch den Thränennasengang (g). Wenn aber hartnäckiges Thränenträufeln vorhanden ist, so deutet das oft auf eine Eiterung im Thränensack. Es tritt dann Eiter aus demselben durch die Thränenröhrchen und Thränenpunkte auf den Augapfel zurück.

Solange nun die oberste Schicht der Hornhaut (h) gesund ist, schadet dieser Eiter nicht. Wenn aber nur das leiseste Stäubchen auf die Hornhaut fällt und sie ganz oberflächlich etwas ankratzt (was sonst ohne jeden Schaden geschieht), so entsteht durch eine Spur dieses Thränensackeiters die allergefährlichste Entzündung der Hornhaut, die schnell zur Zerstörung des Auges führen kann.

Dieser Eiter enthält nämlich meist die „Kettencoccen“. Sie sind den Traubencoccen ähnlich, kleine rundliche, kugelige Zellen, die aber niemals in Haufen wie die Traubencoccen liegen, sondern in lange Ketten auswachsen (Fig. 8), wie Perlschnüre, die 6 bis 10 bis 100 Glieder zeigen. Sie haben die Eigenthümlichkeit, die Gelatine nicht zu verflüssigen, wie man in dem Röhrchen k der Figur 5 zum Unterschied von den Traubencoccen beobachten kann. Die Gefahr, welche sie dem Auge bringen, ist eine sehr große. Daher lasse man also Thränenleiden niemals sich einnisten und frage bei Zeiten einen Arzt! Denn im Thränensack lassen sich die Kettencoccen sehr gut zerstören; sind sie aber erst auf das Auge gekommen, so ist das recht schwierig.

Fig. 8.

Wie die Erkenntniß, daß die Bakterien ausschließlich die Ursachen der Eiterung sind, von hervorragendem Einflusse auf die ganze neuere Chirurgie geworden ist, so feiert diese Lehre auch ihre Triumphe in der modernen Augenheilkunde. Alle Operateure haben sich früher den Kopf zerbrochen, warum trotz der elegantesten, saubersten und technisch vollkommensten Staaroperation doch ab und zu das ganze Auge am 2. oder 3. Tage durch Vereiterung zu Grunde ging. Ja, als der große Meister Albrecht v. Gräfe einmal 61 Staaroperationen hintereinander ohne jede Eiterung hatte heilen sehen, glaubte er in seiner Technik den Schlüssel für dieses glänzende Ergebniß gefunden zu haben. Allein als darauf die 62., 63. und 64. Staaroperation zur völligen Vereiterung der operirten Augen führte, schrieb er in seiner dadurch gedrückten Stimmung vor 20 Jahren: „Man sieht eben, daß die Fenster der Augenkliniken nicht alle nach der Glücksseite hingehen!“

Heutzutage sehen die Fenster der Augenkliniken allerdings bedeutend mehr nach der Glücksseite als damals; denn seit man die Entstehung der Bacillen kennt, ist eine völlige Vereiterung des Auges nach Operationen sehr selten geworden, falls das Auge nicht schon eiternd in Behandlung kam.

Man weiß, daß nur und ausschließlich nur, wenn Bakterien ins Auge gelangen, eine Eiterung stattfinden kann; man zerstört daher die Keime der Bakterien, die etwa aus der Luft auf die Instrumente gefallen sind, indem man vor dem Gebrauche alle Instrumente in strömenden Wasserdampf bringt; man „sterilisirt“ sie, wie man sich ausdrückt. Es ist eines der vielen unvergänglichen Verdienste des großen Bacillenforschers Robert Koch, den Nachweis geführt zu haben, daß alle Bakterien dem strömenden Wasserdampf erliegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_363.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)