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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Die Bakterien des Auges.

Von Professor Dr. Hermann Cohn in Breslau.

Es ist bekannt, daß die Bakterien, die kleinsten Lebewesen, den menschlichen Körper auf dreierlei Weise schädigen, indem sie ihn einmal mechanisch vollpfropfen, zweitens ihm die zu ihrem Leben nöthigen Nahrungsstoffe entziehen und endlich ihre eigenen Erzeugnisse in ihm ablagern. Das letzte ist das Schlimmste; die meisten Bakterien erzeugen nämlich selbst die giftigsten Produkte, sogenannte Ptomaine oder Toxine, die Professor Brieger in Berlin direkt chemisch dargestellt hat und von denen er nachwies, daß die allerkleinsten Mengen genügen, um große Thiere in kürzester Zeit zu tödten.

Das Auge ist nun ein ganz besonders guter Nährboden für Bakterien, und da sie sich durch Theilung so riesig schnell vermehren, daß aus einem einzigen winzigen Pflänzchen in 24 Stunden über 17 Millionen entstehen, so sieht man leicht ein, daß das edle Organ dem Ansturm dieser grimmigen Feinde meist schnell erliegt.

Eine große Anzahl von Augenkrankheiten verdankt ihre Entstehung erwiesenermaßen den Bakterien; die Tuberkulose, die Diphtherie, die Wundrose, der Milzbrand kommen am Auge wie an anderen Theilen des menschlichen Körpers vor. Ich will hier nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf drei Bakterienarten lenken, die dem Auge besonders große Gefahren bringen und bei deren Besprechung sich allgemeine Rathschläge für die Verhütung der Krankheiten geben lassen.

Fig. 1.   Fig. 2.

Die Augenlider (Fig. 1 und 2) sind bekanntlich mit dem Augapfel beweglich verbunden durch eine zarte Schleimhaut, die man „Bindehaut“ nennt, weil sie eben den Augapfel mit dem Lide verbindet (b). Der vordere mittlere Theil des Augapfels aber hat keine Bindehaut, sondern eine wasserklare, sehr feste, durchsichtige sogenannte Hornhaut (h), durch welche das Licht ins Auge gelangen kann, die aber rein und spiegelnd sein muß, wenn scharf gesehen werden soll.

Seit Jahrhunderten kannten Aerzte und Publikum eine überaus gefürchtete Augenkrankheit, die sogenannte „Augenentzündung der Neugeborenen“. Am zweiten oder dritten Lebenstage beginnen nämlich öfters bei Neugeborenen die Augenlider mehr oder weniger anzuschwellen, einen dicken gelben Eiter abzusondern, zu verkleben; der Eiter, der von der innern Fläche der Schleimhaut der Lider ausgeht, kommt bald auf die Hornhaut und erzeugt daselbst ein Geschwür (Fig. 2, h); dieses platzt entweder und der Inhalt des Auges läuft aus, oder es heilt vielleicht nach wochenlanger Krankheit, aber statt der durchsichtigen klaren Hornhaut bleibt eine ganz weiß gefärbte, undurchsichtige zurück, durch welche das Sehen unmöglich gemacht oder doch überaus geschwächt wird.

Man wußte schon seit langen Zeiten, daß dieser Eiter fürchterlich ansteckend ist; wenn einem Erwachsenen nur die kleinste Spur davon ins Auge kam, war dieses gewöhnlich in drei Tagen verloren; haben doch manche Augenärzte bei der Reinigung solcher Kinderaugen selbst ein Auge durch hereingespritzten Eiter eingebüßt!

In den Blindenanstalten Deutschlands haben statistische Zählungen ergeben, daß bis vor kurzem mehr als ein Drittel aller blinden Kinder ihr Augenlicht durch diese „Blennorrhoe“ (Eiterfluß) verloren hatten. Im ganzen machen die auf diese Weise Erblindeten sicher mehr als den zehnten Theil aller lebenden Blinden aus.

Die Zahl der Blinden in Europa wird auf über 300 000 geschätzt; also 30 000 haben durch diese Krankheit beide Augen gänzlich eingebüßt; wie viele durch sie nur ein Auge verloren haben oder mit geschwächter Sehkraft daraus hervorgegangen sind, läßt sich nicht bestimmen, mindestens aber beläuft sich ihre Anzahl auf das Dreifache, also auf rund hunderttausend.

Schon oft wurde früher in populären Mittheilungen das Publikum vor der Gefahr dieser Blennorrhoe gewarnt, weil nur bei schnellster Behandlung, und auch da nicht immer sicher, Hilfe gebracht werden kann und jede Stunde der Vernachlässigung sich bitter rächt. Diese Thatsache ist allerdings auch heute noch richtig. Aber wie ganz anders sind heute unsere Anschauungen über die Entstehung der Krankheit, wie großartig ist der Triumph der Vorbeugung geworden, und zwar wesentlich durch die Kenntniß der Bakterien!

Früher glaubte man, daß ein Kind die Entzündung bekomme, wenn es zu früh an das Tageslicht gebracht worden sei; man machte daher die Wochenstuben recht dunkel. Jetzt weiß man ganz bestimmt, daß das Licht keinerlei Einfluß auf diese Krankheit hat.

Fig. 3.

Im Jahre 1879 entdeckte Professor Neisser in Breslau in dem Eiter, der aus den kranken Augen dieser Kinder kommt, eigenthümliche Bakterien, Coccen, die er „Gonococcen“ nannte (Fig. 3, g) und die sich von andern durch ihre Gestalt ziemlich sicher unterscheiden. Es sind runde Gebilde, die fast stets zu zweien verbunden auftreten, also Doppelcoccen. Ihre Berührungsflächen sind gewöhnlich ziemlich stark abgeplattet, so daß ein Paar solcher Coccen wie ein Paar Semmeln aussieht. Sie färben sich unter dem Mikroskop mit Methylenblau prachtvoll blau. Sie finden sich theils frei, theils dringen sie in Massen in den Leib der Eiterzellen ein. Diese Coccen kommen in allerkleinsten Spuren, sobald das Kind zum ersten Male die Augen aufschlägt, von seinen Augenlidern ins Auge selbst, brechen dann in die Zellen der Bindehaut ein und sind die Ursache der Blennorrhoe.

Man hat schon wiederholt versucht, diese Bakterien auf Thiere überzuimpfen, aber vergeblich; die Coccen sind die eingefleischtesten Parasiten des menschlichen Körpers und finden außerhalb desselben kaum die Bedingungen für ihr Fortkommen. Aber dennoch ist es gelungen, Reinzüchtungen zu erzeugen und zu übertragen.

Was nun den Kampf gegen diesen gefährlichen Feind des menschlichen Augenlichts betrifft, so spielt in ihm die Vorbeugung die größte Rolle, hier ist sie dankbarer als bei allen andern Krankheiten.

Die Krankheit könnte nämlich ganz und gar zum Verschwinden gebracht werden, wenn vor der Geburt die nöthigen Maßregeln ergriffen würden. In dieser Beziehung kann der Hausarzt nicht früh genug um Rath gefragt werden, zumal in Familien, wo bereits ein Kind mit diesem Leiden geboren worden ist.

Wenn dies aber versäumt worden ist, so giebt es doch Mittel und Wege, die Krankheit unmittelbar nach der Geburt sicher zu beseitigen. Professor Credé in Leipzig machte nämlich 1880 die glänzende Entdeckung, daß ein einziger Tropfen einer ganz schwachen Höllensteinlösung, unmittelbar nach der Geburt dem Kinde ins Auge gegossen, alle jene von Neisser entdeckten Gonococcen vollkommen zerstörte.

Diese herrliche Beobachtung hat bereits die schönsten Erfolge gezeitigt. Während früher nämlich in den Entbindungsanstalten zehn Prozent der Kinder von dieser Entzündung befallen wurden, erkrankt jetzt daselbst kaum mehr ein Zehntel Prozent daran. Jedes Kind erblickt also jetzt in den meisten Anstalten nicht das Licht der Welt, sondern einen Tropfen Höllensteinlösung, der sein Auge in jedem Falle vor der gefährlichen Krankheit schützt, ohne ihm im geringsten zu schaden.

In Breslau macht sich die Abnahme der Krankheit schon ganz außerordentlich geltend. Während noch vor zehn Jahren in meiner Polikinik täglich mindestens ein halbes Dutzend Kinder mit dieser gefahrvollen Krankheit erschien, vergehen jetzt Wochen, ehe einmal ein Fall vorkommt, und dieser ist dann meist vom Lande, wo kein Arzt bei der Geburt zugegen war.

Würde diese Methode bei allen Neugeborenen auch in der Privatpraxis angewendet, so könnten wir hoffen, dreißigtausend völlig Blinde in Europa weniger zu haben, aus den Blindenanstalten ein Drittel der Blinden verschwinden zu sehen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_362.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)