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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Ja zu sagen, dennoch, von der Gewalt ihres alten Gefühls getrieben, schließlich Nein sagen würde, war ihm ganz sicher.

Ihr Wunsch, daß er heute mit einer Schar von Bekannten draußen erscheinen solle, ließ sich allerdings nicht erfüllen bei dem Regen! Aber als der Nachmittag vorrückte, entstand trotzdem Unruhe in ihm.

„Sie wird mich vergebens erwarten,“ dachte er, und als er sich vorstellte, wie sie mit ihren dunklen sehnsüchtigen Augen in den Regen hinausstarrte, überfiel ihn das heftigste Verlangen nach ihr.

Er kleidete sich schleunig an, hing seinen Mantel um und ging in das Nebenhaus, wo der Rittmeister von Ehrhausen das erste Stockwerk bewohnte.

Die Baronin freute sich seines Erscheinens unbändig. Sie hatte gerade vor Langerweile weinen wollen und ihrem Mann eine Scene gemacht über das öde Dasein in einer kleinen Garnison.

„Das ist nur was für bedeutende Geister,“ sagte sie, „wenn man nicht ganz versimpeln will. Ich mag nicht lesen. Ich mag nicht Klavier spielen. Ich mag nicht malen. Ich mag nicht sticken. Ich muß Menschen haben, viele Menschen und sehr nette. Clairon, Sie retten durch Ihr Erscheinen meinen armen Mann vor einem fürchterlichen Abend. Ich bin ja nicht böse und sehe meine Schlechtigkeit ein. Aber ich bin nun mal so.“

„Eigentlich wollte ich Sie nur abholen; ich wollte Sie bitten, Ehrhausen, anspannen zu lassen und …“

„Ausfahren? Bei dem Wetter? Nein!“ rief sie dazwischen und that, als ob sie friere, indem sie ihr Spitzentüchlein um die Schultern nahm, „ich bin ohnedies etwas erkältet. Wohin denn?“

„Nach Römpkerhof.“

„Mit meinem abscheulichen Regenmantel? Lea lacht mich ja aus, daß ich noch immer dies Monstrum trage!“

„Aber wie die Herrschaften draußen sich wohl langweilen müssen! Sind wir es ihnen nicht gerade bei dem Wetter schuldig, sie aufzusuchen?“ bat Clairon.

„Du kannst ja hier bleiben,“ rieth ihr Gatte.

„Allein? Ich? Wie finden Sie das, Clairon?“

„Also kommen Sie mit!“

„Aber ich muß mich umkleiden – ich kann doch bei diesem Wolkenbruch nicht mit solchem hellen Kleid fahren,“ sagte sie zweifelnd. Ihre Zweifel galten also schon der Wahl des Kleides, nicht mehr der Fahrt.

„Aber bitte, schnell, ich lasse sofort anspannen.“

Ehrhausens gingen hinaus und Clairon blieb allein. Er wartete, eine Viertelstunde, eine halbe. Der Wagen fuhr vor. Man hörte draußen den Rittmeister schelten. Wieder eine halbe Stunde. Es schlug sechs Uhr. Da endlich kam die kleine Frau, frisch, niedlich, grau wie ein Mäuschen, und sagte mit der unschuldigsten Miene:

„Ich habe sehr schnell gemacht.“

Ihr Gatte seufzte.

„Das ist noch mein größtes Unglück in dieser Ehe,“ sprach er, „daß ich ihr nie böse sein kann. So werde ich sie auch nie erziehen.“

„Ach Du,“ rief sie und schlug mit dem Handschuh nach ihm.

So wurde es denn halb sieben Uhr, bis man abfahren konnte. –

Auf Römpkerhof erwartete sie niemand außer Lea. Diese ging gleich nach Tisch in ihr Zimmer und bat, daß man sie rufe, wenn „jemand“ käme.

Rahel sah der Schwester innig und sorgenvoll nach. Sie schonte ihr Gemüth heute, sie tastete mit keiner Frage, kaum mit einer leisen Zärtlichkeit an ihre Seele. Sie dachte, daß der Schwester das Herz zum Zerspringen voll sein müßte, und daß an einem solchen Tage alle ihre Gedanken dem Erwählten gehörten. Aber sie umgab Lea mit immerwährender, zarter Aufmerksamkeit.

Im Laufe des Vormittags sandte Lüdinghausen durch seinen Reitknecht einen sehr ehrfurchtsvollen, kurzen und ernsten Brief an Lea, meldete, daß er seinem Vater eine Depesche geschickt und daß sie es seiner Pietät zu gute halten möge, wenn er erst die Antwort abwarte. So könne es Abend werden, ehe er vor ihr erscheine, er hoffe dann aber, gleich die Segensgrüße seines Vaters mitbringen zu können. Lea verschlang förmlich diese Zeilen, denn sie ersah das eine daraus, was ihr heute die Hauptsache war, nämlich daß Lüdinghausen wahrscheinlich erst später eintreffen würde als Clairon.

Sie wartete nun mit nervöser Ungeduld. Er sollte und mußte kommen, und sie würde ein Alleinsein von zwei Minuten schon zu erzwingen wissen, um ihm zu sagen: ich bin Lüdinghausens Braut. Der Regen rann gleichförmig hernieder, das Blattwerk der Bäume glänzte blank, an den Rasenkanten höhlten die fließenden Wassermengen Rinnsale aus und führten den Sand mit hinweg, die zarten Pflanzenleiber der Astern und Levkojen lagen gebadet und mit Erde befleckt flach zu Boden – es war unbeschreiblich traurig und endlos eintönig, dies Bild der Natur.

Die Stunden schlichen. In Lea erwuchs eine zornige Verzweiflung, sie hätte toben mögen. Aber Clairon kam immer nicht.

Eben schlug es sieben Uhr, als Rahel hastig eintrat, entgegen ihren sonstigen sicheren und sachten Bewegungen. Mit hochrothem Gesicht rief sie:

„Er ist da.“

Lea stieß einen Laut aus, einen Seufzer, der fast einem Aufstöhnen glich.

„Allein?“ fragte sie mit blassen Lippen.

„Nun, sein Vater kann doch erst in zwei Tagen hier sein!“ sagte Rahel.

„Ach – Lüdinghausen!“ entfuhr es Lea. Das war voll so unverhohlener Enttäuschung, so ganz deutlich in der Mattigkeit gesagt, welche jäh zurückfluthende Freude hinterläßt, daß Rahel es bemerken mußte.

Ein schreckensvolles Verständniß fuhr ihr wie ein Blitz durch die Gedanken. Sie taumelte fast zurück.

„Also doch! Doch noch!“ stammelte sie. „Du dachtest an einen andern? Erwartetest einen andern?“

Lea faßte sich und erwiderte ungeduldig:

„Ich bitte Dich, nun endlich davon zu schweigen. Ich habe Dir doch gestern abend noch gesagt, wie die Sachen stehen.“

Aber diesmal glaubte Rahel nicht mehr so schnell und so blind. Sie ging wieder treppab, fast mit wankenden Schritten, fassungslos und entsetzt. Wie soll das werden? Was muß ich thun? fragte sie sich.

Sie ging in das Zimmer ihres Vaters – natürlich, es war leer. Herr von Römpker hatte den Schwiegersohn eben der Hausfrau zugeführt. Rahel wußte kaum, was sie that, sie ging an die Thür des Salons und rief:

„Papa, ein Wort!“

Herr von Römpker kam sogleich und eilte der sich schon entfernenden Rahel nach. Er glaubte, daß Rahel ihn nach den Weinsorten fragen wolle, die heute abend auf den Tisch kommen sollten, und war ärgerlich, denn er hatte Ludwig schon die nöthigen Anordnungen gegeben.

„Was willst Du? Ludwig weiß ja über alles Bescheid.“

Rahel wandte sich plötzlich um, ergriff mit beiden Händen den rechten Arm ihres Vaters, als wolle sie sich daran halten, und sprach leise:

„Papa, ich beschwöre Dich, von der Verlobung Leas kein Wort verlauten zu lassen, nicht einmal gegen Raimar. Gönne ihr noch Zeit! Ich bin gewiß, daß Lea Clairon noch liebt. Hilf ihr nicht, in der Verblendung ein Unrecht zu thun!“

Herr von Römpker sah in das völlig farblose und erregte Gesicht seiner Tochter. Er war so erstaunt, daß er nicht einmal unwillig wurde. Er wunderte sich nur, wie man sich über die harmlosen, unbegreiflichen Einfälle eines Kindes wundert, die weiter keine ernste Beachtung verdienen.

„Thu mir den Gefallen, Rahel, und schweig von der alten Geschichte, über die längst Gras gewachsen ist. Clairon konnte nicht geheirathet werden – das that vielleicht weh – Lea wie er haben sich aber darein gefunden, Du hast doch schon oft genug gesehen, daß sie ganz unbefangen als gute Freunde verkehren. Nun thut Lea das Vernünftigste, was sie thun kann: sie nimmt den bedeutendsten und reichsten Bewerber, der sich ihr je genähert hat. Und Lea weiß, was sie thut. Alt genug ist sie auch, sie wird schon wissen, wie es in ihrem Herzen aussieht und wie sie mit sich fertig wird.“

„Papa,“ erwiderte Rahel mit flüsternder Stimme, denn sie standen auf dem Flur und konnten gehört werden. „Du mußt Dir doch sagen, daß die Unmöglichkeit, Clairon zu heirathen,

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