Seite:Die Gartenlaube (1891) 347.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

aus dessen oft mit Giftzähnen bewehrtem Munde die gespaltene Zunge spielt, der berückende Starrblick der glänzenden Augen, die so rasch eintretende Wirkung ihres tödlichen Bisses – das alles mußte diese Kriechthiergattung der im Volksgemüth überall vorhandenen Sucht zur Mythenbildung als außerordentlich dankbaren Gegenstand empfehlen.

Gewiß ist es lohnend, der Entstehung dieser oder jener wunderbaren Schlangensage nachzuspüren. Aber fast noch interessanter ist es offenbar, wenn im Volksmunde lebende Erzählungen betreffs Eigenthümlichkeiten dieser oder jener Schlange, die zwar sehr seltsam klingen, deren Behauptungen aber nicht außerhalb der denkbaren Möglichkeit fallen, von berufener Seite gewissenhaft untersucht und durch eigene sorgfältige Beobachtung als wahr erkannt werden. Eine solche „zu Ehren gebrachte“ Schlangenerzählung, zwar nicht bei uns, sondern auf indischem Boden spielend, bildet den Gegenstand dieser Zeilen.

In einigen für einen größeren Leserkreis berechneten Werken über Zoologie findet man bei der Besprechung der Cobra oder indischen Brillenschlange (Naja tripudians) die beiläufige Bemerkung, daß dieses allgemein mit Recht gefürchtete Reptil bei den abergläubischen Eingeborenen der Gegenstand eines „albernen Märchens“ sei, das da behaupte, es trügen manche Exemplare solcher „Cobras“ einen im Dunkeln leuchtenden Stein mit sich umher, den sie aufs sorgfältigste hüteten und nöthigenfalls mit größtem Muthe vertheidigten, da ihr ganzer Sinn an diesem kostbaren Schatze hänge. Nie sei die Cobra leichter zu erzürnen, niemals vergifte ihr Biß so schnell wie dann, wenn man ihr jenes Kleinod zu rauben trachte.

Das Märchen der „unwissenden“ Eingeborenen wurde als Albernheit verlacht, wie sich’s gebührte, gerade so, wie man bis zu Darwins Untersuchungen über die „fleischverzehrenden Pflanzen“ das „Märchen“ vom Insektenfange der nordamerikanischen Dionaea muscipula (Fliegenklappe, Venusfliegenfalle) gelacht hatte. Seitdem aber der amerikanische Forscher Professor H. Hensoldt auf Ceylon Gelegenheit gehabt hat, solche mineralogisch gesinnte Cobraschlangen in ihrem Thun und Treiben zu belauschen, wird man, so unangenehm dies vielleicht auch sein mag, nicht umhin können, den Hindus und Tamulen Recht zu geben. Der genannte Gelehrte hat seine im Jahre 1876 in der Nähe von Point de Galle gemachten Beobachtungen an Brillenschlangen und seine erste Bekanntschaft mit dem „Najâ- Kallu“ (Schlangenstein) sehr anschaulich in Harpers „Monthly Magazine“ geschildert, dem das Folgende entnommen ist.

Schon auf früheren Reisen in Indien hatte Hensoldt die seltsame Geschichte gehört, die ich eben kurz angedeutet habe, mit dem Zusatze, daß von etwa je zwanzig Schlangen eine die glückliche Besitzerin eines Leuchtsteins sei; er hatte indessen diesen Erzählungen kein Gewicht beigelegt. Zu seinem großen Erstaunen fand er in seinem Wirthe, einem deutschen Pflanzer, einen eifrigen Vertheidiger jener Anschauung: er selber wie auch die übrigen Mitglieder seiner Familie hätten zusammen wenigstens vierzig Cobras mit solchen Steinen beobachtet, und es werde nicht schwer halten, einen solchen aufzutreiben. Befragt, wie denn jenes Mineral beschaffen sei, beschrieb Herr Warkus dasselbe als halbdurchscheinend, von gelblichgrüner Farbe, an Gestalt und Größe etwa einer Erbse gleich, im Dunkeln gebe es ein deutliches Glimmlicht von sich. Der amerikanische Gast erfuhr außerdem noch, daß derartig ausgezeichnete Cobras selten ihre Wohnsitze in den Dschungeln verließen, und daß es immer sehr viel Achtsamkeit erheische, den Stein zu erlangen, da, von der Gefahr eines Bisses abgesehen, das Thier, wenn es sich erschreckt fühle, seinen Schatz ergreife und, ihn im Rachen verbergend, eilends flüchte. Seine singhalesischen und tamulischen Diener hätten ihn sogar versichert, daß eine beranbte Schlange oft vor Kummer über ihren Verlust verende.

Dies alles machte natürlich bei Hensoldt den lebhaften Wunsch rege, selbst eine Kallu-Najâ zu beobachten, sodaß er, um den Eifer der eingeborenen Diener anzuspornen, eine Belohnung von fünf Rupien (etwa 10 Mark) demjenigen von ihnen versprach, der in nächster Zeit eine solche Schlange aufspüre. Ein Kuli, der nur wenige Cents täglich zu verdienen pflegt, betrachtet natürlich die genannte Summe als einen kleinen Schatz. Die eigenen Bemühungen des amerikanischen Naturforschers führten zu keinem günstigen Ergebnisse, da er bei mehr als fünfzig getödteten Cobras sogar die Mägen vergebens nach dem Steine durchsuchte. Nach Ablauf mehrerer Tage endlich wurde ihm des Abends gemeldet, daß ein tamulischer Diener das gesuchte Thier ausfindig gemacht habe. Eiligst folgte unser Forscher der willkommenen Aufforderung, so eilig, daß selbst die getreue Gefährtin jedes Tropenreisenden, die erprobte Flinte, zurückblieb. Wir lassen ihn nun selbst erzählen:

Der Tamule führte mich etwa eine starke Meile quer durch den nördlichen hügeligen Theil der Pflanzung, dann verfolgten wir durch das Dickicht einen schmalen Fußpfad, der uns zu einem von mir schon früher einmal besuchten kleinen Wasserfall leitete. Ganz nahe dem Wasser erhob sich ein ungeheurer Tamarindenbaum, dem wir uns auf etwa fünfzig Schritte näherten, als plötzlich mein Begleiter Halt machte, indem er in geheimnißvoller Weise nach dem Baume hindeutete. Dort, sagte er, liege die Najâ, aber keinen Schritt weiter werde er mit vorgehen, und mit zahllosen Gebärden und Grimassen, die einem Cirkusclown stürmischen Beifall errungen hätten, suchte er mich auf die drohende Gefahr eines solchen Wagnisses aufmerksam zu machen. Da ich indeß von meinem Standorte aus nichts wahrzunehmen vermochte, so näherte ich mich vorsichtig noch weiter bis auf ungefähr ein Dutzend Ellen dem Baume, als ich mit einem Male unwillkürlich wie angewurzelt stehen blieb. War das wirklich das Räthsel der Najâ? Ganz nahe dem Grunde des Stammes bemerkte ich im Grase ein grünliches Licht, anscheinend von einem einzigen Punkte ausstrahlend. Im ersten Augenblick glaubte ich einen sogenannten Glühwurm, das Weibchen der wohlbekannten Lampyris noctiluca, des Johanniswürmchens, vor mir zu sehen, da das Licht dem von jenem Insekte ausgestrahlten sehr ähnlich war; doch bald, nachdem ich den Schein eine Weile fest ins Auge gefaßt hatte. kam ich zu der Ueberzeugung, daß hier etwas anderes vorliegen müsse. Bei den Lampyriden nämlich, wie bei allen „phosphorescirenden“ Insekten, bleibt die Stärke des ausgesandten Lichtes nicht dieselbe, sie nimmt in Zwischenräumen ab bis zum schwachen Glimmen, um dann sich wieder zum hellen Glanze zu steigern – hier aber nahm ich ein sich gleichbleibendes ununterbrochenes Leuchten wahr. Hinzufügen will ich noch, daß die Luft an jenem Abend von Feuerfliegen wimmelte.

Nach einiger Zeit konnte ich auch die Schlange selbst unterscheiden. Sie lag nahe dem Fuße des Baumes, in einen „Teller“ zusammengerollt, ganz ruhig, nur daß sie langsam den Kopf hin und her bewegte. Da mir die Flinte fehlte, so war ich in Verlegenheit, auf welche Weise ich den Stein mir sichern könnte, und ich weiß wirklich nicht, zu welchem verzweifelten und unzweckmäßigen Verfahren ich mich durch meine Begier, das Geheimniß zu lösen, hätte hinreißen lassen, wenn nicht mein Kuli plötzlich Einspruch erhoben hätte. Der gewissenhafte Bursche, von dem Gedanken durchdrungen, daß er eine Art von Verantwortlichkeit für meine Sicherheit trage, war sacht herbeigeschlichen, und, meinen Arm festhaltend, flehte er mich an, doch ja keinen Versuch zu machen, mich des ‚Kallu‘ zu bemächtigen, sein Herr werde ihn sicher zu Tode prügeln lassen, wenn mir etwas zustoße; er sei erbötig, in weniger als zwei Tagen den Stein herbeizuschaffen durch eine besondere List, vorausgesetzt, daß für den Augenblick die Cobra ganz ungestört bleibe. Obgleich ich nicht viel Hoffnung auf sein Versprechen setzte, so erkannte ich doch rasch, daß jeder Versuch in diesem Augenblicke fehlschlagen müßte, und hielt es daher unter solchen Umständen für vernünftiger, mich zurückzuziehen; aber niemals habe ich einen Platz mit solchem Widerstreben verlassen wie den Ort dieses seltsamen Schauspiels. Der Najâ-Kallu hatte mich als ein ungelöstes Geheimniß vollkommen bezaubert – zwei Stunden zum mindesten hatte ich ihn angestarrt.

Auf unserem Rückwege versicherte mich der Tamule, daß, falls die Cobra nicht erschreckt worden sei, sie ganz sicher die nächste Nacht zur nämlichen Stelle zurückkehren werde, und daß er sich ein Verfahren ausgedacht habe, um den Stein innerhalb zweier Tage zu bekommen. Die Schlange zu schießen, sei ein schlechter Plan in Bezug auf den Stein. Ich suchte seinen Eifer anzufachen durch Zusicherung einer Extrabelohnung von fünf Rupien, falls er mir den Kallu verschaffe.

Der schlaue Bursche hielt Wort. Ganz in der Frühe des zweiten Tages nach dem geschilderten Abenteuer rückte er an und überbrachte mir den Cobrastein. Es war ein halbdurchscheinendes, offenbar durch die Thätigkeit des Wassers abgerundetes Mineralgeschiebe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_347.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)