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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Eine Krone als Pfand. In dem Roman „Die Könige im Exil“ von Daudet kommt der Zwischenfall vor, daß ein König seine Krone als Pfand hinterlegen muß, aber diese Romanerfindung wurde neuerdings durch ein wirkliches Ereigniß parodirt. Bei einem Gasthofsbesitzer in Ostende verpfändete ein König seine Krone für seine zu mehreren tausend Franken angewachsenen Gasthausschulden. Als der Wirth indeß die Schachtel öffnete, fand er in Papier eingewickelte Kieselsteine darin. Und doch war’s ein fürstliches Haupt aus Ostasien gewesen, Marie I., König der Sedangs, der bei ihm gewohnt hatte. Marie I., der als „regierender Fürst“ den Namen seiner Mutter annahm, war in Paris geboren und wurde, nachdem er sein Erbe durchgebracht, nach Tongking geschickt, um sich dort irgend eine Stellung zu verschaffen. Er begab sich, und zwar mit Unterstützung der Regierung, zu den unbekannten Stämmen des Innern, und da er durch seine Kraft und Gewandtheit auf diese Eindruck machte, so wählten ihn die Sedangs zu ihrem König. Er kehrte nun nach Tongking und dann nach Frankreich zurück und vertheilte überall die Großkreuze und kleineren Insignien des von ihm gestifteten Ordens. Dafür mußten die Empfänger ihm Geld borgen oder auf sein Anlehen zeichnen. Zwar nicht von der Regierung, aber von hundert unternehmungslustigen Glücksrittern, die ihm ihre Dienste anboten, wurde König Marie ernst genommen. In Paris ging’s mit seiner Herrlichkeit alsbald zu Ende; aber in Belgien fand sich ein reicher Kaufmann, der ihm 40 000 Franken, Waffen und sonstige Ausrüstung zu einem Zuge zu den Sedangs gab. Auf dem Schiffe machte er die tollsten Streiche; in Singapore verliebte er sich in eine Mulattin und brachte mit ihr das ganze Geld für die Expedition durch. Auf einer benachbarten Insel gerieth er in Streit mit einem Franzosen Villeneuve, den er wahrscheinlich vergiftete. Der französische Konsul in Singapore wollte ihn verhaften lassen. Doch Marie I. starb inzwischen durch Selbstmord oder von einem andern vergiftet. Ein starkes Gift trug er immer neben seinen Orden bei sich, um gelegentlich von dem einen oder von den anderen Gebrauch zu machen. In seinem Nachlaß fanden sich hübsche rosarothe Postmarken mit fünf Kronen, doch hat es nie in seinem Reiche eine Post gegeben.

Verhängnißvoller Augenblick. (Zu dem Bilde S. 329.) Aus dem Bergdorfe, das am rauschenden Gletscherbach zwischen Matten und Felshängen liegt, will sie hinaufsteigen zu ihrer Alm, die schlanke, wetterbraune Sennerin. Der schmale Steig, den sie eingeschlagen hat, ist eigentlich ein verbotener, weil er über den Bahndamm führt an einer Stelle, wo derselbe nicht betreten werden sollte. Es ist überhaupt eigentlich gar kein Steig, sondern man gewahrt nur einzelne Tritte, die an der steilen Geröllhalde hinaufführen, nur gangbar für die schwindelfreie Aelplerin. Und nun, wie sie den Schienenweg erreicht hat und elastischen Schrittes darüber hinwegeilen will, um an der Bergwand weiter hinan zu klimmen, sieht sie auf dem schwarzen Eisengestänge einen reichlich zentnerschweren Gneißblock liegen, der aus der Höhe herabgerutscht und zuletzt, vielleicht vor einer Stunde erst, auf die Schiene herabgestürzt ist. Oder haben ihn verruchte Hände hingewälzt, um ein entsetzliches Unheil herbeizuführen, ein Unheil, das krachend und dröhnend mit zerberstenden Wagen, mit zerklirrenden Maschinentheilen und mit dem Todesschrei von Hunderten in den Abgrund hinunter donnern sollte?

Gleichviel, wie er dahin kam – der Stein gehört nicht dahin, so denkt sich das brave Mädchen; mit ruhiger Entschlossenheit setzt sie den eisenbeschlagenen schweren Bergstock an, um mit seiner Hebelkraft den Felsblock vom Geleise zu rücken. Sie strengt sich noch nicht an; aber in der nächsten Sekunde schon wird sie das Dröhnen des Postzuges vernehmen, der unfern aus der dunklen Mündung des Tunnels hervor kommt. Und dann – dann faßt sie mit beiden Händen den Stein; die Muskeln ihrer Arme spannen sich an, als wollten sie zerspringen; – eine riesenhafte Anstrengung – aber im nächsten Augenblick rollt der Fels über den Damm hinaus, um in mächtigen Sätzen den Steilhang hinunterzukollern, bis er mit einem letzten Sprung in den Gletscherbach unten stürzt, dessen Wellen über ihm zusammenschlagen.

Die wackere Sennerin aber hat gerade noch ein paar Sekunden Zeit, um ihren Stock wieder zu ergreifen und mit einem Satze vom Bahndamm wegzuspringen – fast, daß ihr wehendes Gewand noch von den Puffern der herantosenden Lokomotive berührt wird. Dann aber läßt sie lächelnd den Zug an sich vorüber donnern; wie Märchengestalten erscheinen ihr die schwarzen Männer auf der Lokomotive, die Köpfe der Reisenden an den Fenstern. Keiner von denen, die da herausschauen, ahnt es wohl, daß die schlichte Magd im Bauernkittel, die da, auf ihren Bergstock gelehnt, nach der Wagenreihe hinaufblickt, wenige Sekunden vorher als Schutzgeist eine That vollbrachte, die ein grauenhaftes Unglück verhütet hat.

Und der Lärm des Zuges verhallt hinter dem nächsten Felsvorsprung. Die Sennerin aber klettert ihren steilen schmalen Weg weiter empor zwischen Fels und Krummholz. Erst eine Viertelstunde später, wie sie ein sonniges Rasenfleckchen erreicht hat und in schwindelnder Tiefe unter sich den Bahnzug noch einmal sieht, der unterdessen in meilenlanger Schlangenwindung ganz ins Thal hinabgekommen ist und langsamer nun der Station zufährt: erst da hält sie still. Auf ihren Bergstock gelehnt, läßt sie die braunen Augen hinunterschweifen ins Thal und hinüber nach Ost und West, wo sie ferne Schneehäupter flimmern sieht. Und dem hohl klagenden Pfiff, den das Eisenungethüm unten am Bahnhof ausstößt, antwortet hoch auf luftigem Bergvorsprung ein heller freudiger Jauchzer, den aber niemand vernimmt, als der harzduftende Bergwald und das sonnenbeglänzte Gestein. M. H.

Ein Thierkoloß. (Mit Abbildung.) Eine seltsame Last hatte der Riesenkrahn am Krahnhöft zu Hamburg kürzlich in die Höhe zu winden: es war ein gewaltiges Exemplar von einem Finnwal, welcher, von der tödlichen Harpune an der norwegischen Küste ereilt, vom Dampfer „Neptun“ bis in die Fluthen der Elbe geschleift worden war, um dort den Hamburgern als Sehenswürdigkeit gezeigt zu werden. Man hatte ihn „am Schwanz aufgezäumt“, d. h. ihn mit dem Schwanzende an dem Flaschenzug befestigt, und langsam stieg der über zwanzig Meter lange und 80 000 Kilogramm schwere Fischleib in die Höhe. Als er aber fast ganz aus dem Wasser war und dieses nicht mehr an dem Gewichte des Meerriesen tragen half, da wurde dem armen Schwanz die Last zu schwer und er riß ab – den verstümmelten Körper seinem feuchten Element zurückgebend. Man hatte nicht bedacht, daß man wohl einen frisch harpunirten Wal am Schwanze aufhängen kann, daß dies aber nicht mehr geht, wenn, wie in diesem Fall, bereits Wochen seit dem Fange des Thieres vorüber sind. Es blieb nichts übrig, als den Koloß nach dem Steinwärder zu bugsiren und ihn mit Benutzung der Fluth möglichst hoch an Land zu bringen. Dort konnte man zur Zeit der Ebbe die gewaltigen Massen des todten Riesen bestaunen.

Der Finnwal am Riesenkrahn in Hamburg.
Nach einer Momentphotograbhie von Pet. Nissen in Hamburg-St. Pauli.


Kleiner Briefkasten.

W. B. in Bremen. In der Anrede und auf der Adresse ist die Bezeichnung „Königliches Kommando“ bei allen Regimentern Vorschrift.

M. St. in Verden. Wenden Sie sich an die Vorsteherin des Viktoriahauses für Krankenpflege in Berlin!

C. R., Lehrer in K. (Württemberg). Sie haben in Ihrem Schreiben übersehen, Ihren Wohnort anzugeben. Theilen Sie uns denselben mit, damit wir Ihnen bezüglich des Liedes „Stille Nacht, heilige Nacht“ die nöthige Aufklärung geben können.


Inhalt: Lea und Rahel. Roman von Ida Boy-Ed. (3. Fortsetzung). S. 325. – Die neue Pfeife. Bild. S. 325. – Unschuldig verurtheilt. Beiträge zur Geschichte des menschlichen Irrthums. Neue Folge. III. Von Fr. Helbig. S. 328. – Verhängnißvoller Augenblick. Bild. S. 329. – Aus Thüringer Erde. Die Töpfereien zu Bürgel. Von Hermann Ferschke. S. 331. Mit Abbildungen S. 331, 332 und 333. – Eine unbedeutende Frau. Roman von W. Heimburg (19. Fortsetzung). S. 334. – Der Prior kommt. Bild. S. 336 und 337. – Blätter und Blüthen: Das Buch von der gesunden und praktischen Wohnung. S. 339. – Eine Krone als Pfand. S. 340. – Verhängnißvoller Augenblick. S. 340. (Zu dem Bilde S. 329.) – Ein Thierkoloß. Mit Abbildung. S. 340. – Kleiner Briefkasten. S. 340.


manicula 0 Hierzu Kunstbeilage VI: 0 „Zur Maienzeit“.0 Von E. Keyser.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_340.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)