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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Menschen, die sowohl von ihm, als wieder unter sich so verschieden waren, jene ausgleichende, verbindliche Unterhaltung über nichts und alles zu führen. Nun hatte er aber das peinliche Gefühl, daß man erwartete, der „bedeutende“ Mann solle mit seinem Geist glänzen.

In solcher Lage befiel ihn stets gerade entgegengesetzt der Hang zur Schweigsamkeit, und anstatt die Menschen zu unterhalten, beobachtete er sie.

Lea dagegen befand sich just in solchen Stunden, wo die Langeweile um jeden Preis gar nicht erst aufkommen durfte, in ihrem richtigen Fahrwasser. Vielleicht hatte sie recht, wenn sie von sich behauptete, sie sei für die große Gesellschaft geboren. Sie verstand es, alle Welt zu unterhalten, und in dem Maße, als es ihr gelang und sie zugleich fühlte, daß man ihre Verdienste darum bewundere, in dem Maße stieg auch die Munterkeit ihres Geistes, ihre gute Laune und damit ihre Schönheit.

Ihr Vater, von dem sie diese Eigenschaften geerbt hatte, für andere hinreißend liebenswürdig zu sein, berauschte sich förmlich an der Art seiner schönen Tochter, und von ihr fortgerissen, entwickelte auch er seine wahrhaft kindliche Heiterkeit.

Rahel bemerkte man gar nicht mehr. Lüdinghausen vergaß sie ganz, aber er beobachtete Lea in aufrichtiger Bewunderung und dachte: „Die hat alles, was mir fehlt.“

(Fortsetzung folgt.)




Zur Jubelfeier des weimarischen Hoftheaters.

Von Johannes Proelß.

Die Woche des 7. Mai bringt für Weimar wieder einmal eines jener Jubiläumsfeste, denen die Erinnerung an die klassische Karl Augusteische Zeit Anlaß und Weihe giebt.

Am 7. Mai 1791 wurde das bereits sieben Jahre zuvor erbaute „Redouten- und Komödienhaus“ der Herzogin Anna Amalie in den ausschließlichen Dienst der dramatischen Muse gestellt und als herzogliches Hoftheater feierlich eingeweiht. Vorher war das Bühnenhaus – wie früher schon der Theatersaal im Schlosse bis zu dessen Brande an die Kochsche, dann die Seylersche Wandertruppe – an die Bellomosche Schauspielgesellschaft vermiethet gewesen; jetzt hatte Karl August die Absicht, nach dem Vorgange anderer Fürsten, die Bewirthschaftung des Theaters auf eigene Kosten bei öffentlichem Charakter desselben zu übernehmen.

Der Theaterzettel jenes denkwürdigen Abends, den wir auf Seite 316 abbilden, vereinigt in sich eine Reihe klangvoller Künstlernamen der damaligen Zeit. Was aber dem neuen Unternehmen seine Bedeutung verlieh und dem heutigen Jubelfest die geistige Antheilnahme der ganzen Nation zuwendet, ist der Name des auf dem Zettel nicht genannten Direktors, der im Auftrag des Herzogs die Leitung des neuen Theaters in die Hand genommen hatte. Jener Abend war der Anfang von Goethes Theaterleitung, die – epochemachend in der Geschichte des deutschen Theaters – über sechsundzwanzig Jahre, bis 1817, gedauert hat und deren buntbewegtes Vorspiel, das geniale Treiben des Liebhabertheaters am Hofe gewesen war, auf welchem der Dichter, wie sein Wilhelm Meister die Kunst des Schauspielers selbst geübt hatte.

Kein anderes der deutschen Theater, deren Anfänge mit der Blüthezeit unserer klassischen Litteraturperiode verflochten sind, hat die Ueberlieferung in gleichem Maße mit so überirdischem Glanz ausgestattet wie das Hoftheater von Weimar. Einem Zauberwort gleich weiß sein bloßer Name eine sonnige Welt hochgestimmter Kunstpflege von fast hellenischem Charakter heraufzubeschwören.

Der Duft der Orangenhaine von Belrigardo, in denen Tasso mit der Prinzessin lustwandelt, strömt uns aus derselben entgegen und durch die Zweige klingt lockend das schelmische Lachen der Philine. Fürsten und Fürstinnen, die, dem Genius huldigend, ihn bewirthen; bezaubernde Frauen und Mädchen, welche die würdigen Hofgewänder mit lustig bunten Bühnenkostümen vertauschen; ein romanhaft bewegtes Theaterleben, das nach Lust und Gelegenheit bald im Freien, bald im Prunksaale, bald in Wirthshausstuben seine Bühne aufschlägt:

„In engen Hütten und im reichen Saal,
Auf Höhen Ettersburgs, in Tieffurts Thal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht,
Und unter dem Gewölb der hohen Nacht.“

So steht das Bild dieser quellenden Ursprungszeit vor uns, und das Lachen Philinens wird übertönt vom süßergreifenden Gesange Mignons und der erschütternden Wohllautrede, wie sie der Goetheschen Iphigenie von den Lippen strömt – „das Land der Griechen mit der Seele suchend.“ Und so hat Wilhelm Kaulbach das Bild seiner Goethe-Galerie eingefügt: Goethe im Kostüm des Orest auf der offenen Gartenbühne im Ettersburger Park, von Karl August, der den Pylades gespielt, den beifallspendenden Zuschauern vorgeführt, während Corona Schröter, noch Iphigenie, auf der anderen Seite die apollinischen Locken des Dichters mit Lorbeer krönt. Vor der Bühne im Kreise, sitzend und stehend, die Mitglieder des Musenhofes: Anna Amalie in frohem Entzücken neben der still sinnenden Herzogin Luise; Charlotte von Stein und Amalie von Kotzebue, Lorbeer und Blumen dem bewunderten Dichter darbringend; voll Sympathie sich des Schauspiels freuend: Wieland, Musäus, Herder, Knebel und Merck.

Doch wie mächtig auch die goldene Legende von „Weimars goldenen Tagen“, vom „Musenhof“ zu „Ilm-Athen“ in unserer Zeit noch fortwirkt, die kritische Goetheforschung, welche auf den romantischen Kultus folgte, hat jene Zeit inzwischen doch des überirdischen Glanzes entkleidet und den schimmernden Schleier entfernt, welchen das dankbare Dichterwort und der verklärende Nachruhm um ihre „Wirklichkeiten“ gewoben. Wir wissen heute, wie viel Sterbliches jenem genialen Treiben der „Unsterblichen“ anhaftete, mit wie viel Entsagung diese „Huldigung der Künste“ für die großen freien Geister verknüpft war, welche irdischen Leidenschaften in das Kunstwalten jener Musen ihre Fäden wirkten, auf wie kargem Boden und mit wie dürftigen Mitteln sich der schöne Schein der Kunst dem Sein vermählte in dem Weimar Karl Augusts, das keineswegs oft von einem griechisch wolkenlosen Himmel überwölbt war und aus dessen engen Verhältnissen sich auch Goethe mehr als einmal hinweggesehnt hat – „das Land der Griechen mit der Seele suchend“. „Ein Mittelding zwischen Dorf und Hofstadt“ hat es Herder in einer Stunde offener Aussprache genannt. Und in der herrlichen Apotheose auf die Tage des Liebhabertheaters, welche Miedings, des Theatermeisters, Tod in Goethe anregte, verglich es dieser mit – Bethlehem.

Aber wie jede Erkenntniß der Wahrheit, so bringt auch diese ernüchternde einen Gewinn. Ist der Triumph nicht um so größer, wenn wir die hinreißende Wirkung des Genius, die Empfänglichkeit der Phantasie, das Hochgefühl der Seele als die eigentlichen Triebfedern jener Götterfeststimmungen erkennen? Erscheinen uns die schließlichen Erfolge von Goethes Theaterlust und Theaterleitung nicht um so bewundernswerther, je mehr wir die Schwierigkeiten ermessen, unter denen er aus dürftigen Anfängen die Bühne Weimars hinanführte zu ihrer späteren weithin herrschenden Höhe? Wir werden billiger in unserem Urtheil gegen die Gegenwart, wenn wir sehen, daß auch das vereinigte Genie eines Goethe und Schiller bei der Heranentwickelung des weimarischen Hoftheaters zu einem wahrhaften Tempel der Kunst gezwungen war, mit den realen Bedingungen seines geschäftlichen Gedeihens zu rechnen und der Schau- und Unterhaltungslust der Menge die Zugeständnisse zu machen, welche deren Bildung und deren Geschmack verlangten. Das unten mitgetheilte Programm der Eröffnungsvorstellung hat dafür symbolische Bedeutung. Der große Dichter hatte die Amtsführung, die Regiearbeit, er übernahm es auch, den Prolog zu dichten, was aber das Stück selber betraf, so rieth

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_314.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2023)