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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

er Lea noch zu wenig. Er wußte nicht, daß Hochmuth und Phantasie eine so seltsame Verwirrung in einem Frauenkopf anrichten können. Er fühlte deutlich nur zwei Dinge: daß sein Stolz maßlos gekränkt war durch die Vorstellung, wie er sein Ziel, die Heirath mit der Geliebten, nur durch kleinliche und demüthigende Beschwerden würde erreichen können, und weiter: daß er gar nicht das Recht habe, noch um Lea zu werben, wenn sie selbst es unter diesen Verhältnissen nicht wünschte.

„So müssen wir uns trennen? Su muß ich fort von hier?“ fragte er schmerzlich.

Lea riß sich von ihm los und sah ihn beinah zornig an.

„Fort?“ rief sie. „Welche Grausamkeit und welche Thorheit! Fort? Damit die Leute sagen sollen, Du habest einen Korb von mir bekommen? Oder gar der Wahrheit nachspüren? Ich beschwöre Dich, bleibe, wenn Du mich liebst!“

„Geliebte,“ sagte er innig, „das Bleiben ist aber ebenso grausam wie das Gehen. Ich soll Dir nach wie vor begegnen, als hätten diese lieben Arme sich niemals um meinen Hals geschlungen – als wären diese süßen Lippen nie den meinen begegnet? Ich soll vielleicht gar Zeuge sein, wie andere Männer Dich umwerben? Und endlich gar, wie Du Dich einem andern vermählst und aufhörst, mich zu lieben?“

„Das wird nie geschehen,“ rief sie wie in einem heiligen Schwur, „ich werde Dich ewig lieben! Und wenn wir vor den andern Menschen auch wie vordem freundlich und höflich mit einander verkehren müssen, ein Blick, ein Wort wird immer Dir und mir sagen, was in unsern Seelen brennt. Und ich werde darauf sinnen, Tag und Nacht, wie ich meine Lage ändern kann, die so, Gott weiß es, unerträglich ist. Aber verlaß mich nicht! Bleibe mit nahe! So lange, bis meine Zukunft klar ist.“

„So heißest Du mich wirklich bleiben?“ fragte er noch einmal.

„Ja, Robert, bleibe!“

„Leb wohl,“ flüsterte er, „für heute. Und laß mir die Hoffnung, daß ich Dich zuweilen so wiedersehe. Willst Du?“

Sie versprach es ihm nur mit einem glühenden, langen Blick. Und dann schieden sie mit vielen feurigen Flüsterworten heißester Liebe. –

Wie Lea so dahinschritt im Abendschatten und dann, aus der Baum Enge heraustretend, im Park noch den helleren Nachschein der eben erst untergegangenen Sonne fand, fühlte sie sich merkwürdig erregt. Der Sommerabend schien ihr voll von wunderbarer Melancholie; die gekräuselte Wasserfläche, die hohen Bäume und die duftenden Blüthenbüsche sprachen zu ihr. Die ganze Natur schien ihr ein Gedicht, ein großes und wehmüthiges.

Ihr war nicht zu Muthe wie einer, die eben über ihr Schicksal entschieden hat und ihres Lebens Glück dabei verlor, sondern etwa wie jemand, der aus dem Theater kommt, wo er ein poesievolles und traurig endendes Stück gesehen hat. In die Ergriffenheit über das Geschaute mischt sich die Freude an der minder traurigen Wahrheit ringsum und ein gewisser schöpferischer Drang.

Lea fühlte sich gleichsam bewaffnet, sie hatte die Begierde nach Ereignissen und den Willen zu einer neuen Lebensgestaltung mit hinweggenommen von diesem Abschied. War es ein Abschied? Und war dies kraftvolle Emporschießen heißen Lebensdranges nicht unbewußt das Gegentheil von Entsagung?

Sie grübelte jetzt nicht über sich selbst nach und gab sich nur voll ihrer Stimmung hin. –

Unterdessen hatten Rahel und die Mutter im Wohnzimmer neben dem Speisesaal miteinander gesessen. Frau von Römpker machte eine endlose Handarbeit aus bunten Seidenflicken, die sie zusammen auf eine Unterlage heftete und bei deren Farbenzusammenstellung sie in beständiger Rathlosigkeit war. Rahe saß ihr gegenüber an einem Tischchen, das vor einem offenen Fenster stand, und rechnete im Haushaltungsbuch, dessen ewige Fehler sie fast täglich für die Mutter in Ordnung zu bringen hatte.

Als die Zeit zum Abendessen nahte, kam der Diener und fragte, wo er den Tisch decken solle.

Frau von Römpker sah ihn mit einer Gegenfrage an, die deutlich auf ihrem Gesicht geschrieben stand.

Ludwig, dem man den gedienten Kavalleristen auf den ersten Blick ansah, hatte ein offenes, gutes Gesicht, mit hellen Augen, räthlicher Farbe und kurzgeschorenem Blondhaar darüber. Er stand, den Daumen an der Hosennaht – eine Haltung, welche ersich auch in der Livree nicht abzugewöhnen vermochte – und wartete.

„Hat mein Mann oder meine Tochter nichts darüber hinterlassen?“ fragte sie endlich.

„Weder der Herr noch das gnädige Fräulein haben Befehle gegeben,“ sagte Ludwig. Er sprach einen stark ostpreußischen Dialekt und sagte „jejeb’n“.

„Ich meine, Ludwig sollte hier decken. Da wir allein sind, ist es gemüthlicher,“ bemerkte Rahel, ohne von ihrem Bleistift, der eine Zahlenreihe entlang ging, aufzusehen. Nun wandte Frau von Römpker das bange Gesicht der Tochter zu.

„Wenn es Lea nur recht ist!“

„Ich glaube, es wird gerade ihr besonders recht sein.“

„Nun, Ludwig, decken Sie hier!“ befahl darauf Frau von Römpker.

Als er hinausgegangen war, sagte Rahel, indem sie eine Schlußziffer unter ihre Addition setzte:

„Mama, wie würdest Du darüber denken, wenn ich Dir fortan den ganzen Hausstand abnähme? Ich meine Geld und Schlüssel. Du weißt, ich kann ein bißchen rechnen und wirthschaften und würde Dich natürlich immer um Rath fragen.“

Raher hatte sich ausgedacht, daß dies ihr das Leben sehr vereinfachen würde, denn jetzt mußte sie doch alles nachrechnen und jede kleine Angelegenheit fünfmal mit der Mama besprechen. Außerdem fanden sich in dem Haushaltungsbuche Ausgaben, deren Höhe unwahrscheinlich und deren Nothwendigkeit unerfindlich war. Rahel wollte einmal sehen, ob sie nicht denselben glänzenden Hausstand mit weniger Mitteln führen könnte.

„Aber mein Kind,“ rief Frau von Römpker, über den Muth und die Eigenmächtigkeit Rahels sehr erstaunt, „wie könnten wir uns erlauben, einen so großen und wichtigen Entschluß zu fassen, ohne zu wissen, ob Papa und Lea ihn billigen! Und wie schwierig die Ausführung wäre, stellst Du Dir gar nicht vor. Denke nur, ich müßte Die ja alles feierlich überantworten, Dir das Silber und die Wäsche vorzählen, Dir die Einnahmen des Geflügelhofes vorrechnen.“

Rahel lachte. Sie hatte eine liebe Art, zu lachen, so halb in Rührung und halb in Belustigung über ihre hilflose kleine Mama.

„Ich weiß das ja alles schon, Mama. Du brauchst mir nur Dein Körbchen mit den Schlüsseln an den Arm zu hängen – das ist der ganze Akt der Uebergabe. Und mit Lea will ich schon sprechen. Papa bleibt, wie Du weißt, am liebsten mit dergleichen Fragen verschont.“

Ja, wenn Rahel mit Lea sprechen wollte, dann hatte die Mutter auch nichts dagegen!

Rahel besichtigte den Abendtisch und begab sich dann selbst in die Küche, um zu sehen, ob die Wirthschafterin auch die Schüssel mit Krebsen recht hübsch verziere. Als sie später wieder ins Zimmer kam, fand sie ihre Mutter beinahe in Verzweiflungsthränen.

„Papa kommt gar nicht. Er ist gewiß nach Kohlhütte geritten.“

„Aber Mama, er wird doch nicht!“

„Und Lea! Wo ist Lea? Wenn sie sich ein Leid anthut! Wenn sie mit Clairon fortgeht! O der Kummer und die Schmach!“

Rahel streichelte ihrer Mama die Wangen.

„Lea ist nicht danach, etwas Tolles und Schmachvolles zu thun, Mama,“ sagte sie, „beruhige Dich doch! Ich glaube gar nicht, daß sie die Sache so tragisch nimmt. Sie ist es ja auch gar nicht, und wenn Lea nur an Clairon festhält, sind die Schwierigkeiten – meiner Meinung nach – spielend leicht geebnet.“

„Sie sind unübersteiglich!“ jammerte die Frau.

„Unübersteiglich ist nur der alberne Hochmuth, welcher davor bebt, Geldangelegenheiten entschlossen anzufassen,“ sagte Rahel.

Ihr Mutter sah sie an und verstummte vor Erstaunen. Was Rahel sich heute nur alles herausnahm!

Dann fiel ihr wieder der Gatte ein.

„Er ist gewiß nach Kohlhütte geritten – alle Freunde merken es dann, daß bei uns etwas vorgefallen ist.“

Händeringend ging sie auf und ab. Rahel hatte in ihrem Herzen selbst recht wenig Glauben an die Wiederkehr ihres Vaters und vermochte nur schwach zu trösten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_298.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)