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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 18.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(1. Fortsetzung.)

2.

Römpker athmete auf wie ein Kind, welches den Schluß der Schulstunde schlagen hört, als er endlich im Sattel saß.

Zu Pferde fühlte er sich stets besonders jung, kraftvoll, zu Thaten wie zur Freude aufgelegt. Er war ein eleganter Reiter und war sich dessen stark bewußt. Seine ganze Stimmung hing immer von den Dingen ab, die ihn umgaben. In einem schlechtsitzenden, unkleidsamen Rock kam er sich alt, häßlich, unmanierlich vor. Bei Regenwetter erweckte die kleinste Mißhelligkeit seinen stärksten Unmuth und er hielt sich für ein Stiefkind des Glücks.

Er dachte nicht „ich will nach Kohlhütte“; er dachte überhaupt nicht „ich will so und so lange reiten und da und da hin.“ Er ritt aufs Gerathewohl die Landstraße entlang und bog wie mechanisch in den Heckenweg ein, der nach Kohlhütte führte. In dem Hasel- und Schlehenbuschwerk der Hecken raschelte ein leiser, angenehmer Wind. Fern und fein hörte man das Trilliren einer Lerche. Mit zarten Sinnen für die Schönheiten der Natur ausgestattet, empfand Römpker dies alles mit Genuß. Eine Art Rührung über die Herrlichkeit dieser Gotteswelt überkam ihn, eine gegenstandslose Sentimentalität, in welcher ihn das Verlangen ergriff, gut zu sein und Gutes zu thun. An ihm sollte es nicht liegen, wenn seine Lea nicht glücklich würde. Das mit Clairon war ja Unsinn – vielleicht ein bißchen Sport bei Lea, denn Clairon war der umworbenste Mann der Gegend. Aber er wollte ihr besser als bisher Gelegenheit geben, einen Gatten zu finden, ohne daß die unpraktischen und wahrhaft thörichten, kleinbürgerlichen Sparsamkeitsideen Rahels verwirklicht zu werden brauchten.

Wenn er seine eigene jährliche Badereise aufgäbe und dafür mit Lea diesen Winter an den Hof ginge?

O, Aufsehen würde sie schon machen und mehr als ein Bewerber dürfte sich finden, mindestens von Clairons Rang und reich obendrein.

Freilich, die Badereisen waren so nett gewesen! –

Aber er war ein Vater, der Opfer bringen konnte.

Hier wurden seine Gedanken, die sich ihm schnell und bunt aneinanderreihten, dadurch unterbrochen, daß er Kohlhütte vor sich liegen sah. Das rothe Dach des alten langgestreckten Gebäudes schimmerte durch die Pappeln, die es in regelmäßiger Reihe umstanden. Zu beiden Seiten von dem Herrenhause breitete sich das grüne Busch- und Baumwerk einer bescheidenen Parkanlage aus. Die Anfahrt ging durch schlechte Rasenplätze und an verkommenen Beeten vorbei. Für den Schmuck war auf dem Gut des wohlhabenden Junggesellen weder Zeit noch Geld übrig.

Römpker hielt sein Pferd an und bedachte sich. Ein fast unwiderstehliches Verlangen trieb ihn dahin, wo er wußte, daß man ihm hell entgegenjubeln würde, wo sehr lustige Stunden seinen Geburtstag doch noch zu einem wirklichen Festtag machen würden, und Raimar braute bei solchen Gelegenheiten eine Bowle -


Arco.
Nach einer Zeichnung von Tony Grubhofer.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_293.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)