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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


sonst nicht, was Du Wichtiges mit ihm zu reden gehabt hättest. Die Frau Bergrath ruhen ja nun bereits von ihren Thaten und brauchen Deine Hilfe nicht mehr.“

Maiberg hatte während dieser Reden den Freund, der wie ein gefangener Löwe auf- und abschritt, schweigend mit den Augen verfolgt, mit Augen, die, je heftiger er sprach, desto besorgter blickten.

„Leo,“ sagte er endlich, „willst Du Dich nicht setzen?“

„Es ist sehr gütig von Dir, daß Du mich in diesen Räumen aufforderst, Platz zu nehmen, es stimmt so nett mit Deiner vorhin erwähnten Vertrauensstellung.“

Maiberg überhörte die Anzüglichkeit und rückte einen Stuhl Leo gegenüber, der sich ins Sofa geworfen hatte, und sich selbst niedersetzend, sagte er: „Ich habe mit Dir zu reden, Leo. Bitte, denke, es sei wie früher, wo Du mir noch keine Gehässigkeit, sondern Vertrauen entgegen brachtest.“

„Kommst Du vielleicht im Auftrage meiner Frau?“

„Ja, Leo; und nun sei einmal wieder der logisch denkende, mild urtheilende und gerechte Mensch wie früher.“

„Du hältst mich, wie es scheint, für angehend geistesschwach!“

Maiberg antwortete nicht darauf. Er sagte nur ganz einfach: „Deine Frau läßt Dich ersuchen, Oberrode zu verlassen, da sie sich augenblicklich außer Stande fühlt, diejenigen Entschließungen zu treffen, die Euer leider so schwer getrübtes Verhältniß verlangt. Sie bittet Dich, Du möchtest Dich damit gedulden, bis die erste Trauer um ihre Mutter vorüber sei.“

Leo Jussnitz sah eine Sekunde lang den Sprechenden starr an, dann brach er in ein lautes krampfhaftes Lachen aus.

„Ich möchte Dir rathen, Leo,“ fuhr Maiberg unbeirrt fort, „thue ihr den Willen. So wie Ihr beide seid, Du überreizt, sie von geradezu starrer Entschlossenheit – ist es besser, Ihr geht Euch aus dem Wege. Laßt einige Zeit darüber verstreichen, vielleicht, wer weiß es, kann noch ein Weg sich aufthun zum Bessern.“

Leo war still geworden. „Also deshalb bekam ich auf meine unterthänigste Anfrage um eine gnädige Audienz bei ihr eine so kurz ablehnende Antwort,“ sagte er dann, „sie will mich nicht sehen! Sie hat recht, es ist besser, ich gehe!“

„Allerdings, sie will nicht, Leo.“

Jussnitz erhob sich und begann von neuem seine Wanderung durch das Zimmer. Maiberg blieb sitzen und spielte mit den Fransen der Tischdecke; er mochte des Mannes blasses Gesicht nicht ansehen, der ihm der liebste Jugendfreund gewesen war. Er wußte, daß jetzt irgend ein leidenschaftlicher Auftritt kommen werde; er kannte ja diesen Charakter so genau.

„Vielleicht machst Du einstweilen die schon längst geplante Reise nach Italien, Leo?“ begann er abermals.

„Wie schön Ihr das alles überlegt habt!“ klang es zurück; „warum bringst Du mich nicht gleich auf ein Auswandererschiff, wohin man sonst mißliebige Personen abzuschieben pflegt? Ihr habt auch wohl die Summe schon bestimmt, die es mir ermöglicht, drüben ‚irgend etwas‘ anzufangen – he?“

„Der Vorschlag mit Italien ging von mir aus, Leo,“ sagte Maiberg; „Deine Frau hat keinerlei Bestimmungen über Dich zu treffen versucht.“

Der erregte Mann hielt plötzlich vor dem Freund seine Schritte an; auf seiner Stirn ringelte sich eine kleine blaue Ader, der Athem ging ihm mühsam aus und ein.

„Wolf“, fing er langsam an, sich im Weitersprechen bis zur schreienden Heftigkeit steigernd, „Wolf, was habe ich Dir geschrieben damals? Habe ich zuviel gesagt von dieser Frau? Sie ist kleinlich, sie ist thorhaft, sie ist rachsüchtig, rachsüchtig bis zum äußersten und – die ist die Frau eines Künstlers geworden, die – –“ Und er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und lachte.

„Leo!“ mahnte der Freund.

„Schweig!“ rief der gereizte fiebernde Mann, „ich werde es wohl besser wissen als Du! Weißt Du, was sie dazu treibt, sich hier vergraben zu wollen? Das ist allem voran die Eifersucht, die erbärmlichste, kleinlichste Eifersucht! Sie will mich zwingen, in dieser Einsamkeit zu leben, weil hier schwerlich ein weibliches Wesen auftauchen wird, von dem sie in Schatten gestellt zu werden fürchtet. Zweitens – ihr ganz gewöhnlicher Kramersinn; sie denkt Groschen zu sparen wie ihre Mutter. Hier kann man ja mit dem besten Willen keinen Dreier verschwenden. Lehre Du mich etwa die Gesinnungen kennen, die unter diesem Dache wohnen! Und hier habe ich mir die Gefährtin meines Lebens gesucht und gedacht, wenn sie sich selbst hingiebt, was kann’s ihr auf die lumpigen Groschen ankommen! Ich habe an innige, herzliche Gemeinschaft geglaubt, Wolf – ach, es ist zu erbärmlich! Warum war ich auch damals ein so jammervoller Schütze! Mag sie hier bleiben in des Teufels Namen und ihre Geldsäcke wie ein Drache hüten – –. Macht was Ihr wollt – aber laßt mich fort von hier, nur fort!“

Maiberg hatte ihn austoben lassen; auch jetzt unterdrückte er jeden Beschwichtigungsversuch; die Vertheidigung der jungen Frau hatte ja nur Oel in die Flammen gegossen.

„Wenn Du erlaubst, Leo, so begleite ich Dich.“

„Sehr verbunden! Bemühe Dich nicht, Du wirst hier auch schwerlich zu entbehren sein.“

„Ich habe hier nichts mehr zu thun, Leo. Ich würde so wie so morgen früh abgereist sein.“

„Reise, wohin Du willst!“

„Gewiß! – Darf ich noch eine Frage an Dich richten, Leo?“

„Es fragt sich nur, ob ich sie beantworte.“

„Was hast Du Dir eigentlich dabei gedacht, als Du Dich Hildegard von Zweidorf –“

Der Maler blieb stehen und schöpfte tief Athem. „Hilde?“ stieß er hervor, „auch ein Opfer kleinlicher Gesinnungen! Hergeschleppt, in die Kinderstube gepfercht! – Einem Geschöpf, das wie der Adler in die Lüfte steigen möchte, die Flügel zu verschneiden, das ist die Kunst der sogenannten braven, verständigen, tugendhaften Hausfrau. Vielleicht hat sie einen Posten für sie als Buchhalterin im Kontor, oder in der Küche. – Das arme Ding ist ja wehrlos in ihre Macht gegeben, denn sie hat uns belauscht, als ich dem Mädchen, in der Angst, das einzige bald hergeben zu müssen, was noch etwas Sonnenschein um mich verbreitete, ein klein wenig feuriger die Hand küßte, als es just Mode ist. Das – – aber bah! Es ist ja so gleichgültig – ich kann ihr jetzt nicht helfen, jetzt nicht.“

Und plötzlich ringelte sich die blaue Ader wieder blitzschnell auf seiner Stirn.

„Was hast Du für einen Ausdruck in Deinem Gesicht!“ schrie er den Freund an. „Thue mir den einzigen Gefallen und verlaß mich – ich will keinen von Euch mehr sehen, keinen – verstanden? Aber sage meiner Frau, daß ich gern gehe, daß ich mit Vergnügen in eine Trennung willige, daß ich mich von diesem Augenblick an als frei betrachte und nur bedaure, daß ich nicht bei Heller und Pfennig das wiederzuerstatten vermag, was sie ihre Thorheit, mich zu heirathen, gekostet hat! Sie findet vielleicht als zweiten einen Pfennigfuchser, der ihr wieder einbringt, was sie durch den ersten verlor – ich wünsche es ihr von Herzen.“

Er warf den Flausch ab, riß einen Rock vom Nagel, nahm einen Ueberzieher vom Stuhl und den Hut; es war ein breitrandiger Filzhut, der von Nässe triefte.

„Um Gotteswillen, Leo, wo willst Du hin? Mensch, so verliere doch nicht gleich den Kopf!“

Aber Jussnitz zuckte nur die Schultern und schritt aus der Thür.

Maiberg eilte in sein Zimmer, um Pelz und Hut zu holen, er durfte ihn so nicht gehen lassen.

Leo stürmte den Gang entlang; er war bereits auf der obersten Treppenstufe angelangt, da wandte er sich nach kurzem Zögern um und schritt rasch zurück, der Kinderstube zu. Ein kurzes Pochen gegen die Thür, ein Druck auf die Klinke, – und ohne eine Aufforderung zum Eintritt abzuwarten, stand er drinnen.

„Wer ist da?“ fragte Hilde.

„Ich – Leo Jussnitz!“ antwortete eine Stimme, die sie kaum wiedererkannte, so heiser war sie.

Das junge Mädchen sprang empor und stieß einen leisen Schrei aus. „Sie?“

„Allerdings! Ich könnte ja sagen, ich wollte Abschied nehmen von der Kleinen; aber wozu eine Unwahrheit – ich will Ihnen Lebewohl sagen, will Ihnen sagen, wie sehr ich bedaure, daß – will Sie um Verzeihung bitten, Hilde – –“

Sie hatte mit zitternden Händen ein Licht angezündet. Nun sah er ihr verweintes Gesicht und ihre zornig blitzenden Augen. „Ich erinnere mich nicht, Herr Jussnitz, daß ich Ihnen irgend etwas zu vergeben hätte,“ erwiderte sie sehr kühl. „Sie verwechseln vermutlich die Adresse Ihrer Bitte und wollten dieselbe Ihrer Frau Gemahlin vortragen?“

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