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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

gelang ihr. Rahel sprach wieder, ihre Stimme zitterte ein wenig, ihr Auge war feucht. Sie litt, weil ihr Vater sich schämte.

„Nun, lieber Papa,“ fagte sie sehr zärtlich, „ich denke, daß der Werth unserer Lea nicht in ihren hunderttausend Mark Mitgift bestand. Clairon liebt sie um ihrer selbst willen, das weiß ich. So wird er warten, bis sich ein Ausweg gefunden hat. Quäle Dich nicht so sehr!“

Lea aber fragte dagegen:

„Giebt es einen Ausweg? Du denkst doch nicht, daß Clairon und ich warten sollen, bis er Rittmeister ist? Nein, mein gutes Kind, das ist für mich völlig ausgeschlossen. Ich, Lea von Römpker, sollte vier oder fünf Jahre warten in Langen und Bangen? Oder ich sollte mein Lebensziel in einer armen, hungerigen Lieutenantsehe finden? Niemals!“

„Aber Lea,“ rief die Schwester erstaunt, „kennst Du denn das Geld so wenig, daß Du glaubtest, mit den vier- bis fünftausend Mark Zinsen ein elegantes Leben, Sorglosigkeit und Luxus zu finden?“

„Entbehrungen über Entbehrungen hätten Deiner geharrt,“ bestätigte Herr von Römpker eifrig.

„Ach ja,“ seufzte die Mutter, „und das wäre schwer auch für uns gewesen.“

Lea sah die Ihrigen flammend an.

„Luxus? Wohlleben? Wie wenig Ihr mich kennt, wenn Ihr glaubt, daß ich darauf zuerst sehe!“ rief sie aus. „Ich wäre an Clairons Seite mit anständiger Auskömmlichkeit zufrieden gewesen. So muß ich es Euch denn sagen, was ich will, was ich ersehne, was ich haben muß, um glücklich zu sein. Die Erste will ich immer sein in meinem Kreise, wie ich es gewesen bin, seit ich denken kann. Oder ist unser Haus etwa nicht das erste der Gegend, bin ich etwa nicht das gefeiertste Mädchen? Denkt nicht, ich sei eitel! Ich fühle ganz genau, es ist etwas anderes als Eitelkeit. Ich möchte einen festen und hohen Platz haben in der Welt. O, daß ich nicht auf einem Thron geboren bin! Denn zu großen Lebensformen fühle ich mich bestimmt. Der Mann, neben dem ich stehe, soll alle überragen, die um ihn sind. Entweder er soll vornehm sein von Rang und Stand, oder er soll von männlicher Schönheit sein, in Erscheinung und Charakter, oder geistig so bedeutend, daß sich ihm alles beugt. Und ist ihm dies alles nicht eigen, dann soll er wenigstens so reich sein, daß ich durch sein Gold fürstliche Unabhängigkeit habe. Ihr seht es – erst an letzter Stelle nenne ich den Reichthum. Ich ziehe die edleren Eigenschaften vor – wenn ich sie haben kann. Und welche fehlte denn Clairon? Er ist vom ältesten Adel, schön und männlich zugleich. Sein Charakter ist bewundernswerth, sein Wesen nimmt alle ein. Und ich liebe ihn. Und Ihr wollt bezweifeln, daß er der rechte Gatte für mich wäre?“

Sie hatte sich in eine solche Aufregung hineingeredet, daß es ihr heiß in der Brust war und in ihren Augen Thränen funkelten.

„Aber Lea, Du bist doch ein wenig überspannt,“ sagte Rahel. Herrn von Römpker gefiel es, daß Lea den Reichthum erst als letzten, äußersten Heirathsgrund gerechnet hatte. Darin war sie sein Kind. Auch er stellte Schönheit, Seelen- und Familienadel über das Geld. Nur leider – haben mußte man es, denn es floß so verwünscht schnell durch die Finger. Er wollte Lea nun eine Freude machen und bemerkte zu ihrer exaltirten Rede:

„Ja, ja, er ist ein reizender Mensch, Graf Clairon. Wer sollte mir auch als Schwiegersohn willkommener sein! Glaube mir, Lea, ich bin unaussprechlich unglücklich!“

In Wirklichkeit war dies auch die erste schwierige Stunde im Leben des Herrn von Römpker.

„Kannst Du denn keine Hypothek aufnehmen?“ fragte Rahel. „Unser Gut ist ja schuldenfrei, das muß doch leicht zu machen sein!“

Herr von Römpker, der bisher mehr gedrückt als gerade ernstlich unglücklich ausgesehen hatte, veränderte die Farbe. Er wurde wirklich bleich, erschreckend bleich.

„Welche Schande, welche Schande!“ murmelte Frau von Römpker, die nur eine ganz unklare Vorstellung davon hatte, was eine Hypothek sei, und dies Wort immer nur in Verbindung mit bankerott gewordenen Gütern gehört hatte.

„Liebe Mama, das klingt Dir nur schlimm,“ sagte Rahel begütigend.

Wie Herr von Römpker sich beim Beginn der Unterredung an die ruhige Vernunft seiner jüngsten Tochter geklammert hatte, wurde ihm jetzt der Stolz seiner Lea der Hoffnungsstern.

„Lea,“ begann er mit tonloser Stimme, „wenn Du darauf bestehst, kann ich freilich eine Hypothek aufnehmen. Auf Römpkerhof – denke, auf unser freies Familienerbe, darauf noch nie, seit meine Vorfahren es erwarben, ein Heller fremden Geldes gewesen! Diese Schuldenfreiheit war unser Familienstolz seit ungezählten Generationen. Denke an das Aufsehen in der Gegend, ja in der ganzen Provinz! Eine Hypothek aufnehmen und eintragen – das ist ein sehr öffentliches Geschäft, welches nicht zu verheimlichen ist. Man würde das bereden, man würde von Verlegenheiten sprechen, in denen ich sei, mein Ruf und meine Stellung als der unabhängigste Besitzer der Provinz wäre dahin.“

Rahel sah das nicht ein. Ihr erschien diese Furcht als bloße Eitelkeit. Auch konnte sie die „Unabhängigkeit“ nicht so hoch schätzen, welche den Töchtern nicht einmal freie Herzenswahl gestattete. Sollte denn Leas Glück scheitern an der Scheu vor Unbequemlichkeit und an Eitelkeit? Das that ihr schwerzlich weh, für Lea und für den Vater.

Ihr war es, als müsse man für große Ziele auch große Einsätze wagen. Aber sie schwieg, denn sie war es nicht, die den Kampf um Clairons Besitz zu führen hatte. Zitternd wartete sie auf Leas Antwort. Sollte der Hochmuth in dieser ungezügelten Frauenseele alles überwuchern, daß sie den Geliebten aufgab um so äußerlicher Rücksichten willen?

Lea ging auf und ab. Sie ging königlich. Die Schwester sah sie in Bewunderung und Sorge an; sie gestand sich, daß Lea eine von jenen felsenkantigen, aber auch felsenhohen Individualitäten war, die sich nirgends einfügen können, die einen besonderen Platz brauchen für ihre besondere Erscheinungsform.

Und da stand Lea still.

„Ich werde Dir morgen meinen Entschluß sagen, Papa,“ sprach sie finster.

Herr von Römpker athmete auf. Seine Saat mußte guten Boden gefunden haben. Wenn Lea sich erst bedachte, war alles gewonnen. Blinde Leidenschaft hätte gerufen: thue alles, trage alles, aber gieb mir den Mann, den ich liebe!

Er stand auf.

„So haben wir denn heute nichts mehr zu sprechen,“ sagte er wieder mit seinem liebenswürdigen Lächeln.

„Doch noch zwei Worte, Papa!“ rief Rahel, „ich habe auch einen Entschluß gefaßt, kann ihn aber schon heute verkünden. Nämlich, ich habe eben ausgerechnet, daß wir fortan im Hause viel, viel weniger verbrauchen müssen. Siehst Du, Papa – und verzeih, daß ich daran rühre – wenn Du in den zwanzig Jahren seit Großmamas Tod – nicht wahr, sie starb bald nach Großpapa – unsere zweimalhunderttausend Mark so – so – ‚in das Gut gesteckt‘ hast, so sind eben alle Jahre zehntausend Mark mehr verwirthschaftet worden, als hätte sein dürfen. Wenn nun schlechte Jahre kämen – was dann? Wenn die ‚Hypothek‘ vermieden werden soll, ganz unabhängig von Leas Heirath oder Nichtheirath, so müssen wir eben fortan jedes Jahr Geld zurücklegen. Dazu könnten wir zum Beispiel die Hälfte jener Zinsensumme bestimmen, welche Mama aus ihrem Familienfideikommiß bekommt.“

Herr von Römpker war einen Augenblick erstarrt. Lea aber, schnellen Geistes, war den Worten der Schwester verstehend gefolgt und glaubte ihnen das rechte Gewicht geben zu müssen durch ihre Beistimmung.

„Rahel spricht sehr klug und mir aus der Seele.“

„Wie unpoetisch für ein Mädchen, so rechnen zu können!“ rief Herr von Römpker endlich aus.

Rahel erschrak. Eine Thräne glänzte in ihrem Auge. Der Vorwurf der Unweiblichkeit ist jeder Frau der allerschmerzlichste.

„Du weißt, Papa, ich bin in keiner Weise ein Liebling der Grazien,“ versuchte sie zu scherzen, aber ihre Lippen bebten. „Verspotte mich deshalb – aber gieb mir Recht und befolge meinen Rathschlag!“

„Alles, was Ihr wollt,“ rief er verzweifelt, „nun aber laßt mich aus! Das ist ja ein Geburtstag, an dem man’s schon als Strafe empfinden könnte, geboren zu sein. Ich mache einen Ritt. Und Ihr – seid gescheit! Morgen ist auch noch ein Tag und bauscht mir die Geschichte nicht zu einem Fall auf, der einem die ganze Zukunft verleidet!“

Er ging. Und Rahel fürchtete, daß er nach Kohlhütte zur lustigen Gesellschaft reiten würde.

(Fortsetzung folgt.)


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