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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 17.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



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Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.
1.

Daß sich bei den Römpkers auf Römpkerhof etwas Unangenehmes oder gar Unglückliches zugetragen haben müsse, ward allen Nachbarn und Freunden klar, die angefahren kamen, um Herrn von Römpker zu seinem Geburtstag zu beglückwünschen. Man war so sehr gewohnt, in dem gastlichen Hause festgehalten zu werden, daß eine bloße Nichteinladung schon zur auffälligen Thatsache ward.

Die bedrückte Miene der Frau von Römpker wollte nichts besagen; aber daß der Hausherr zerstreut und einsilbig erschien, daß auf seiner Stirn ersichtlich allerlei Gedanken Falten hervorriefen, war eben so selten als bemerkenswerth.

Herr von Römpker sah alle Dinge dieses Lebens aus der Vogelperspektive an: ein Kirchthurm war für ihn eine Stecknadelgröße. Frau von Römpker hingegen betrachtete alles aus der Froschperspektive: ein Gartenzaun schien ihr schon ein unübersteigliches Hinderniß.

Wenn also diese beiden Menschen eine Angelegenheit vom gleichen Gesichtspunkt aus und sorgenvoll ansahen, mußte dieselbe gewiß von außergewöhnlicher Bedeutung sein.

Wagen auf Wagen fuhr in den Gutshof ein, denn die Römpkers hielten muntern Verkehr mit den Gutsbesitzern in der Runde und mit den Angesehenen der unfernen kleinen Stadt. Diese Stadt hatte sogar eine Garnison von einigen Schwadronen Husaren. Mehrere der Offiziere waren verheirathet; dann gab es einen Pastor mit einer liebenswürdigen kleinen Frau, einen Bürgermeister und einen Landrath, ein paar Referendare und Advokaten - kurzum die ganze anscheinend so bunte und verschiedenartige und doch, durch die enge Gleichheit der Lebensinteressen, so einhellige Gesellschaft einer keinen Landstadt.

Alle diese Leute fanden auf Römpkerhof stets freudiges Willkommen und offene Tafel, den ganzen Sommer hindurch. Man verabredete sich, hinauszufahren, wie man sich sonst zu einer Vergnügungspartie nach irgend einem Waldwirthshaus zusammenschließt. Man war mit dem Hausherrn lustig und mit den Töchtern gut Freund, die Hausfrau begrüßte man nebenher. Es war schon immer so lebhaft auf Römpkerhof zugegangen, ehe die erwachsenen Töchter den Vorwand hergaben, daß man ihretwegen ein Haus machen müsse. Kein Mensch in der Gegend konnte sich das Haus anders vorstellen als voll von Gästen, und aus der gastfreundlichen Gewohnheit


Sepp. 0Nach dem Gemälde von Otto Piltz.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_277.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2023)