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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Für immer?“ klang es ungläubig. „Und was sagt er dazu?“

„Er?“

„Ja – er!“

„Er bleibt nicht hier!“

Maiberg hörte plötzlich ein schweres banges Athmen. „Und wo bleibt er?“ fragte ihre Stimme fast heiser.

„Irgendwo!“ erwiderte er.

Sie schnellte von dem Sofa empor, und als sie sich vorbog, erkannte er trotz der tiefen Dämmerung die unnatürlich erweiterten angstvollen Augen des jungen Mädchens. „Was wollen Sie damit sagen?“ stieß sie hervor und faßte mit bebender Hand nach seinem Arm.

„Daß sich zwei Menschen trennen wollen für alle Ewigkeit!“

Sie sank zurück mit einem wimmernden Schrei: „Um mich! Um mich!“

Maiberg betrachtete sie bewegungslos. Also doch! – Ein erschütterndes Schluchzen packte das Mädchen; sie weinte, wie nur ein Kind weinen kann, herzzerreißend, jammervoll, wie ein hart bestraftes Kind, dessen Ehrgefühl aufs tiefste getroffen ist. Und auf einmal lag vor dem Manne eine schlanke junge Gestalt auf den Knieen, ein Paar heißer fiebernder Hände faßte die seinen und unter Schluchzen kamen die Worte hervor: „Ich hab’s mir ja nicht überlegt, was ich that, ich wollte ja nur – – Denken Sie nicht schlecht von mir – ich – ach Gott, ich kann es nicht sagen – – Bitten Sie, daß Frau Jussnitz mich anhört – bei Gott, ich – –“ das andere erstarb im Weinen.

Er hielt die bebenden kleinen Hände fest; ihre feuchte Wange lag auf seiner Rechten; er hatte nicht das Herz, sie fortzuweisen.

„Hilde, Sie lieben ihn, nicht wahr?“

„Ja – ich hatte ihn einmal lieb, damals, als er mich in seinem Stadtatelier malte, als ich noch nicht wußte, daß er verheirathet sei. Es war so schön – ach, und ich bin so unglücklich gewesen, als ich es erfuhr –“

„Und jetzt?“

Sie antwortete nicht, sie schüttelte nur heftig den Kopf.

„Sie haben gespielt mit ihm, gnädiges Fräulein; mit eigenen Augen habe ich es gesehen.“

Eine Weile blieb es still. „Ja!“ sagte sie dann.

„Sie mußten sich doch klar machen, daß – – aber Sie haben nicht gewußt, was Sie thaten, nicht wahr?“

„Doch!“ klang es so leise wie ein Hauch.

„Ich bitte Sie – that Ihnen die Frau nicht leid?“

„Nein!“ erwiderte sie. „Ich dachte, es sei wahr, was sie alle sagten, daß sie außer ihrer Wirthschaft für gar nichts Sinn habe. Sie war doch auch immer so anders als die andern! – Ach, mein Leben gäbe ich, hätte ich ihn nie gesehen!“ Und wieder begann sie zu weinen.

Eine wunderliche Rührung bemächtigte sich Maibergs. Er mußte an den Blick denken, mit dem sie an jenem Weihnachtsabend bei Barrenberg wie hilfesuchend seinen Arm erfaßt hatte. „Armes, kleines, dummes Mädel!“ murmelte er.

„Wie sagen Sie? Um Gotteswillen, Herr Doktor, was soll ich beginnen? Man wird fragen, weshalb sie sich trennen – großer Gott – und wenn mein Name dabei genannt würde! Lieber Herr Doktor, der Vater schießt mich todt, der Vater ist so furchtbar streng in solchen Dingen und – er hat recht.“

„Ihr Vater liebt Sie eben sehr.“

„Ja, ja,“ betheuerte sie heftig, „er liebt mich und er ist so gut, und ehe ich vor ihm stehe und seine Augen auf mich gerichtet sehe voll Vorwurf und Kummer, möchte ich lieber sterben – es ist auch das Beste für mich!“

Ihr Kopf sank wieder auf seine Hand und abermals fühlte er die rinnenden Thränen.

„Wird man mir etwas nachsagen dürfen? – Ich that ja unrecht, aber ich war doch nicht schlecht, lieber Herr Doktor,“ schluchzte sie.

„Es wird wohl kaum ausbleiben,“ bemerke er ruhig.

Sie hörte auf zu schluchzen in starrem Schreck. „Aber warum nahm sie mich mit hierher, warum jagte sie mich nicht fort?“ sagte sie endlich.

Er legte ihr die Hand auf die Schulter. „Weil Frau Antje eine edle vornehme Natur ist,“ sprach er langsam, „weil sie die keiner Nachrede aussetzen will, die einst an ihre Stelle treten wird. Haben Sie das nicht herausgefühlt?“

Ein leiser Schrei erklang; Hilde war jäh aufgesprungen. „Ich – an ihre Stelle? O niemals, niemals! Von dem Augenblick an, wo ich erfuhr, daß es eine Frau Jussnitz giebt, habe ich ihn“ – sie rang nach einem passenden Ausdruck – „zuerst gehaßt! Nein – doch nicht – zuerst – das weiß ich nicht, es war so schrecklich – dann gehaßt, gehaßt, so sehr ich konnte – und jetzt – –“

„Hilde!“ klang es vorwurfsvoll.

Sie blieb eine Weile still, nur ihr hastiges Athmen war hörbar.

„Ich will mit ihr sprechen,“ sagte sie endlich entschlossen, „und dann will ich fort, weit fort – nach England – noch weiter, nach Amerika!“ Und als ob ihr plötzlich etwas einfalle, fügte sie hinzu: „Geben Sie mir eine Empfehlung nach Brasilien, Sie waren ja so lange dort.“

„Und was wollen Sie in Brasilien?“ fragte er mild wie ein Vater.

„Mein Brot verdienen! – Es gehen doch so viele in die Fremde.“

Er lächelte und meinte: „Vorerst bleiben Sie hier; es ist das einzige, was Sie jetzt thun können; andern Rath vermag ich Ihnen nicht zu geben. Ich werde mit Frau Antje sprechen, nicht Sie, aber gegenwärtig ist nicht der richtige Zeitpunkt dazu. Und nun gute Nacht, gnädiges Fräulein,“ – er war plötzlich wieder sehr förmlich – „geben Sie sich Mühe, ruhiger zu werden.“

Als er die Thür geöffnet hatte, um hinauszugehen, wandte er sich noch einmal um, und in dem hellen Schein, der von draußen hereinquoll, sah er Hilde stehen: die wunderschönen Augen hingen an ihm mit einem so hilflosen, verzweifelten Ausdruck, und das Haar fiel ihr in losen Strähnen um das verweinte Gesicht.

Er erschrak. „Kopf hoch, Fräulein Hilde!“ sagte er ernsthaft; aber das Herz klopfte ihm plötzlich stark, er hätte das dumme kleine Mädel, das in seiner Leidenschaftlichkeit so heilloses Zeug anrichtete, am liebsten in heller Angst an seine Brust gezogen und gesagt, er ängstige sich um sie. Dann jedoch fühlte er auf einmal, daß er da allzu lange stand, und so grüßte er zu ihr hinüber und machte die Thür zu, viel ungestümer, als man die Thür einer Stube schließt, in der ein Kind schläft.

Draußen nahm sein Gesicht einen ärgerlichen Ausdruck an. Alter Freund, tadelte er sich, mach keine Geschichten! Es ist gar nicht – aber auch rein gar nicht das, was Du suchst, verstanden? Sei vernünftig, richte Deine Bestellung an Leo aus und denke daran, Deinen Koffer zu packen, hier kann Deines Bleibens nicht sein!

(Fortsetzung folgt.)




Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
4. Deutsche Hinterwäldler.
b. Der Auerhahn.

In den ersten Wochen des einziehenden Frühjahrs, unmittelbar sich anreihend an den „Schnepfenstrich“, beginnt auch die Minnezeit des Auerwilds. Der Auerhahn erhebt sein merkwürdiges, berühmt gewordenes „Balzen“.

Tief im vereinsamten Gebirgswalde „steht“ (verweilt) dieser Hinterwäldler, der die Kultur flieht, ja haßt. In die urwaldliche Natur der Gebirge hinein muß der Jäger steigen, um das im ewigen Düster des Nadelholzes oder in den von Mischhölzern bewachsenen Einöden hausende Wild in seinem geheimnißvollen, abgeschlossenen Lebenswandel kennenzulernen.

Hier ist es vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, die Jagd, welche zur Beobachtung dieser ungemein scheuen Waldwesen führt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_264.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)