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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

So umfassend dieser Verwaltungsapparat ist, so umfassend ist auch seine Arbeitsthätigkeit, denn allein bei der vierten Abtheilung gingen im letzten Jahre nicht weniger als 262032 Sachen ein, von denen 82 536 auf das Kriminalkommissariat, 117846 auf die allgemeine Sicherheitspolizei und 32759 auf den Polizeigewahrsam entfielen. Diese Ziffern veranschaulichen besser als lange Beschreibungen die trübe Kehrseite der sonst so glänzenden, vielbewunderten deutschen Kaiserstadt! Und noch schlimmer ist der Einblick in die Einzelheiten dieser Zahlenreihen, denn von den 82536 Eingängen beim Kriminalkommissariat bezogen sich 4233 auf wegen eines Verbrechens verhaftete und zur Isolirhaft gebrachte Personen, 75656 betrafen Anzeigen über vorgekommene Verbrechen und Requisitionen von Staatsanwälten, Untersuchungsrichtern und anderen Behörden, 1503 Anzeigen über falsches Geld, 1144 waren Depeschen. Von den 34326 Anzeigen über vorgekommene Verbrechen und Vergehen betrafen 11 466 Diebstahl, 234 Taschendiebstahl, 1443 Betrug, 1755 Unterschlagung, 1488 Körperverletzung, 359 Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit, 534 Hausfriedensbruch, 60 Raub, 339 Sachbeschädigung, 219 Drohung, 55 Beleidigung, 77 Hehlerei, 108 strafbaren Eigennutz, 63 Hazardspiel, 90 Erpressung, 58 Urkunden- und Wechselfälschung, 200 Beamtenbeleidigung, 50 Meineid, 36 Aussetzung eines Kindes, 52 aufgefundene Kindesleichen, 128 aufgefundene unbekannte Leichen, 6466 Unglücksfälle, 145 versuchten Selbstmord, 329 Selbstmord, 307 plötzlichen Todesfall, 213 gesuchte Personen, 655 vermißte Personen, 430 Mißhandlung, und so fort.

Ein furchtbares Register, und wieviel Ungeheuerliches, Ungeahntes, Widermenschliches birgt es in seinem Innern!

Nun zu den Verurtheilten, von denen uns der Polizeibericht in jenem einen Jahre 12719 Personen aufzählt, unter denen 4689 bereits vorbestraft waren. Bei 2084 Personen erfolgte die Verurtheilung wegen Verbrechens und Vergehens gegen Staat, Religion und die öffentliche Ordnung, bei 4171 gegen die Person (darunter 24 wegen Raubs, 195 wegen Körperverletzung, 17 wegen Mords und Mordversuchs), und bei 6432 gegen das Vermögen. Unter 2091 wegen Diebstahls eingelieferten Personen befanden sich 459 Einbrecher. 1085 der Verurtheilten waren weniger als achtzehn Jahre alt, und sie stellten gerade einen hohen Prozentsatz zu den Dieben und Einbrechern. Unter Polizeiaufsicht standen 960 Personen; 15388 (darunter 1156 Frauen und 269 Kinder) wurden wegen Bettelei aufgegriffen und 6799 wegen Trunkenheit, von letzteren wieder 160 unter achtzehn Jahre alt! Bei 67 Kindern wurde die Zwangserziehung eingeleitet, bei 60 entzog man deren Eltern das Erziehungsrecht. 716 Kinder wurden bei der Polizei zur Bestrafung angezeigt, davon allein 316 wegen Diebstahls, 12 wegen Betrugs, 14 wegen Brandstiftung, 23 wegen Körperverletzung etc. Unter den 6466 beim Leichenkommissariat eingegangenen Anzeigen über Unglücksfälle etc. befanden sich nicht weniger als 1114 mit tödlichem Ausgang, darunter 37 infolge von Brandwunden, 176 von Erhängen, 60 von Erschießen, 19 von Ersticken, 93 von Ertrinken, 60 von Sturz aus dem Fenster, 52 von Ueberfahren, 25 von Verbluten, 56 von Vergiftungen etc.

Genug, genug dieser entsetzlichen Schattenseiten des weltstädtischen Lebens!

Erwähnen müssen wir schließlich noch, daß über Berlin vertheilt sind 10 Bezirkshauptmannschaften und 82 Polizeibureaux, welch letztere sich mit der Aufsicht ihrer einzelnen Reviere zu beschäftigen und in allen nöthigen Fällen sofort Berichte an das Polizeipräsidium zu erstatten haben. Die eigentliche „ausübende Gewalt“ dieser Polizeibureaux, deren Leitung je einem Polizeilieutenant übertragen ist, bildet der Schutzmann, der stets aus dem Unteroffizierstande hervorgegangen ist; auf hunderterlei Sachen muß er Obacht geben und seine Verantwortlichkeit ist eine große: er soll nicht nur über die Sicherheit, Ruhe und Ordnung der Straße wachen, er muß daneben auch unzähligen anderen Dingen seine Aufmerksamkeit widmen, bald die vorüberfahrenden Wagen mustern, ob alles an ihnen in Ordnung ist, bald die Firmenschilder und Schaufensterauslagen beaugenscheinigen; hier soll er einem Fremden Auskunft geben und dort bittet ihn ein Vorübergehender, einer Thierquälerei zu steuern, da wird ihm ein verirrtes Kind zugeführt und im nächsten Augenblick schon soll er einen Ueberfahrenen zur nächsten Sanitätswache bringen, gleich darauf gilt’s, einen Tumult zu schlichten, und dann muß er eine Matrone über den verkehrsreichen Fahrweg geleiten – kurz, überall soll er seine Augen haben und überall soll er zu gleicher Zeit sein. In drückender Hitze und bei eisigem Winde, in Regen und Sturm hält er auf seinem Posten aus, und wenn er nicht immer sanfter Stimmung ist, so kann man’s ihm wahrlich nicht verdenken. Der Vertreter des wachsamen Gesetzes nach außen hin, ist er zugleich die Verkörperung des Pflichtbewußtseins, der treue Diener eines strengen Dienstes, und mit diesem freundlichen Bilde wollen wir für heute schließen – es wird der trüben noch genug in den nächsten Abschnitten geben!

500 Mark Belohnung.





Blätter und Blüthen.



Das erste Vierteljahrhundert des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“. „Aus kleinen Anfängen Großes!“ so darf heute wohl der deutsche Frauenverein mit berechtigtem Stolze sagen, wenn er zurückblickt auf seine Gründung im Jahre 1865. Damals war es ein kleines Häuflein tüchtiger und für die Förderung ihres Geschlechtes begeisterter Frauen, welche zum ersten Frauenbildungsverein zusammentraten. Sie verließen die Bahn der bis dahin allein üblichen Wohlthätigkeitsvereine, um ihren Mitschwestern die größte Wohlthat, Bildung zur selbständigen Erwerbsfähigkeit, zu vermitteln. und es ist staunenswerth, zu welchen Ergebnissen diese anfänglich sehr harte Pionierarbeit int Laufe von 25 Jahren gelangt ist.[1] Im Einverständniß mit dem Letteverein in Berlin nahm man allmählich das ganze Gebiet weiblicher Thätigkeit in Angriff: Haushaltsschulen mit Speiseanstalten, Handels- und Fortbildungsschulen, Fachunterricht in den verschiedensten Gewerben gehen heute Hand in Hand mit den höheren Bildungsanstalten, Lehrerinnen- und Arbeiterinnenheimstätten, Kindergärten, Heil- und Pflegeanstalten. Wahrlich ein großes Gebiet segensreicher Kulturarbeit, welches sich hier die deutschen Frauen ohne Staatshilfe, ja vielfach im Kampfe gegen Vorurtheile aller Art errungen haben!

Und heute ist alles selbstverständlich, was vor 25 Jahren gefährliche oder lächerliche Neuerung schien. Alljährliche Frauenversammlungen, in welchen Frauen öffentlich reden, haben heute nichts Auffallendes mehr. Hunderte von aufmerksamen Zuhörern beider Geschlechter folgen den Verhandlungen der Verbandstage, deren letzter im Oktober v. J. in München stattfand und sich zu einem befriedigenden Rückblick auf ein segensreiches Wirken und zum hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft gestaltete. Der Verein verfügt bereits über so bedeutende Mittel, daß er von jetzt an begabte Mädchen mit Stipendien zum Studium bedenken kann. Möchten doch noch viel mehr deutsche Frauen und Mädchen sich ihm anschließen, um in gemeinsamer Arbeit mit den Besten ihres Geschlechtes den Weg zu wandeln, der dem Frauenverein so großartige Erfolge verschaffte: den Weg der ehrlichen, arbeitsamen Selbsthilfe, der in diesem Fall zugleich Tausenden von andern zur Hilfe wird! Brn.     

  1. Eine Geschichte der bisherigen Thätigkeit des Allg. deutschen Frauenvereins ist auch im Druck erschienen: „Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, gegründet am 18. Oktober 1865 in Leipzig. Auf Grund der Protokolle mitgetheilt von Luise Otto-Peters.“ Leipzig. Eigenthum des Vereins. Kommissionsverlag von Moritz Schäfer.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_259.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)