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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Zur Gesellschaft blieben der Herzogin anfangs der Graf von Mesnard und Fräulein von Kersabiec beigegeben, die mit ihr verhaftet worden waren. Diese beiden Personen wurden zu Ende des Jahres 1832, als die Gerichte sie reklamirten, durch Herrn von Brissac und die Gräfin von Hautefort ersetzt, die der legitimistischen Partei angehörten und sich zu diesem Dienst freiwillig erboten hatten. Zu ihnen gesellten sich noch zwei namhafte Aerzte, die Doktoren Deneux und Ménière. Die Niedergeschlagenheit, welche die Herzogin anfangs zeigte, verlor sich bald, und alle fünf Personen fanden sich in die Beschränkungen, welche selbst die mildeste Haft auferlegt, mit gutem Humor. Wie wir aus dem Tagebuche Ménières wissen, vereinigten sie sich häufig zu heiterer Gesellschaft und waren zuweilen sogar recht übermüthig.

Der geplagteste Mensch in der Citadelle war offenbar der Gouverneur. Kurze Zeit versah der Oberst Chousserie diesen Posten; dann trat der General Bugeaud an seine Stelle, derselbe, der nachher infolge seiner Siege in Algier Marschall von Frankreich wurde. Bugeaud brachte seine Gemahlin und seine beiden Töchter mit, und allmählich gelang es ihm, zu der Gefangenen erträgliche und selbst freundschaflliche Beziehungen herzustellen. Er hatte das Amt, das die Legitimisten und die Republikaner voll Hohn und Grimm das eines Kerkermeisters nannten, mit Widerstreben übernommen, und die Herzogin ließ ihm, im Gegensatz zu jenen beiden ihm verfeindeten Parteien, damals und noch nach Jahren die Gerechtigkeit widerfahren, anzuerkennen, daß er ihr gegenüber alle Rücksichten genommen habe, welche sich mit seinen Pflichten gegen die Regierung vertrugen. Erst seit der Veröffentlichung der Schriftstücke, welche zwischen Bugeaud und den Ministern gewechselt wurden, kann man ganz übersehen, was alles von Bugeaud verlangt wurde. Während der sieben Monate, welche die Haft dauerte, ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht eine – durch den optischen Telegraphen vermittelte – Depesche von Blaye nach Paris oder von Paris nach Blaye ging. Bugeaud sandte zum Theil sehr umfangreiche Berichte, Anfragen und Vorschläge, und die Depeschen aus Paris wurden alle paar Tage durch ausführliche Weisungen erläutert und ergänzt, welche vom Minister des Innern oder vom Ministerrath festgestellt waren. Ein genauer Grundriß der Citadelle und der Wohnung der Herzogin und ihres Gefolges befand sich in Paris, und das Ministerium selbst schrieb in gut französischer Reglementirungssucht vor, ob, wo, wie und wie lange ein Offizier, Unteroffizier, Soldat oder Polizist im Wacht- und Beobachtungsdienst zu stehen hatte.

Die Stellung zwischen der Regierung und der Herzogin war für Bugeaud, den alten Soldaten und Landwirth, eine überaus dornenvolle. Das nicht unbegründete Gerücht, daß von den Legitimisten ein Handstreich auf die Citadelle behufs gewaltsamer Befreiung der Herzogin wenigstens in Erwägung gezogen werde, machte ihm am wenigsten Sorge; sie wären übel angekommen. Was ihn beunruhigte, war die Befürchtung, daß die Herzogin während der Haft erkranken, vielleicht gar sterben könnte; er wußte, daß ihr Tod ihm und der Regierung zur Last gelegt werden und dem Könige unabsehbaren Nachtheil bringen, vielleicht seinen Sturz nach sich ziehen würde. Und wenn sie am Leben und gesund blieb, war wiederum mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sie, entschlossen und geübt wie sie war, in einer Verkleidung entkomme oder wenigstens durch briefliche Weisungen neue legitimistische Umtriebe anzettele.

In der That war der Verkehr der Gefangenen mit der Außenwelt ziemlich lebhaft, und Bugeaud hat zwar einige Wege dieses Verkehrs sperren, ihn aber nie ganz verhindern können, wenn auch alle Briefschaften, die von den Bewohnern der Citadelle abgeschickt wurden oder für sie einliefen, durch seine Hände gehen sollten. Anfangs hatte er selbst es zugelassen, daß Legitimisten, welche die Herzogin besuchen wollten, sie auf einige Minuten ohne Zeugen sprachen; man wollte durch ein vertrauensvolles Entgegenkommen dieser Art den Beschwerden der legitimistischen Zeitungen den Boden entziehen. Diese Absicht wurde nun freilich nicht erreicht, aber wohl hatte die Herzogin so Gelegenheit, Wünsche und Anordnungen nach außen gelangen zu lassen. Ein anderer Weg für solches Verkehren, den die Herzogin zu benutzen wußte, ist erst im Jahre 1886 durch die Schrift des Abbé Bellemer bekannt geworden. In ihrem Zimmer wurde häufig und wenigstens einmal in der Woche Messe gelesen. Der Geistliche, der sie las, und der Seminarist, der ihm dabei diente, wohnten nicht in der Citadelle und waren in ihrem Verkehr mit der Außenwelt nicht behindert; sie betraten die Citadelle nur, wenn ihre Dienste gewünscht wurden, und hatten dann keine allzu scharfe Kontrolle zu bestehen. Kurz vor Beginn der Messe legte der Seminarist zu den priesterlichen Gewändern, die auf einem Nebentische ausgebreitet waren, die priesterliche Schulterbinde, und in diese waren die Briefe eingenäht, welche der Herzogin von außen her zugingen. Nach Beendigung der Messe vertauschte „eine verständige Hand“ diese Binde schnell mit einer andern, welche die für die Außenwelt bestimmten Briefe der Herzogin enthielt. Der Seminarist, der diesen Verkehr vermittelte, lebt als angesehener Geistlicher noch jetzt.

Inzwischen würde die Regierung, die ihr von den Kammern ertheilte Machtvollkommenheit benutzend, die Haftentlassung Marie Karolinens längst verfügt haben, wenn nicht die persönlichen Schicksale der Herzogin eine besondere Wendung genommen hätten. Sie sah sich gezwungen, mit der Eröffnung hervorzutreten, daß sie ein zweites, geheimes Ehebündniß geschlossen habe. Nach langen Verhandlungen mit ihr gab sie unter dem 22. Februar 1833 folgende Erklärung ab:

„Durch die Umstände und die von der Regierung angeordneten Maßregeln gedrängt, glaube ich es mir selber schuldig zu sein – obschon ich die gewichtigsten Beweggründe hätte, meine Ehe geheim zu halten – zu erklären, daß ich mich während meines Aufenthaltes in Italien heimlich verheirathet habe.“

Am 26. Februar stand diese Erklärung im „Moniteur“, der amtlichen Zeitung der Regierung. Es ist nicht ermittelt, ob die Geheimhaltung dieses Aktenstückes vielleicht zugesagt war. Die Herzogin glaubte damit ihre Freilassung zu erkaufen; aber darin irrte sie sich. Die Regierung hatte immerhin Grund, zu befürchten, die Herzogin werde, wenn sie freigelassen war, die Erklärung als erzwungen hinstellen. Unbesonnene Legitimisten sagten jetzt schon, die Erklärung sei erzwungen und nichtig, während die Feinde der Legitimisten triumphirten. Die Frage erregte ein ungeheures Aufsehen, und zwischen den Legitimisten und ihren Gegnern fanden zahlreiche Duelle statt. Die Regierung, die durch den von der Herzogin erregten Aufstand so schwer bedroht worden war und neuer Aufstände gewärtig sein mußte, wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen und damit der Sache der Legitimität einen schwer zu verwindenden Stoß beizubringen. Ritterlich war dies Verfahren nicht, aber man kann nicht leugnen, daß es nach Lage der Dinge sehr begreiflich und politisch geboten war.

Am 10. Mai erfolgte in Blaye die Geburt eines Mädchens. Der Präsident des Tribunals von Blaye fragte vor Zeugen in feierlicher Weise die Herzogin, ob sie die Herzogin von Berry und die Mutter dieses Mädchens sei. Ihre bejahende Antwort wurde zu Protokoll genommen. Sie erklärte dann noch freiwillig, der Dr. Deneux werde den Vater des Kindes nennen. Die Zeugen versammelten sich noch einmal in einem andern Zimmer, und Dr. Deneux eröffnete ihnen, die Herzogin sei die legitime Gemahlin des Grafen Hector Lucchesi-Palli aus dem fürstlichen Hause Campo-Franco, Kammerjunkers des Königs beider Sicilien, wohnhaft in Palermo. Die Namen des Kindes seien Anna Marie Rosalie. Diese Erklärungen wurden in das Civilregister von Blaye aufgenommen. Abends erhielt das Kind die Nothtaufe, wobei seine Namen aber nicht genannt wurden. Die Regierung veröffentlichte die Akenstücke im „Moniteur“.

Die Herzogin verkannte nicht, daß damit ihre politische Rolle zu Ende war. Im Februar schon hatte sie der Herzogin von Angoulême beschrieben, sie gebe ihre Entlassung als Regentin. Ihre treuesten Anhänger wurden kühl und zurückhaltend gegen sie. In Royalistenkreisen konnte man das Geständniß vernehmen, daß man sie am liebsten todt wünsche, denn lebend schade sie jetzt der Sache Heinrichs V. nur, während ihr Tod als eine Waffe gegen die Regierung hätte dienen können. Am Hofe Karls X., der gegen Ende des Jahres 1832 von Holyrood nach Prag übergesiedelt war, fiel sie in Ungnade, und Chateaubriand, der in ihrem Auftrage dorthin reiste, um sie zu vertheidigen, hatte zunächst wenig Erfolg. Er soll dem Könige Karl eine Bescheinigung darüber vorgelegt haben, daß die Herzogin am 26. April 1832 den Grafen Lucchesi zu Massa geheirathet habe; das Original oder eine beglaubigte Abschrift ist nicht bekannt geworden. Karl sagte zu Chateaubriand: „Möge die Herzogin nach Palermo gehen

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