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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

der im Auftrage Karls X. ihre Schritte überwachen und ihre Unternehmungslust zügeln sollte, mit irgend einem bedeutungslosen Auftrage nach Holyrood znenck, um seiner ledig zu sein. Verhandlungen mit der bonapartistischen Partei zerschlugen sich, da die Legitimisten die Trikolore nicht anerkennen wollten. Die größeren Höfe in Europa zeigten sich zurückhaltender, als man gehofft hatte. König Ferdinand VII. von Spanien verbot der Herzogin, obwohl sie seine Schwägerin war, den Eintritt in sein Land.

Dagegen schienen mehrere örtliche Unruhen in Frankreich selbst, sogar in Paris, einer umfassenden Schilderhebung günstig zu sein. Die kriegerischen Royalisten im Lande rührten sich. Der Baron von Charette bereitete in der Vendée einen größeren Aufstand vor, indem er das Land in aller Heimlichkeit in Bezirke theilte, in deren jedem ein kampftüchtiger Adliger das Kommando über die waffenfähigen Royalisten führen sollte. Zu Anfang des Jahres 1832 war in sechsundzwanzig von diesen Bezirken je eine Compagnie von durchschnittlich achtzig Mann kampfbereit und mit Waffen und Schießbedarf versehen. Die Besucher und die Briefe aus Frankreich, welche die Herzogin in Massa empfing, stellten die Verhältnisse im Lande so dar, als begehe sie ein Unrecht gegen ihren Sohn, wenn sie nicht alsbald auf französischem Boden erscheine.

Sie zögerte nun nicht länger. In ihrem Auftrage übermittelte einer ihrer einflußreichsten Anhänger, der Marschall Bourmont, der zu ihr geeilt war, den Kommandanten im Westen den Befehl, sich für den 3. Mai bereit zu halten. Am 26. April bestieg sie mit einigen Getreuen, unter denen die Herren von Bourmont, von Kergorlay, von Mesnard und von Brissac die vornehmsten waren, bei Livorno ein Dampfschiff, das sie sich dank der stillen Begünstigung des Königs von Sardinien hatte verschaffen können, und in der Nacht vom 28. zum 29. landete sie an der Küste der Provence bei Carry. Ihre Begleiter waren als Fischer gekleidet, und mit ihnen verbarg sie sich in einer Fischerhütte nicht weit von Marseille. Sie ließ Proklamationen verbreiten, welche die Generalstaaten nach Toulouse beriefen, und wartete den Erfolg des Aufstandes ab, der am 30. April in Marseille beginnen sollte.

Aber die politische Polizei der französischen Regierung war der Herzogin von Berry, seitdem sie England verlassen hatte, meist dicht auf den Fersen geblieben. Auch von jener Einschiffung erfuhren die spanischen Agenten, konnten jedoch nur feststellen, daß eine Gruppe von Personen, welche zur Begleitung und Dienerschaft der Herzogin gehörten, jenen von Livorno nach Barcelona bestimmten Dampfer bestiegen hatte; daß die Herzogin selbst an Bord gegangen war, blieb den Behörden unbekannt, und noch viele Wochen später wußten sie nicht, ob sich die Frau in Italien, in Spanien oder in Frankreich befinde. Indessen waren sie auf ihrer Hut und hatten sich längst auf einen Aufstand in Marseille gerüstet. Am 30. zogen einige bewaffnete Legitimisten unter aufrührerischen Rufen durch die Straßen, und ein paar Stunden wehte die weiße Fahne der Bourbonen auf dem Thurme der Matrosenkirche von Saint-Laurent, aber die Aufständischen wurden sehr bald theils gefangen genommen, theils zerstreut und verjagt. Der Aufstand war kläglich gescheitert. Die Herzogin empfing in ihrem Versteck von dem Herzog von Escars (richtiger „Des Cars“) die Nachricht: „Der Streich ist mißlungen. Verlassen Sie Frankreich!“

Marie Karoline war nicht gewillt, diese Weisung zu befolgen. Das Ausland hatte sie im Stich gelassen, die Regierung hatte eine überwältigende Thatkraft entwickelt, die Royalisten im Süden hatten viel mehr versprochen als gehalten; vielleicht glich die erprobte Treue der Vendéer alles wieder aus. Zu ihnen wollte sie eilen, um eine zweite Erhebung an Ort und Stelle persönlich zu überwachen. Sie reiste zunächst westwärts mit einem Passe, der sie als Frau von Méry bezeichnete, und nur eine Kammerfrau begleitete sie. Von ihren Schicksalsgefährten trennte sie sich und traf nur an einzelnen vorher festgesetzten Punkten auf kurze Zeit wieder mit ihnen zusammen. Von Toulouse wendete sie sich nordwärts, bis sie in die Vendée kam. Sie legte die Kleidung einer Dame ab und zeigte sich, um den Nachforschungen mißtrauischer Gendarmen zu entgehen, in der Tracht einer Bäuerin, eines Bauernburschen oder eines Dieners. Sie reiste bald mit Begleitung, bald allein, heute zu Fuß, morgen zu Wagen und übermorgen zu Pferde. Ein Unterkommen fand sie bald in den Schlössern der Edelleute, bald in den Hütten der Bauern, bald im Walde oder auf freiem Felde. Drei- oder viermal wöchentlich wechselte sie ihren Aufenthalt. Hunderte von Personen wußten oder vermutheten, wer sie war; niemand verrieth sie. Ihre Abenteuer glichen einem zu Geschichte gewordenen Kapitel aus einem Walter Scottschen Romane, und Talleyrand durfte sagen: „In der Herzogin von Berry verkörpert sich die ganze Poesie unserer Zeit.“

Aber in dem Frankreich Louis Philipps war für diese Romantik kein rechter Platz, und dem Gelingen einer royalistischen Erhebung stellten sich auch in der Vendée große Hindernisse entgegen. Die Vendée von 1832 war nicht mehr die Vendée von ehemals. Die neue Regierung hatte eine Maßregel Napoleons zu Ende führend, die Vendée mit Heerstraßen durchzogen und starke Besatzungen in die Städte gelegt. Die städtische Bevölkerung mit ihrer größeren Anhänglichkeit an die jetzt bestehenden Zustände war mehr gewachsen als die ländliche. Auf einer Zusammenkunft der zu Kommandanten bestimmten Parteiführer, die unter dem Vorsitz der Herzogin am Abend des 21. Mai zu Meslier stattfand, widerriethen die meisten die Eröffnung des Kampfes. Viele erklärten offen, daß sie den Erfolg des Aufstandes im Süden als unerläßliche Vorbedingung für den Aufstand in der Vendée angesehen hätten und sich nun, da jene Bedingung nicht eingetreten sei, nicht mehr für gebunden erachteten.

„Herr Marschall,“ äußerte einer zu Bourmont, „wenn Sie über zwei Regimenter verfügten, würden wir nicht schwanken.“

„Zwei Regimenter!“ sagte Bourmont; „wenn ich zwei Bataillone hätte, wollte ich nicht nach Ihnen fragen.“

Bourmont hielt den Kampf für aussichtslos. Berryer, der berühmte Advokat, ein eifriger Legitimist, der auch erschienen war, rieth in seinem Namen und in dem der Pariser Parteiführer, die Unternehmung, die ohne Zustimmung besonnener Männer begonnen worden sei und zur Zeit unmöglich gelingen könne, sofort aufzugeben und außer Landes zu gehen. Die Herzogin ließ sich zunächst bereden und verfügte am 23. Mai, daß kein Aufstand stattfinden solle. Aber als einige Edelleute sie versichert hatten, daß sie ihr unter allen Umständen und jederzeit ihren Degen zur Verfügung stellten, da besann sie sich am 24. eines anderen und befahl die Waffenerhebung für die Nacht vom 3. zum 4. Juni.

Die Regierung war inzwischen nicht unthätig. In den ersten Tagen des Juni verhängte sie den Belagerungszustand über die Vendée und die benachbarten Landschaften. Die Besatzungen in den Städten standen marschbereit. Gleichzeitig erhielt sie durch polizeiliche Auffindung und Ausforschung eines Boten, den die Herzogin nach Paris gesandt hatte, die erste sichere Kunde davon, daß die Herzogin in der Vendée weilte. Es wurde nun das Signalement der Dame und ihrer namhaftesten Anhänger an die örtlichen Behörden geschickt. Die entschlossenen Royalisten wiederum, die zum Theil von Frauen geleitet wurden, wie von der erst im Jahre 1883 verstorbenen Gräfin Auguste von la Roche-Jacquelein, ließen sich durch die Vorkehrungen der Regierung nicht abhalten, den Befehl der Mutter ihres Königs auszuführen. Am 4. Juni warfen sich etwa 1000 Bauern, die weiße Fahne entfaltend, auf das Städtchen Aigrefenille. Charette kämpfte am 5. an der Spitze von 400 Mann bei Chêne; die Herzogin war mit einer Begleiterin zugegen und verband und pflegte die Verwundeten. Am 7. wurde um das Schloß Pénissière ein mörderischer Kampf geführt. Die Vendéer kämpften mit Muth und Erbitterung, aber die Uebermacht der Regierungstruppen war so groß, daß der Kampf schon nach wenigen Tagen mit dem völligen Siege derselben endete.

Die Herzogin hatte nun ihr Spiel verloren. Trotzdem beeilte sie sich nicht, den Boden Frankreichs zu verlassen. Eine letzte Aussicht schien sich ihr auch jetzt noch zu bieten, die Möglichkeit, daß die belgische Frage zu einem großen Kriege führte und mittelbar dem Schicksale des legitimen Königthums eine gunstige Wendung gäbe. In diesem Falle wollte sie schnell zur Hand sein. Am frühen Morgen des 9. Juni kam sie. von einer Dame begleitet, nach Nantes, wo ihre Freunde ein Unterkommen für sie ausgemittelt hatten. Beide Damen waren als Bäuerinnen gekleidet. Auf der Loire-Brücke begegnete ihnen ein junger Offizier mit seinem Truppentheil. Er faßte die Herzogin scharf ins Auge und sah ihr einen Augenblick nach, als sie an ihm vorüberschritt. Er hat im Jahre 1875 bekannt gegeben, daß man im Irrthum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_238.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)