Seite:Die Gartenlaube (1891) 221.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 14.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Eine unbedeutende Frau.

Roman von W. Heimburg.
(13. Fortsetzung.)

Hilde hatte in dieser Nacht nicht geschlafen, sie war nicht einmal zu Bett gegangen. Als das erste Morgengrauen durch die Vorhänge brach und mit dem Schein der verlöschenden Lampe kämpfte, saß sie noch in dem kalt gewordenen Zimmer im Schaukelstuhl, frierend und verweint. Auf Tischen und Stühlen lagen ihre Sachen, die sie aus den Schubfächern und Schränken gerissen hatte, um sie einzupacken; dabei lag auch ein Brief, den sie geschrieben hatte, an Frau Jussnitz gerichtet.

Weit war sie mit ihren Vorbereitungen zur Reise nicht gekommen. Eine unwiderstehliche Schwere hatte ihre Glieder gelähmt, und so war sie schließlich in den Stuhl gesunken, die Hände ineinander gewunden, und hatte Tag für Tag den Aufenthalt in diesem Hause noch einmal im Geiste durchleben müssen.

Müssen! Es half ihr nichts, daß der Stolz zu dem wunden Gewissen sagte: „Man hat Dich erst soweit gebracht – Du hast ja nur zeigen wollen, daß Du ihn nicht liebst, hast Dich stählen wollen an dem Bewußtsein, daß er nicht Dein werden konnte.“ – Immer wieder kamen neue Vorwürfe: „Du hast Dich eingedrängt zwischen jene beiden, hast sie irre gemacht aneinander!“

Und nun?

Ja, was nun? Sie griff sich mit der zitternden Hand in ihr verworrenes Haar. – Die Augen der Frau, diese todestraurigen Augen würde sie sehen, so lange sie lebte; in ihrer letzten Stunde noch würden sie ihr anklagend vor der Seele stehen. Daran hatte sie nie gedacht, daß diese Frau ein Herz besaß, daß sie ihren Mann liebte. Liebe war ihr so gleichbedeutend gewesen mit ewigem Zärtlichthun, Anschmiegen, Anbeten, mit Unzertrennlichsein, und wenn das nicht – mit Launen, Thränen, kleinen Kriegen und Friedensschlüssen. Diese Frau war so still, so geduldig gewesen, so bescheiden und demüthig –.

Hilde versuchte, sich in Antjes Lage zu denken. Unter heißem Erröthen vergegenwärtigte sie sich den Mann, den sie liebte, zu den Füßen einer andern, einer, die von ihr selbst nur Wohlthaten empfangen hatte, die im Hause gehegt und gepflegt worden war wie ein werther lieber Gast – und der Zorn kochte in ihrem Blut, ihre Hände ballten sich. O sie! Sie wäre auf die andere zugesprungen und hätte sie ins Gesicht geschlagen. Antje aber that nichts von dem! Nur einen Blick – aber der brannte, ach, der brannte! Das Mädchen sank zurück und schluchzte in die Polster hinein. „Was nun? Was nun?“ fragte sie sich wieder. „Nach Hause, gleich nach Hause!“ rief es in ihr.

Als ob man ihr dort nicht angesehen hätte, daß sie,

Alice. 0Nach einem Gemälde von A. Seifert.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_221.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2022)