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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

dem Holzkasten in das Feuer, stochert mit einer Zange durch die glühende Masse und setzt sich dann gemächlich, indem er sich und den Neffen mit einer Cigarre versorgt.

Das alles thut er mit einer gewissen behaglichen Sicherheit, die vergnüglich wirkt. Er ist ein leidlich wohlhabender Junggesell in den Fünfzigen, der sein Delikateßwarengeschäft bereits seit zehn Jahren verkauft hat, sich seinen Diener hält und das Leben anständig genießt – vorwiegend nach seiner eß- und trinkbaren Seite hin. Als Vormund seines Neffen Heinz – es gab da nicht viel zu verwalten – hat er durch einigen Zuschuß zu den Kosten des Studiums der Familie ein gelehrtes Mitglied gewonnen, was ihn mit Genugthuung erfüllt. Heinz ist ein tüchtiger Philologe; im Herbst war seine Studienzeit zu Ende, er hat sich keck sofort zum Staatsexamen gemeldet, hat den Winter auswärts, bei der Mutter, mit den Vorarbeiten dafür zugebracht – nun, seit ein paar Tagen ist das Examen bestanden, seit heute ist Heinz sogar Doktor.

Die Familienehre steht in leuchtendem Glanze!

Heinz hat seine Cigarre angezündet und prüft sie auf ihren Gehalt. Der Onkel betrachtet den hübschen brünetten Jungen mit dem schwarzen Schnurrbärtchen und der kurzen Quartschmarre auf der Wange mit versteckter Zärtlichkeit, indeß er sich selber ein paar Züge Rauch langsam gegen die Nase bläst. Er ist der richtige kleine Rentier, wie er so zurückgelehnt liegt, die Hände über dem Leibe gefaltet, die schwarzseidene Hausmütze mit langer Quaste auf dem Kopf, drunter im Flammenreflex glänzend das volle Antlitz mit kurzem Backenbärtchen …

„Also – Junge – mit dem Doktor ging das glatt ab?“

„Natürlich. Das ist nur ein Spaß nach dem Staatsexamen.“

„Na na! Nun bin ich doch neugierig, wo Du ankommst. Da Du die Fakultas für die oberen Klassen in Deinen Fächern hast und Oberlehrer werden kannst, so wird Dir’s doch nicht fehlen. Hast Dich großartig gemacht, Heinz; in den ersten Semestern warst Du ein bißchen ein Windhund ... na na, so ein ganz klein bißchen meine ich ... weiß schon, gerade so viel wie die meisten Studenten. Ich habe Dich ja auch nicht einschränken wollen; das siehst Du daraus, daß ich Dich nicht zu mir nahm, unter väterliche Aufsicht, sondern Dich Deine eigene Bude miethen ließ.“

Heinz lachte gutmüthig. „Hand aufs Herz, Onkel: wen hast Du da nicht einschränken wollen.“

„Was, Junge, Du willst Deinem braven Onkel aufs Gewissen knieen ... Franz, die Gläser her! Na, prosit, Herr Doktor, und recht bald einen netten Anfangsposten ...“

Die Römer trafen einander, dann tranken Onkel und Neffe bedächtig; der Feuerschein flackerte vom knisternden Kamin her über die Trinker. Drüben, unter der Deckenlampe, mühte sich Franz mit seinem Kellnergesicht, so geräuschlos wie schnell zusammenzupacken. In wenig Minuten war alles in einem Korbe untergebracht, das Tischtuch mit einer Decke vertauscht, der Onkel schielte wie erwartungsvoll hinüber.

„So! In einer halben Stunde bring’ Cognac, und nun verschwinde wie die Wurst im Spinde! – Ich wollte den Menschen erst nicht behalten, wie Du Dich erinnern wirst – aber er hat sich gemacht; bei solchem Volk kommt viel auf die richtige Erziehung an. Wenn bloß die Liebschaften nicht wären! Kaum hat man so einen Geist, wie man ihn haben will, dann geht er einem durch und heirathet. Apropos – Liebschaft: was die Deine betrifft, die ist doch nun hoffentlich aus? Mit dem kleinen Musikantenfräulein, wie? Wenn da noch etwas hängt … ich kann Dir bloß väterlich rathen: gieb sie auf!“

Heinz sah zur Seite, in die Kaminflammen, in welche der sausende Frühlingswind eben mit starkem Anlauf stürmte. War es davon, daß seine Wange sich tiefer färbte? Die kleine Quartnarbe glühte. Das rasselte, brummte und knisterte eine Weile, wahrend die beiden Männer schwiegen.

„Ich bin noch nicht bei ihr gewesen, seit ich wieder hier in der Stadt bin,“ sagte Heinz endlich langsam. „Ich habe ihr sogar während des ganzen Winters nicht geschrieben.“

„Auch zu Neujahr nicht?“

„Auch zu Neujahr nicht.“

„Hast ihr auch nichts zu Weihnachten geschickt?“

„Auch das nicht.“

Famos, Junge! So gefällst Du mir. Prosit! Die Sache hat mir ordentlich auf dem Herzen gelegen. Verlaß Dich darauf: die Kleine wird sich trösten, vielmehr schon getröstet haben. Alte Geschichte, die Studentenliebschaften: er jung, sie jung; er grün, sie grün – zu Anfang bildet sich das beides ein, es muß geheirathet sein, und im Grunde ist die ganze Liebschaft nichts als sozusagen ein erster Versuch. Man ist auf die Liebe eingerichtet in den Jahren, hat das Gefühl: irgendwo mußt Du hin damit – und die erste beste passende oder unpassende Gelegenheit wird benutzt, um das Herz unterzubringen. Die jungen Männer sind ja meist die vernünftigeren, sind sich schon nach einem halben Jahre klar, daß das geliebte Wesen doch eigentlich keine richtige Frau für sie abgiebt, und wer da ein bißchen Schneid’ hat, macht zeitig ein Ende. Ueber das Ach und Weh kommen dann schließlich auch die jungen Dinger fort, und nach zwei, drei Jahren haben sie den Rechten und lassen sich einsegnen. Das giebt dann so eine schöne und rührende Erinnerung an den Ungetreuen, und wenn sie ihn zufällig einmal wiedersehen, werden sie noch nach fünfundzwanzig Jahren roth. Na – das ist so, wie es sein soll. Aber es fehlt auch nicht an überzarten Jünglingen, die möchten los und können nicht recht ... eines Tages sind sie ja doch in Amt und Würden und können allenfalls eine Frau ernähren, die nichts hat ... das Fräulein ist wohl inzwischen ein bißchen altbacken geworden ...“

„Das wenigstens ist die Edith sicher nicht geworden in dem halben Jahre ...“

Der Onkel zieht die Stirn hoch und zwinkert. „Du, so ganz kuriert scheinst Du mir doch nicht zu sein.“

„Und wenn ich’s dennoch wäre?“ Ein Schatten fliegt über das Gesicht des jungen Doktors, indeß er ein Stückchen Asche von seiner Cigarre abstreift und in den Kamin schleudert.

„Vernünftig wär’s und mir um Deinetwillen lieb, Junge. Es fallen nicht umsonst neun Zehntel Blüthen taub vom Kirschbaum. Ich habe recht, glaube mir! Eins will die Jugend nicht kapieren, was einem, je älter man wird, desto deutlicher einleuchtet: daß nämlich lieben und heirathen zwei grundverschiedene Dinge sind. Was ist man in der Jugend? Ein junger Mensch, das ist alles. Und ein liebebedürftiger dazu. Man hat weder einen ausgebildeten Geschmack – nur die reine Natursympathie führt da zwei zusammen – noch ein Gefühl für das, was man einer künftigen Stellung schuldig ist. Ihr junges Volk solltet nur wissen, wie wählerisch Ihr nach zehn Jahren, nach zwanzig Jahren sein würdet!“

„Ja, Du bist so wählerisch geworden, Onkelchen, daß Du zuletzt Junggeselle geblieben bist,“ lächelt der Neffe.

„Richtig, Heinz,“ schmunzelt jener, „das stimmt, und ich raufe mir die Haare darum auch nicht aus. Aber alles mit Maß – so um die Mitte der Dreißig weiß man gerade hinlänglich, was für eine Frau man braucht ...“

„Fünfunddreißig? So lange möcht’ ich doch nicht warten!“

„Eh, das ist schließlich auch nicht nöthig. Wenn Du jetzt ein bißchen vordenkst, kannst Du immer schon so wählen, daß Du einigermaßen sicher sein darfst, es nicht zu bereuen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_216.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)