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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

lernt. Daß auch durch Glöckchenklang das Kind in Schlaf gebracht werden kann, ist richtig, allein es ist dies dann mehr eine Folge der Abspannung, welche der Aufregung naturgemäß folgt.

Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, wäre es angemessen, die Verwendung der Klingelinstrumente in der Kinderstube auf das geringste Maß zu beschränken, immer aber sind sie noch den Klappern und andern nur Geräusch verursachenden Instrumenten vorzuziehen, die jedenfalls keinen vortheilhaften, eher einen nachtheiligen Einfluß auf die Entwickelung der Kinder ausüben. Es ist nicht zu berechnen, wie viel feinere Empfindung dadurch schon im Kinde abgetödtet wird.

Der Schwerpunkt muß daher in den Gesang gelegt werden, und auch der kleine Erdenbürger soll lernen, sein Stimmchen nicht nur in Mißtönen erschallen zu lassen. Mit der Pflege des Gesanges in diesem Sinne kann sehr früh begonnen werden, denn dieselbe ist nicht, wie zaghafte Mütter fürchten, der Gesundheit schädlich, sondern sie hilft sie im Gegentheil fördern, weil die zu den wichtigsten Organen der Lebensthätigkeit gehörenden Lungen durch zweckmäßig betriebenes Singen ganz außerordentlich gestärkt werden.

Bekanntlich führen die Lungen dem Körper die ihm unerläßliche atmosphärische Luft zu, und sie vermögen dies um so leichter und erfolgreicher, je kräftiger sie sind. Die Kräftigung der Lungen gehört mit zur Hauptsorge der Aerzte wie der Mütter; jene haben es daher auch gern, wenn den Säuglingen die Gelegenheit zur Lungenthätigkeit im Schreien nicht zu selten geboten wird. Die Kraft der Lungen aber wird beim Gesange regelrecht geübt. Denn um einen Gesangston zu erzeugen, muß man möglichst viel Luft in die Lungen aufnehmen, sie dort einen Augenblick still stehen und dann langsam ausströmen lassen.

An dem zarten Gesangsorgane der Kinder kann nur die unvernünftigste Behandlung etwas verderben, während es durch die verständige gekräftigt wird. Der entsprechend ausgewählte Uebungsstoff hilft die Stimme nicht nur als Gesangs-, sondern auch als Sprachorgan entwickeln. Ueber den Zeitpunkt, in welchem diese Uebungeu beginnen sollen, unterrichten uns die kleinen Lieblinge in der Regel selbst. Noch lange bevor sie zu sprechen versuchen, fangen sie schon an, ihr Gesangsorgan zu brauchen. Sie „krähen“ nicht nur in den höchsten Lagen ihrer Stimmmittel, sondern sie summen wohl auch eine kurze Phrase vor sich hin, und an diese knüpfe man an, indem man sie dem kleinen Schreihals wie absichtslos in der bequemeren Lage und in streng abgemessenen Intervallen vorsingt, und es bedarf sicher keiner besonderen Aufforderung, um den kleinen Musikschüler zu bewegen, nachzusingen; sie stimmen meist von selbst ein und so wird man sie allmählich daran gewöhnen, die Phrase in der entsprechenden Tonlage und in erkennbaren Intervallen zu singen.

Daß derartige Versuche im Singen auch die Entwicklung der Sprache ganz bedeutend fördern, braucht nicht erst nachgewiesen zu werden. Ist diese so weit gediehen, daß die Kleinen ihre Auszählverschen, die kurzen Gebete und kleinen Liedchen auswendig lernen, so tritt auch die Pflege des Gesanges auf eine höhere Stufe. Diese Verschen müßten mit Melodien versehen sein, die sich selbstverständlich nur im Umfange von drei, allerhöchstens vier Tönen bewegen, von g bis h oder c. Dabei ist von der Mutter oder Erzieherin zu beobachten, daß diese Liedchen mit möglichster Reinheit vorgesungen werden, weil es die Kleinen gern so nachmachen, wie es ihnen vorgesungen wird. Sie können auf diese Weise früh zu einer guten Vokalisation erzogen werden, auf welcher hauptsächlich die Bildung eines guten Tones beruht.

So ist in der Kinderstube ein Gesang zu erzielen, der den wohlthätigsten Einfluß auf Herz und Gemüth ausübt und diesen reiche Nahrung zuführt. Schon auf dieser Stufe kann der Kindergesang zu einer Macht werden, die selbst erquickend für die erwachsenen wird, deren Zauber man gern auf sich wirken läßt, und müßte man ihm auch selbst eine Lieblingsbeschäftigung opfern. Diese „Musik im Hause“ wird nicht mehr zu einem Schreckniß, sondern zum Jungbrunnen für alle durch den Ernst und die Arbeit des Lebens verhärteten Gemüther. Solange der Gesang die bevorzugte Stelle in der Hausmusik einnahm, erschien diese kaum einem oder dem andern Griesgram als eine Plage. Noch weit in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts herein wurde auch in den unteren Schichten unseres Volkes noch mehr musicirt als heute. Zur Ausrüstung des wandernden Handwerksburschen gehörte meist auch eine Guitarre, mit der er seine Lieder begleitete, und sein Stock barg nicht selten eine Flöte, durch welche er seines Herzens Lust und Sehnen Ausdruck gab. Namentlich aber geschah dies im Gesange, von welchem nicht nur Wald und Feld, sondern auch die Wände des Hauses wiederhallten, in welchem der Geselle Arbeit gefunden hatte. Und wenn nach Feierabend die Bewohner eines oder mehrerer benachbarter Häuser sich im Hofe, Garten oder vor der Thür zum gemeinsamen Gesange versammelten, durften sie immer auf einen zahlreichen, vergnügt lauschenden Hörerkreis rechnen.

Zur Plage ist die Hausmusik erst geworden, seitdem das Pianoforte zum Mittelpunkt derselben wurde. Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß das Klavier in Bezug auf seinen praktischen Werth allen anderen Instrumenten voransteht, und so war es natürlich, daß es die bisher zur Begleitung des Gesanges verwendeten Saiteninstrumente, die Harfe, Laute und Guitarre, verdrängte. Dabei erwies es sich nach seinem Bau und seiner Spielweise so außerordentlich verbesserungsfähig, daß es nicht nur als Begleitungs-, sondern auch als selbständiges Instrument eine Bedeutung erlangte, wie kein anderes. Wohl fanden auch Harfe, Laute und selbst die Guitarre ihre Künstler, aber diese vermochten die eng beschränkte Spielweise und Technik dieser Instrumente nicht so zu erweitern, daß sie sich mit größerer Selbständigkeit hätten geltend machen können. Das war allein dem Pianoforte beschieden, das sich in einer wenig mehr als ein Jahrhundert umfassenden Zeit zum bevorzugtesten Instrument entwickelte. Es ist in seiner ursprünglichsten Gestalt als „Hackebrett“ länger als ein Jahrtausend bekannt; allein noch in den verschiedenen Arten als Spinett, Clavicembalo u. dergl. im 16. und 17. Jahrhundert spielte es nur eine geringe Rolle. Erst als im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts die neue Mechanik erfunden wurde, trat es allmählich in den Vordergrund und am Ausgange des Jahrhunderts bereits hatte es im wesentlichen seine vollkommene Gestalt gewonnen, welche ihm den Sieg verschaffte.

Wie der Glöckchenton, so ist auch der Ton der Metallsaite mehr sinnlich aufregend und nervenreizend, ja er übertrifft in dieser Richtung selbst den Ton der Darmsaite. Niemals aber wirkt er so das Innere bewegend wie der Gesangston. Er ist nicht desselben seelischen Ausdrucks fähig wie dieser und wie die ihm näher verwandten Blasinstrumente. Der Klavierklang regt deshalb mehr die Phantasie und die Nerven als Herz und Gemüth an.

Daher wird der Klavierklang zuweilen nicht nur für die Hörenden, sondern selbst für die Ausführenden zur Pein, und die rein technischen, die sogenannten „Fingerübungen“ können einen fast körperlichen Schmerz bereiten, während die entsprechenden Gesangsübungen schon aus dem einfachen Grunde nicht so peinigend sind, weil sie nicht so anhaltend fortgesetzt werden können, ohne die Stimme zu ermüden.

Nun müßte man es als Thorheit bezeichnen, wenn jemand die Anforderung stellen wollte, das Klavier aus der Hausmusik zu entfernen und es wieder durch die weniger aufdringlichen Instrumente wie Harfe und Guitarre zu ersetzen. Denn die Wirkung des Gesanges würde dadurch selbstverständlich schwere Einbuße erleiden, da für unsere größten und unvergänglichsten Vokalwerke die Klavierbegleitung von wesentlichster Bedeutung geworden ist. Karl Maria von Weber hat noch eine ganze Reihe seiner herzerfrischenden Melodien zur Guitarre gesungen und von Goethe wissen wir, daß er sich die Melodien seines Freundes Zelter gern unter Guitarrebegleitung vorsingen ließ. Allein seitdem die nachgeborenen Meister noch besser verstehen lernten, den Dichtern auch die tiefsten Geheimnisse ihrer Innerlichkeit abzulauschen, um sie musikalisch treu umzugestalten, konnte ihnen auch die wahrst empfundene, ausdrucksvollste Melodie nicht mehr genügen; sie mußten zur vollständigen Darlegung der dichterischen Empfindung die instrumentalen Mittel mit zu Hilfe nehmen, und hierzu erwies sich das Klavier als das entschieden günstigste. Es muß deshalb der Hausmusik erhalten bleiben, nur mit der bereits angedeuteten Einschränkung, daß es nicht als ausschließlich bevorzugtes, sondern mehr als dienendes Instrument behandelt wird.

Um dem Gesange früh im Hause die ihm gebührende Stellung anzuweisen und zu erhalten, darf er auch unter den Klavierübungen nicht verstummen. Es können diese sehr leicht mit dem Gesangsunterricht verbunden werden und die Erfahrung bestätigt, daß selbst die technische Ausbildung dadurch wesentliche Förderung erhält.

Auch die Klavierbegleitungen zu einer großen Reihe unserer vorzüglichsten Gesangswerke setzen einen nicht unbedeutenden Grad technischer Fertigkeit voraus, der nur durch ernste und ausdauernde Studien zu erreichen ist.

Werden diese nun früh mit dem Gesange verbunden, was sich sehr leicht machen läßt, so verlieren sie zunächst das Geistabtödtende und Ermüdende ihrer Wirkung und erhalten zugleich ihre rechte Stellung angewiesen. Wie viel aber die gleichzeitige Pflege des Gesanges neben der des Klavierspiels dieses selbst zu fördern geeignet ist, das wird nicht leicht jemand bezweifeln. Die Beseelung des Instrumentalklanges ist nur für den Gesangskundigen vollkommen möglich; für die Hausmusik aber ist diese Beseelung Haupterforderniß; hier gilt es nicht, mit Glanzleistungen Bewunderung und Staunen zu erregen wie im Konzert, sondern Herz und Gemüth zu erfreuen und zu befruchten, und das ist nicht mit reizvollen, sondern nur mit beseelten Klängen zu erreichen. Jene gewähren nur Unterhaltung und vorübergehenden Genuß; erst diesen wohnt die wirklich veredelnde und erhebende Kraft inne. Dr. August Reißmann.     




Weil die Amsel pfiff.

Eine Ostergeschichte von Victor Blüthgen. Mit Abbildungen von Fritz Bergen.


„Nun, mein Sohn, wenn Du denn satt bist, so wollen wir uns in aller Gemüthsruhe an das Feuerchen da setzen und bei einem guten Tropfen von alten und neuen Dingen schwatzen. – Franz, hol’ ein paar Flaschen 1875er Rauenthaler herauf, Berg-Auslese mit Goldkopf, und dann räum’ ab! – Du hast ja einigen Weinverstand, Heinz, oder besser gesagt: eine Weinzunge ... denn der Verstand kommt erst mit den Jahren und der Erfahrung; beim Wein geht Probiren über Studieren, oder vielmehr, es läuft beides auf dasselbe hinaus. – Was ist das für ein närrisches Frühjahr heuer! Gestern zwölf Grad Wärme, heute wieder Ofen- und Kaminfeuer. Es giebt weiße Ostern morgen, paß auf!“

Der Onkel ist ein kleiner fetter Herr; er nimmt sein bequemes Lodenjackett, das er als Hausrock trägt, über der grauen Plüschweste zusammen und steuert von dem Tisch mit den Ueberresten des Abendessens zu dem lodernden Kaminfeuer hinüber. Dort steht ein niedriger Tisch, darauf eine offene Cigarrenkiste, daneben zwei niedrige Lehnstühle. Er wirft ein paar Scheite aus

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