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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

das am besten zu machen ist. Wenn ich dann dem Georg die Zinsen bringe, das freut ihn, da schmunzelt er. Er hat es nachgerade auch satt, zu sehen, wie andere so leicht, ohne sich zu rühren, reich werden, während er sich abmüht um das tägliche Brot von morgens bis abends.“

Bertha stieg das Blut ins Gesicht bei diesen Worten Theresens. Also auch der arbeitsame brave Georg Bergmann sollte zu den Tausenden gehören, die der Untreue Stefanellys, der Vertrauensseligkeit, vielleicht der Gewissenlosigkeit ihres Schwiegervaters zum Opfer fielen, und sie sollte dem Vater verbieten, die Leute zu warnen, nur damit sie selber Zeit gewänne zur Rettung ihrer Familie, ihres Namens! Die ganze furchtbare Verantwortung, welche Christian auf sich geladen hatte, stand vor ihren Augen, die ganze Verwerflichkeit dieses Geldspieles.

„Hast Du denn gar keine Angst, diese Spekulation könnte einmal schlimm enden? Du verstehst doch nichts davon. Wie schrecklich, wenn der saure Verdienst Deines Gatten verloren ginge!“ konnte Bertha nicht umhin zu sagen.

„Wer wird denn da Angst haben,“ meinte Therese, „wenn die reichsten, klügsten Leute mitthun und ihren Namen dazu hergeben! Das wäre noch schöner, wenn es da nicht mit rechten Dingen zuginge! O, Dein Vater warnt uns auch immer, ich weiß nicht, was er gegen den Stefanelly hat; er hat schon längst alle seine Papiere verkauft. Dein Bruder Hans ist wüthend darüber, und der versteht es doch! Wir sind dem Hans wirklich zu Dank verpflichtet, er benachrichtigt uns immer, wenn ein bißchen was zu verdienen ist. Das ist übrigens gut! Du, Bertha von Brennberg, die Schwiegertochter des Aufsichtsrathes, sprichst von Angst. Wenn ich Dich nicht so genau kennen würde, müßte ich annehmen, Du gönntest mir den Gewinn nicht – doch das wäre ja rein lächerlich! Nur einen Augenblick, Bertha, ich muß nur noch rasch die Posten zusammenzählen; morgen ist Zahltag, was uns übrig bleibt, wandert zu Stefanelly. Er muß uns zu einem schönen Haus verhelfen, der Vater Georgs will nicht heraus mit dem Gelde.“

Bertha schwieg betroffen und blickte auf die rechnende Freundin. Welche Veränderung war hier vorgegangen! Wie glücklich und zufrieden war Therese oben in dem kleinen Stübchen als Nätherin an der Seite ihrer Mutter und Lilis, wie selig in ihrer Liebe zu Georg gewesen, und jetzt diese Unzufriedenheit mit ihrem Los, dieser Gelddurst, dieser geheime Neid gegen die reiche Frau von Brennberg, während die verwachsene Lili draußen fröhlich umherging, den Knaben der Schwester im Arm, Lieder singend!

Ueber den Hof nahten jetzt Georg, der junge Schlossermeister, und der alte Margold in heftigem Gespräche. Therese schlug ihr Buch zu und schloß es in den Kasten.

(Fortsetzung folgt.) 




Lenzeszauber.

„Wer stürmt mir gegen die Pforte an,“
So ruft der Winter, der grimme Mann,
Und draußen erschallt es: „Oeffne sogleich,
Ich nah’ auf höchsten Befehl Deinem Reich;
Du sammt Deinen rauhen Vasallen
Bist endlich dem Bann verfallen.“

Der Alte lächelt. „Du prahlender Wicht,
Meines Reiches Mauern erschütterst Du nicht,
Das Thor bleibt geschlossen, Du dringst nicht ein!“ –
Da bricht durch die Spalten ein leuchtender Schein –
„Es hilft Dir kein Kämpfen, kein Ringen,
Mein Zauber, er muß Dich bezwingen.“

Da zittert der Alte, es sinkt ihm der Muth,
Er kennt die Stimme, die lichte Gluth,
Er kennt den feurigen Jugenddrang,
Der ihn schon so oft im Kampfe bezwang,
Doch will er sich nicht ergeben,
Kampf gilt es auf Tod und auf Leben.

All seine Mannen entbietet er,
Sie strömen heran mit Zacken und Speer.
Die scharfen Nadeln der Nordwind spitzt,
Des Frosts todbringende Lanze blitzt,
Doch eh’ zum Streit sie gelangen,
Schau’n plötzlich sie auf mit Bangen.

Es klingt in ihr Ohr ein Zauberton –
Die alten Recken, sie kennen ihn schon.
Gelähmt ist der Arm, der die Waffe hebt –
Das eisige Thor in den Fugen bebt.
Da fällt es … da liegt’s! Durch den Bogen
Kommt siegend der Lenz gezogen.

Um seinen Scheitel der Sonne Licht;
Aus seinem Auge die Liebe spricht,
Sein wonniger Hauch die Sehnsucht belebt.
Von seinen Lippen ein Lied entschwebt,
Und Vöglein auf leichten Schwingen
Süß ahnend es weiter singen.

Da muß dem Winter der Muth vergehn,
Hier hilft nicht länger ein Widerstehn,
Er streckt die Waffen mit seiner Schar,
Er schüttelt das Haupt; aus dem nassen Haar,
Aus des Bartes glänzenden Locken
Entfliegen die letzten Flocken.

Dann zieht er mit seinen Mannen fort.
Besiegt von des Lenzes Zauberwort:
Nun schmilzt auch das Eis, es rauscht der Bach!
Singt, Frühlingslieder, die Erde wach!
Weckt schlummernde Keime und Triebe
Und im Menschenherzen die Liebe.

 Monica Brodtreiß.




Vom Gesange in der Kinderstube.

Seitdem die Musik im Hause – in der Familie wie in der Gesellschaft – eine so ausgedehnte Pflege findet, mit so regem Eifer geübt wird, ist sie leider auch zum Schreckgespenst geworden. Mancher ihrer warmen Freunde, der sie im Konzertsaal und Theater eifrig sucht, möchte ihr im Hause geradezu den Eintritt verweigern, denn soviel Freude sie ihm dort gewährt, soviel Verdruß ist ihm hier schon durch sie bereitet worden.

Der Grund dieser eigenthümlichen Erscheinung ist aus dem innersten Wesen von Ton und Klang zu erweisen, deren Einwirkung so unmittelbar erfolgt, daß wir uns ihr nur schwer, nur etwa durch eilige Flucht zu entziehen vermögen. Das Eindringen von Licht und Farbe hindern wir einfach dadurch, daß wir die Augen schließen; Ton und Klang lassen sich nicht so leicht abweisen, sie dringen selbst aus weiter Ferne und ganz gegen unsern Willen in unser Ohr und zwingen uns, ihnen zu lauschen, wenn wir es nicht vorziehen, uns so weit zu entfernen, daß die Klangwellen unser Ohr nicht mehr erreichen. Aber auch dann klingen die Töne oft noch lange in uns nach, wenn sie außen längst für uns unhörbar geworden sind.

Schon der Ton der Rede übt diese Macht auf uns aus. Einer mit klangvoller Stimme gehaltenen Ansprache lauschen wir gern, auch wenn sie weniger gedankenvoll wäre, und wir lassen uns leichter durch sie fesseln, als durch eine inhaltreichere, welcher der Klangreiz beim Vortrage fehlt.

Der Gesangston und noch mehr der Instrumentalton werden in ihrer Wirkung geradezu aufdringlich, sodaß sie uns mit zwingender Nothwendigkeit in ihren Bann ziehen und unserm Empfinden eine ganz bestimmte Richtung geben, und das ist es, was die Hausmusik auf der einen Seite beruhigend und veredelnd, auf der andern aber auch störend und ertödtend werden läßt.

Daß der Gesangston vorwiegend veredelnden Einfluß ausübt und nur bei ganz verkehrter Pflege im Hause Nachtheile bringt, ist leicht zu erweisen. Als das unmittelbare Erzeugniß innerer Erregung vom Herzen kommend, geht er auch zum Herzen des Hörers, das dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird, wie der unmittelbare Erzeuger.

Die Wesensverschiedenheit der einzelnen Klänge macht sich schon in der Kinderstube geltend. Beim Säugling selbst ist zu beobachten, daß der Klang eines Glöckchens anders auf ihn wirkt wie der der Singstimme. Beide, Glöckchen- und Stimmklang, sind früh, wenn das Kind noch für nur wenig anderes als seine Nahrung Sinn zeigt, geeignet, seine Aufmerksamkeit zu erregen, und dem scharfen Beobachter wird es nicht entgehen, daß dabei bereits die Wirkung eine ungleiche ist. Die des Glöckchens erfolgt auch bei dem Säugling mehr blitzartig und hat fast immer eine rasche Veränderung des Gesichtsausdrucks zur Folge; das schmerzverzerrte Mündchen verzieht sich schnell zum Lächeln und selbst zum Lachen, wenn das Glöckchen ertönt, und dabei erglänzen die Aeuglein heller, als wenn der Gesangston an das kindliche Ohr schlägt, dessen Wirkung auch meist langsamer erfolgt. Es macht sich also schon hier ein größerer sinnlicher Reiz des Instrumentaltones dem Gesangston gegenüber geltend, wogegen sich dieser nachhaltiger und zugleich beruhigender erweist. Während der Ton des Glöckchens das Kind aufreizt, bei längerer Dauer sogar bis zu nervöser Erregung, besänftigt es der Gesangston, daß es selbst Unbehagen und peinigenden Schmerz im Schlaf überwinden und vergessen

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