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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

entsteigen die Rauchwolken und hüllen die ganze Gegend in ein dichtes Grau, und wie zu Abrahams Zeiten „steigt ein Rauch auf vom Lande wie ein Rauch vom Ofen“.

Wie ein Klang aus alten Zeiten erscheint uns das Lied:

„In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad

Wo ist sie geblieben die vielbesungene Mühle mit Weh und Sehnen des in die Ferne ziehenden Wanderers? Wo ist das Hammerwerk, einst am stillen Weiher in tiefer Waldeinsamkeit gelegen, wo der „Märker Eisen reckte“, wo der himmelblaue Rauch des Holzkohlenmeilers kräuselnd aufstieg und in langen blauen Streifen durch den Wald dahinzog. – Die rauhe Hand der unaufhaltsam vorwärtsstürmenden Zeit hat das alles weggefegt. Die saubere Holzkohle ist von der rußigen Steinkohle verdrängt worden; und wie die Postkutsche der Lokomotive weichen mußte, so ist das Wasser in seiner Rolle als treibende Kraft von dem durch die Kohle erzeugten Feuer weit überholt worden. Ob für immer? – Wir werden versuchen, ob wir den Schleier der Zukunft etwas zu lüften imstande sind. Und wenn auch die anheimelnde Poesie des Mühlbaches für immer verloren ist, als Betriebskraft wird der Bach wohl wieder zu Ehren kommen, wenn auch erst in ferner Zukunft.

Zur Zeit werden annähernd 450 Millionen Tonnen Steinkohle jährlich dem Schoße der Erde entführt, entsprechend einem Raume von 340 Millionen Kubikmeter. Wollte man diese Kohle zu einem Würfel formen, so würde dieser in runder Zahl 700 Meter Kantenlänge haben. Diese Größenangaben lesen sich so leicht, als ob das gar nichts wäre; wir möchten deshalb unsern Lesern behilflich sein, sich diese Größen etwas anschaulicher zu machen.

Der erwähnte Steinkohlenwürfel würde 2½ Mal so hoch sein als der viel besprochene Riesenthurm der Pariser Weltausstellung; und man müßte eine gute halbe Stunde lang gehen, um den ganzen Umfang der Grundfläche des Würfels zu umwandern.

Eine Landstraße in der Breite von 8 Metern, einen Meter hoch mit Kohle bedeckt, würde um den ganzen Erdball herumreichen.

Die ägyptischen Pyramiden werden oft als Beispiel der großen Leistungen des Alterthums bewundert; es sei deshalb noch erwähnt, daß man aus der jährlich geförderten Kohlenmenge 130 solcher Pyramiden größter Sorte würde herstellen können.

Dieser Kohlenbedarf ist jedoch nicht etwa unveränderlich, sondern er ist stetig, und zwar in erheblichem Maße, im Zunehmen begriffen, und in den letzten 30 Jahren auf das 21/2fache des anfänglichen Bedarfes gestiegen.

Bei so bedeutendem Kohlenverbrauch und bei solcher Steigerung ist es wohl gerechtfertigt, zu fragen: Kann das so weiter gehen? Sind die Kohlenvorräthe unerschöpflich? Bilden sie sich aufs neue? Wie lange reicht der Vorrath? Und, als Kernfrage: Wenn der Vorrath zu Ende ist - was dann?

Um diesen Fragen näher zu treten, bitten wir den Leser, für einen Augenblick, gleich verwunschenen Prinzen oder Prinzessinnen, sich mit uns in eine Zeit zu versetzen, die der Geologe die „Steinkohlenperiode“ nennt und die viele, viele Millionen Jahre hinter uns liegt. Ein ordentlicher Geologe rechnet nur mit Millionen, und wenn’s einmal in die Millionen geht, so kommt’s auf eine Hand voll mehr oder weniger nicht an. Also – wir befinden uns in den Steinkohlezeiten: eine warme, schwüle, mit Wasserdünsten gesättigte Luft umgiebt uns; kaum vermag die Sonne den dichten Nebel zu durchdringen, und wegen der vielen Dünste scheint der ganze Himmel ein Feuermeer zu sein. Die Erde hat sich von ihrem früher heißflüssigen und glühenden Zustande noch nicht ganz erholt, daher ist der Erdboden noch warm und strahlt fortwährend innere Erdwärme aus. Auf dem warmfeuchten Boden entwickeln sich mit erstaunlicher Schnelligkeit Pflanzen aller Art, von gar seltsamem, fremdartigem Ansehen. Himmelhohe Palmen, Lepidodendren, Sigillarien, Farren und Schlingpflanzen umgeben uns in dichtem Gewirre.

Am Abend des schwülen Tages ballen sich plötzlich die Dünste zu dichten Wolken zusammen, ein Gewitter entsteht, so heftig, als sollte die junge Welt untergehen. Krachend fallen die Waldriesen, sinken dahin, bei ihrem Untergange das dichte Gewebe von Schlingpflanzen mit sich reißend; ein wirrer Pflanzenknäuel bedeckt den Boden. Aber nur einige Tage lang sind die Spuren der Verwüstung sichtbar – dann werden die Trümmer von neuen, üppig hervorbrechenden Pflanzen überwuchert, und unter deren schützender Decke wird die Umbildung der gefallenen Geschwister in Humus und Steinkohle eingeleitet.

Im Fluge lassen wir jetzt weitere geologische Umwälzungen an uns vorüberstreichen. Die großen Lagen abgestorbener Pflanzen werden nach und nach von einer stattlichen Reihe anderer Erdschichten bis zu 500 Meter und höher überdeckt, eingeschlossen, und unter dem großen Druck derselben geht die Umwandlung in Steinkohle, wie wir sie heute vor uns sehen, allmählich vor sich.

So lehrten lange Zeit hindurch die Geologen – und es klappte auch alles so recht hübsch, denn in den schiefrigen Thonablagerungen der Kohlenflötze finden sich noch die steinernen Urkunden aus der damaligen Zeit, nämlich die Abdrücke von riesigen Blättern, Stengeln und Stämmen, so deutlich und schön, als wären sie erst gestern in Thon abgeformt worden; jedes Pflanzenäderchen ist auf denselben zu erkennen, und wo ein Baumstamm war, findet sich ein dem plattgedrückten Stamme entsprechender Rest von Steinkohle.

In den fünfziger Jahren erhielt jedoch diese Anschauung durch die Untersuchungen und Vorträge eines verdienstvollen Gelehrten, des Medizinalraths Mohr, einen bedenklichen Stoß. Dieser „böse Mohr“[1] behauptete, obwohl er selbst auch nicht zugegen gewesen sei, so sei doch die Sache viel natürlicher zugegangen. Man solle sich nur einmal die im Atlantischen Ocean, zwischen den Kanarischen Inseln und der Halbinsel Florida befindlichen, inselähnlichen Tangbildungen ansehen, die dort in dichtestem Gewirre eine Fläche von 40000 Quadratmeilen einnehmen – eine Fläche, größer als Deutschland, Oesterreich und Frankreich zusammengenommen. Diese Bildungen bestehen aus Beerentang oder Sargassum. Nach dem Absterben sinken diese Tange unter und bilden aus dem Meeresgrunde die Steinkohle. Aehnliche Tanglager finden sich im nordwestlichen Theile des Stillen Oceans, an der Südspitze Amerikas, im südlichen Polarmeere und bei den Sandwichinseln. Die Entstehung der eingelagerten Kohlenschiefer erklärt Mohr dadurch, daß sich Schlamm aus dem durch Ueberschwemmung getrübten Süßwasser niedergeschlagen habe. Durch dieselbe Ursache seien auch die erwähnten Pflanzenabdrücke entstanden, die vom Strome zufällig angetrieben worden seien. Endgültig entschieden ist die Frage noch nicht. Hat aber Mohr recht, so könnte und müßte auch zu unserer Zeit noch Steinkohlenbildung stattfinden. – Wann aber diese Neubildungen in verwendbare Steinkohle übergegangen sein werden, entzieht sich jeder Berechnung. Sagen wir also auch hier: in einigen Millionen Jahren.

Da heutzutage Bacillen und dergleichen winziges Gesindel in der Mode sind, so hat ein Herr Reinsch auf Grund sorgfältiger mikroskopischer Untersuchungen behauptet, die Hauptmasse der Steinkohle bestehe aus Zersetzungsresten von äußerst kleinen Pilzen. Eine günstige Aufnahme scheint dieser Ansicht bisher nicht zutheil geworden zu sein, und wir wollen uns mit vorstehender Erwähnung begnügen.

Von großem Interesse für die Beurtheilung der angeregten Fragen ist es aber. über die Dauer der zur Bildung der Steinkohlenlager erforderlichen Zeit sich Rechenschaft zu geben. Nach Schleiden („Die Pflanze und ihr Leben“) ist bei der üppigsten Vegetation der Tropen zur Bildung einer neun Zoll (etwa 12 cm) dicken Humusschicht fast ein Jahrhundert erforderlich. Diese Schicht wird bei der Umwandlung zu Steinkohle auf den siebenundzwanzigsten Theil ihrer Dicke, also auf etwa acht Millimeter zusammengepreßt. Danach kann man sich einen ungefähren Begriff von der Zeitdauer machen, welche die übereinanderliegenden Kohlenlager in Schlesien, die stellenweise mit den zugehörigen Schichten eine Mächtigkeit von 155 Metern haben, erforderten; sie ergiebt sich zu annähernd 2 Millionen Jahren. Viel anders werden sich

  1. Veranlassung zu dieser im Kreise seiner Bekannten gebrauchten Bezeichnung war die zu jener Zeit erschienene Nummer der Münchener Bilderbogen: „Der Mohr und der Elefant“.

    „Ein Mohr aus Bosheit und Plaisir
    Schießt auf das Elefantenthier.
    Da dreht der Elefant sich um
    Und folgt dem Neger mit Gebrumm.
    Vergebens rennt der böse Mohr,
    Der Elefant faßt ihn beim Ohr.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_206.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)