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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Sein ganzes Hab und Gut war in die Stefanellyschen Gründungen verwickelt: er hatte offene Kasse bei dem Bankier, den wahren Bestand seines Vermögens kannte er längst selbst nicht mehr, seiner Berechnung nach mußte es sich mindestens verdoppelt haben.

Einzelne Unternehmungen gingen augenscheinlich schlecht, so z. B. die erste, die Grunderwerbung.

Das Wachsthum der Stadt stockte sichtlich, obwohl man es sich nicht zu gestehen wagte. Bereits standen ganze Viertel unbewohnt, der Schönauer Grund war noch immer nicht bebaut, das Schlößchen blickte noch immer herüber über den Park. Doch das hatte unbegreiflicherweise gar keinen merklichen Einfluß auf den Stand der Aktien, und es wurde immer flott weiter gekauft und verkauft. – –

Bertha hatte ihr Ziel erreicht. Der Traum, den sie einst geträumt an dem herbstlichen Morgen auf dem Gefährte mit Kohlköpfen, als sie die geheimnißvoll geschlossenen seidenen Gardinen an den Fenstern der Reichen betrachtete, er war nun Wirklichkeit geworden. Sie lag in dem spitzenbesetzten Bette, hinter blau-seidenen Vorhängen, sie schmiegte sich wohlig in die weichen Kissen und träumte von den seligen Wochen im sonnigen Italien an der Seite ihres Gatten.

Seit bald einem Jahre waren sie schon zurück von der Reise. Theodor hatte sie damals überrascht mit dieser üppigen Einrichtung, die sie gar nicht gewünscht hatte; sie war fest entschlossen gewesen, dem ganzen Hause einen einfachen bürgerlichen Geist einzuhauchen, Theodor allmählich an eine stille bescheidene Häuslichkeit zu gewöhnen; er sollte jetzt nicht mehr der Welt, er sollte ihr angehören. Aus diesem Zimmer aber wehte eine üppige Weltluft, die ihr selbst den Kopf verwirrte, die ihr die Kraft benahm, ihren Vorsatz auszuführen. Sie freute sich über den schön geschmückten Raum, denn die Liebe hatte ihn ja geschaffen, aber in ihrer Stube mit den alten Möbeln aus Schönau, die sie sich ausbedungen hatte, war es ihr doch heimlicher, da kehrten auch all die guten Vorsätze wieder zurück.

Leider hatte sie selten Zeit, darin zu verweilen. Theodor stürzte sich absichtlich mit ihr mitten in den Strudel der Gesellschaft, denn er wollte zeigen, daß er sich ihrer Abkunft nicht schäme, daß er trotz allen Naserümpfens eine beneidenswerthe Wahl getroffen habe. Ihr Weg ging seit Monaten mitten durch alle Salons der Hauptstadt.

Man bewunderte die Kühnheit des Mannes, der sich mit dieser Frau von niederer Herkunft so hervorwagte, und das Geschick der Frau, die sich nicht das Geringste vergab. Man spielte wohl oder übel den Freigeist, den Aufgeklärten; der Name Brennberg, welcher auf unzähligen Werthpapieren stand, hatte einen zu verführerischen metallenen Klang, die Sonne Stefanelly beschien ihn zu warm und blendend mit ihren Strahlen, als daß man lange Bedenken geltend gemacht hätte, ob die Frau auch wirklich salonfähig sei.

Bertha hatte ihrem Gatten zwar das Versprechen abgenommen, sobald einmal sein Zweck, sie überall einzuführen, erfüllt sei, zu einem einfachen, stillen Leben zurückzukehren, aber die Erfüllung dieses Versprechens schob sich von Monat zu Monat hinaus und beide dachten noch nicht an eine Einschränkung ihres Verkehres, besonders konnten sie sich der ausgedehnten Geselligkeit im Hause Stefanellys nicht entziehen.

Anfangs war Bertha das ganze Wesen dort verhaßt gewesen; sie hatte ein bedrücktes Gefühl empfunden in den überladenen, aufdringlichen Räumen mit dem sonderbar gemischten Publikum, das sich darin bewegte. Allmählich jedoch gewöhnte sie sich daran, das alles mit milderem Auge anzusehen, weniger streng darüber zu urtheilen. Man lebte einmal so in der Welt; sie allein konnte nicht dagegen aufkommen und mußte zufrieden sein, wenn nur sie sich rein erhielt von dem lockeren Wesen, das dort herrschte.

Von Stefanelly fühlte sich Bertha mit besonderer Auszeichnung behandelt, ihr Mißtrauen, ihr innerer Widerwillen schwand immer mehr, er war trotz aller seiner Fehler, die er haben mochte, ein einnehmender, liebenswürdiger Mann. Seine rastlose Thatkraft imponirte ihr, der beispiellose Erfolg blendete sie. Stefanelly ging sogar so weit, über seine Pläne mit ihr zu sprechen, deren Kühnheit und Großartigkeit sie mit Bewunderung erfüllte. Das war ein großer Mann, an welchen man nicht den gewöhnlichen Maßstab legen durfte; es schmeichelte ihrer Eigenliebe, indem er bei diesem und jenem ihre Ansicht verlangte, ihren Rath einholte, indem er den geringsten Wunsch, den sie aussprach, immer sofort erfüllte. So bekam der Schlossermeister Georg Bergmann, der Mann ihrer Freundin Therese, auf ihre Empfehlung sämmtliche Schlosserarbeiten für die Stefanellyschen Bauten übertragen.

Nur Loni blieb ihr stets gleich verhaßt. Ihr ganzes Wesen erschien ihr unweiblich, ein unreiner Hauch ging von ihr aus, der Bertha ein Greuel war, und diese koketten Blicke auf die Männer, mit welchen sie jeden an sich zu fesseln suchte, mit welchen sie auch Theodor nicht verschonte, waren ihr unerträglich. Sie empfand keine Eifersucht, weil sie an eine Gefahr von dieser Seite nicht glauben konnte, nur Ekel.

Hans war nicht mehr wieder zu erkennen. Bertha hatte Mitleid mit dem Bruder. Was war aus dem gesunden kräftigen Jungen geworden! Ein schwächlicher, kränkelnder Mann mit abgelebten Gesichtszügen, fieberhaft brennenden, tiefliegenden Augen. Das machte das viele Arbeiten für Stefanelly, in dessen Dienst er sich aufrieb, das Durchwachen der Nächte bei wilden Gelagen, diese Körper und Geist zerstörende Kaffeehaus- und Kneipenluft, der qualvolle Gelddurst, der mit dem täglichen Anblick des gleißenden Goldes in den eisernen Kassen des Chefs ins unendliche wuchs. – „Geld! nur Geld! Dann nimm alles, Gesundheit, Ehre, alles!“ tobte es in ihm Tag und Nacht.

Der alte Margold war unerbittlich; er gab keinen Pfennig heraus von seinem Gelde, trotz der Bitten und Vorstellungen seines Sohnes. Im Gegentheil, am Tag nach der Hochzeit Bertls kam er und verkaufte seine sämmtlichen Aktien der Grunderwerbungs-Genossenschaft, die eben im besten Zuge waren. Er gab keine Auskunft über die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, und Hans tobte darüber, daß „der alte Narr“ das schöne bare Geld daheim im Kasten liegen lasse, anstatt es ihm anzuvertrauen. So war Hans in seinen eigenen Spekulationen nur auf seinen Schwiegervater Weinmann angewiesen, der zum Glück „vernünstiger“ war und ihm ganz freie Hand ließ, wofür er dann Loni durch die Finger sah. – –

Bertha ließ diese Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart an ihrem inneren Auge vorüber ziehen, während sie halb unbewußt auf den geschäftigen Lärm der Straße horchte; aber das stetige Gleichmaß dieser Töne wirke zuletzt einschläfernd, sie sank wieder in Schlummer.

Plötzlich ward sie von neuem wach; Theodor kam herein und trat vor ihr Bett, der junge schöne Mann, ganz wie sie es damals im Geiste geschaut hatte auf dem Wagen mit den Kohlköpfen; nur gab er ihr keinen Kuß, sondern er blickte ernst und sorgenvoll. Ueberhaupt hatte sie ihn schon oft in solch gedrückter Stimmung überrascht, ihn und seinen Vater, der in der letzten Zeit ein so scheues, unruhiges Wesen gegen sie angenommen hatte. Sie hatte sich oft ihre Gedanken darüber gemacht, doch waren sie in dem ruhelosen bewegten Leben immer wieder rasch verflogen.

„Was hast Du, Theodor? Warum so ernst? Oder bist Du nicht wohl? O, dieses lange Aufbleiben und Nachtschwärmen! Auch ich kann es nicht ertragen; machen wir doch ein Ende damit und verkriechen wir uns in unser stilles schönes Heim! Wer uns sehen will, kann uns ja hier aufsuchen. Du hast Dich gestern abend bei Stefanelly über etwas geärgert, nicht wahr? Ich merkte es schon beim Nachhausefahren.“

„Ja!“ erwiderte Theodor kurz, sich setzend und an seinem Schnurrbart kauend.

„Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Stefanelly, weil ich mich mit ihm so angelegentlich unterhalten habe? Er erklärte mir das neue Bergwerksunternehmen, an dem auch Dein Vater betheiligt ist, das interessirte mich. Er sprach von den böswilligen Verdächtigungen und Angriffen, denen er ausgesetzt sei, und wie man sich alle Mühe gebe, seine Pläne zu durchkreuzen. Ich wunderte mich, daß ein so bedeutender Mensch wie er sich darum kümmern könne, es sei das doch einmal das Los alles Großen, Hervorragenden. Das freute ihn und er drückte mir herzlich die Hand. War es das, Theodor? O, dann muß ich bitten. dann hätte ich mehr Grund, wenn ich Loni und Dich betrachte – doch nein, pfui! Ich habe keinen Grund, ich müßte mich schämen, wenn ich auf dieses Wesen eifersüchtig sein wollte.“

„Laß diese Scherze, Bertha!“ entgegnete Theodor. „Auch ich ärgere mich über diese versteckten Angriffe auf Stefanelly, von denen er mit Dir sprach, und ärgere mich doppelt, seitdem ich weiß, woher sie, wenigstens theilweise, stammen – von Deinem Vater!“

(Fortsetzung folgt.)


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