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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

betreffs Bertha Margolds mitzutheilen, um Deine Einwilligung in die Heirath mit ihr zu holen, kam ich hier herein,“ entgegnete jetzt in aller Ruhe Theodor. „Daß ich Dich vor diesen Dingern da“ – er deutete auf den Boden – „überrascht habe, dafür kann ich ja nichts; wenn ich so glücklich gewesen wäre wie Du, hätte ich Dich heute nicht mehr belästigt. Du kannst daraus sehen, wie ernst es mir ist, mich noch zu retten, wie sehr ich die Gefahr erkenne.“

Christians Zorn war schon vorüber. Es war nur ein krampfartiger Ausbruch des Ingrimms über sich selbst gewesen, der ihn durchbebt hatte.

„Du hast recht, Theodor,“ sagte er gebrochen, „verzeih’ meine Erregung! Es ist nur die bittere Scham, die ich vor Dir empfinde – heirathe Bertha Margold so rasch als möglich, ich beschwöre Dich jetzt selbst darum! Sie ist ein braves Kind, liebt Dich abgöttisch, sie wird Dich halten mit ihrem gesunden Margoldschen Herzen und mich auch! Nur sage ihr und dem Alten nichts davon, daß ich ein Spieler bin. Ich bin ja auch keiner, gewiß nicht – gewiß nicht!“

Thränen rollten die faltigen Wangen herab in den weißen Schnurrbart Christians. Der Anblick weckte alle guten Regungen in Theodors weicher Seele, er beugte sich nieder, ergriff und küßte die Hand des Vaters.

„Ich danke Dir, Bertha wird Dir eine treue Tochter sein, ein guter Geist unseres Hauses. Jetzt gehe zur Ruhe, Vater, Du bedarfst ihrer.“

Christian schlang den Arm um des Sohnes Nacken und verließ, von ihm gestützt, den Raum. An der Thür warf er noch einen Blick zurück auf das Bild: das rothe Karo war verschwunden. Es war das Brennbergsche Wappen in der Ecke mit den flammenden Bergen, das ihm so erschienen war.

*  *  *

Einen Monat darauf – der Frühling regte sich schon aller Orten – fand in einer Seitenkapelle der Franciskanerkirche, zu deren Gemeinde die Margolds jetzt gehörten, die Trauung Berthas mit Theodor von Brennberg statt, in völliger Stille und Abgeschlossenheit. Obwohl Bertha die Gründe, welche Theodor bewogen, jede Oeffentlichkeit zu vermeiden, billigen mußte, so fühlte sie doch einen bitteren Schmerz, ja sogar eine lebhafte Enttäuschung über diese scheinbar nothwendige Beschränkung bei der heiligsten Handlung ihres Lebens. Sie wußte ja wohl, daß die guten Eltern, daß ihre wenigen Verwandten, die in Frage kamen, einfache Leute waren, welche in ihrem äußeren Auftreten ihre Vergangenheit als Arbeiter nicht zu verleugnen vermochten; aber trotzdem sträubte sich ihr ganzes Inneres dagegen, daß man ihre Angehörigen gleichsam versteckte vor der Welt, daß es ihren Eltern nicht wie allen ehrenwerthen Eltern erlaubt sein sollte, offen vor aller Augen hinzutreten an den Traualtar ihres Kindes. Sie that wieder einen Blick in diese ganze Scheinwelt, der sie entgegen ging; alle die Gestalten und Umstände zogen an ihr vorüber: die Rathsfamilie mit ihrer lügenhaften Existenz, der Minister mit seinen Schmeicheleien, der erste Ball, das Haus Stefanellys mit seinem falschen Glanz, ihr eigener Bruder Hans und sein Weib; und dagegen hielt sie ihre Jugend im kleinen Häuschen an der Landstraße, unter ihren Blumen und Obstbäumen, einfach, ärmlich sogar, aber wahr und voll unscheinbarer Freuden, die sie seitdem nie mehr so rein genossen hatte.

Vorher schon hatte sich diese Empfindung in Bertha geregt, wenn sie bei ihrer Freundin Therese saß, welche die Herstellung ihrer Gesellschaftskleider und ihres Brautstaates übernommen hatte. Da kam denn auch ab und zu Theresens Bräutigam, der junge Schlosser Georg Bergmann, herauf. Man plauderte von der nahen Hochzeit, welche an demselben Tag wie die Berthas gefeiert werden sollte; die beiden Mädchen, die seit dem gemeinsamen Abend ihres Glückes innige Freundschaft geschlossen, hatten es so bestimmt. Da wurde aller beiderseitigen Verwandten und Freunde gedacht und die Eltern Georgs kamen und besprachen mit nassen Augen die Zukunft ihrer Kinder. Daneben standen dann die Eltern Margolds schweigend, und Bertha las auf ihren Gesichtern den stillen Kummer, daß sie nicht auch so sprechen konnten über ihr Kind, das sie nichts mehr angehen sollte, das ihren Rath nicht einholte, das weit weg zog von ihnen in eine fremde, ihnen verschlossene Welt. –

Jetzt aber, in dem Augenblick ihres höchsten Glückes, als sie an der Seite Theodors aus der kleinen Sakristei in die Kapelle trat, schwanden alle diese bitteren Empfindungen; es war ein Opfer, das sie dem Geliebten brachte, diese demüthigende Heimlichkeit. Er brachte ja auch eines, das sie tief empfand, indem er sich hinwegsetzte über alles Nasenrümpfen und Achselzucken der Gesellschaft. Aber der Entschluß stand fest in ihr: war sie erst seine Gattin, dann wollte sie es auch ganz sein, ohne Heimlichkeit, ohne Erröthen über ihre Herkunft, ohne alle die Lügen, zu denen sie im Kampfe um den Geliebten ihre Zuflucht genommen hatte. Sie wollte in der Ehe erst recht die alte Bertha Margold sein; mit weiblichem Scharfsinn ahnte sie, daß gerade dieses frische, gesunde Wesen, an dem gleichsam der Geruch der Erde haftete, den mitten im üppigen Genußleben der Großstadt stehenden, verwöhnten Mann so mächtig anzog und daß gerade darin auch für die Zukunft allein die Bürgschaft ihres Gluckes liege.

Als die Trauung vorüber war, umarmte der Baron Bertha als seine Tochter.

„Sei eingedenk, mein Kind, daß Du von heute an eine Brennberg bist, der neu angefügte Zweig eines edlen uralten Stammes!“ sagte er in einem von Herzen kommenden feierlichen Tone.

Der alte Margold stand daneben, gebeugt, zerknirscht, von einem Gefühl ber Ehrfurcht für sein Kind durchschauert, das jetzt in die stolze Reihe von Frauen eintrat, deren Bilder er seinerzeit auf dem Schloßgang zu Schönau andächtig bewundert hatte. Er wagte nicht, sie anzureden und seinem Herzen Luft zu machen, er wartete. – Da warf sich Bertha schluchzend an seine Brust und seine Arme schlossen sich wie eiserne Klammern um das in kostbare Stoffe gekleidete Kind.

„Vergiß in all’ Deinem Glück Deine Eltern nicht – wir werden Dich nicht stören, ich weiß, wir passen nicht mehr zu Dir – aber nicht vergessen, Bertha, nicht vergessen!“

Die krummen Finger zerknüllten krampfhaft den zarten Schleier auf dem Rücken der Braut.

Hans und Loni, die einzigen Hochzeitsgäste, fanden diesen Gefühlsausbruch des Vaters sehr unpassend; sie gaben sich alle Mühe, durch ihr „nobles Auftreten“ – Loni hatte in dieser Beziehung nichts versäumt – den Standesunterschied zwischen den beiden Familien wenigstens äußerlich zu verwischen und dem alten Baron die peinliche Stunde zu erleichtern. Und nun verdarb der Vater alles mit seinem „rührseligen Gethu“, das bei einer feinen Hochzeit doch gar nicht Sitte war. Sie entschuldigten sich förmlich bei Theodor und seinem Vater und meinten, es sei ein wahres Glück, daß niemand dieses sonderbare Benehmen gesehen hatte, das ihnen ja auch den Umgang mit den Eltern schon längst verleidet habe. Die Herren sollten nun der Sache ein- für allemal ein Ende machen, das sei das einzig Richtige. Die beiden Brennberg waren jedoch zur Ueberraschung des lieblosen Paares ganz anderer Ansicht. Theodor fürchtete von jeher die Annäherung von Hans und seiner Frau viel mehr als die der Eltern Berthas, die in ihrer Bescheidenheit gewiß nie lästig werden würden. Er ließ das auch in einer schroffen Erwiderung durchklingen.

Als Bertha mit Theodor wieder in den Wagen stieg, der an einer Seitenpforte der Franciskanerkapelle hielt, da sah sie unter dem geöffneten Hauptportal eine andere Hochzeitsgesellschaft harren. Sie erkannte die verwachsene Lili, die vor Seligkeit in ihrem weißen Brautjungfernkleide lächelte, als wäre sie selbst die Braut. Sie sah auch die Eltern Georgs, die Frau Köhler und alle die Verwandten und Freunde, die sie unzählige Male hatte aufzählen hören in der kleinen Stube des Hinterhauses. Und gerade jetzt fuhr auch der Wagen mit dem jungen Paare vor – Bertha konnte eben Therese und Georg noch zunicken, dann entzog ihr eine Wendung des eigenen Wagens das freundliche, von der Frühjahrssonne lustig beschienene Bild.

Die Thränen traten ihr in die Augen, sie erflehte innig den Segen des Himmels für das Paar. Wie hatte sie sich doch ihre eigene Hochzeit anders gedacht damals in der Heiligengeistkirche, als Hans getraut wurde und sie wie in einer Vision alles deutlich vor Augen sah – das glänzende Gefolge von Herren und Damen, die Equipagen, die geschmückte Kirche, die brausende Orgel! Und jetzt mußte sie Therese, die arme Nähterin, beneiden um ihren Ehrentag!

Aber der schmerzliche Eindruck verschwand bald. Neben ihr saß Theodor und flüsterte von einem glücklichen Erwachen unter italienischer Sonne, von Rom, dem sie noch heute abend zueilen wollten – ein Wonnemeer umgaukelte sie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_194.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)