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Ratten ihre Magenwände zernagten“; nicht selten handelt es sich, namentlich bei Aerzten, denen ja ihr Beruf die gefährliche, Waffe in die Hand giebt, um den Wunsch, die aus Ueberarbeitung hervorgehende Abspannung und Schlaflosigkeit zu bekämpfen. Es scheint, als ab gerade solche Menschen, bei denen eine angeborene geringere Widerstandsfähigkeit des Nervensystems eine Neigung zu nervösen Zuständen und Krankheiten schufst, zur Gewöhnung an das Morphium besonders veranlagt wären. Viele Menschen können wochenlang Morphiumeinspritzungen erhalten ohne beim Abschluß der Behandlung irgendwie das Bedürfniß zur Fortsetzung zu empfinden, während andere nach wenigen Anwendungen dem traurigen Banne des Giftes verfallen sind, und diese Verschiedenheit erklärt sich nach manchen Beobachtungen vorzugsweise durch ererbte nervöse Anlage?. Aehnliches beobachtet man ja nicht selten beim Alkohol. Ist dann noch, wie so häufig in diesen Fällen, eine gewisse Charakterschwäche vorhanden, so schreitet das Uebel besonders reißend fort und zieht wohl auch theure Angehörige des Opfers mit ins Verderben.

Ein uns bekannter junger Arzt, den Nervenschmerzen an den Gebrauch der Morphiumspritze gewöhnt hatten, kannte dem Triebe nicht widerstehen, auch seine Braut mit den Geheimnissen dessen, was ihm bald als sein Lebenselexir erschien, vertraut zu machen, obwohl er aus seinem Beruf die ganze Summe der damit verbundenen Gefahren kennen mußte. Als das Band der Ehe, zwischen ihnen gefügt ward, waren sie beide mit Leib und Seele dem Morphium verfallen, und als nun das Leben erhöhte Anforderungen an sie stellte, konnte es ihnen nicht lange verborgen bleiben, daß es so nicht weiter gehen könne. Es war gerade zu der Zeit, wo das Cocaïn als Hilfsmittel bei der Morphiumentziehungskur angepriesen wurde, weil es den Anschein hatte, als könne malt damit die Qualen der Entbehrungszeit unterdrücken. Der angestellte Versuch gelang – das Morphium war entbehrlich, geworden – aber binnen kurzem traten die nach weit schlimmeren Anzeichen der chronischen Cocaïnvergiftung hervor, die eine gewisse Aehnlichkeit mit den Erscheinungen des Säuferwahnsinns haben. Halluzinationen in verschiedenen Sinnesgebieten, das täuschende Gefühl, als ob Tausende von kleinen Thieren auf der Haut umherwimmelten, die Wahrnehmung entsetzenerregender Gestalten, scheinbare Verkleinerung und unablässige Hinundherbewegungen der Gegenstände der Umgebung, die wahnhafte Ausdeutung aller dieser Eindrücke durch das umdämmerte Bewusstsein schufen einen ebenso quälenden als gefahrvollen Zustand, so daß die Ueberführung des unglücklichen Paares in eine Heilanstalt erforderlich wurde. Wahl war das Ergebniß der langwierigen Behandlung dank dem strengen Bann der Anstalt ein günstiges; aber wird es so bleiben? In jedem Falle besteht die Gefahr, daß die beschränkteste, vielleicht durch ein vorübergehendes Uebelbefinden veranlaßte Wiederbenutzung des Mittels das ganze Unheil wieder wachrufe. Wie schwer es ist, gegen dieselbe anzukämpfen, zeigt zur Genüge die große Zahl der bedeutenden Männer, die ihr Leben lang Sklaven des Morphinismus waren und die ihm schließlich zum Opfer fielen. De Quincey nennt von hervorragenden Engländern als Beispiele Wilberforce, Milner, Coleridge und andere; von Deutschen könnte leicht eine Reihe von glänzenden Namen hinzugefügt werden, darunter mehrere der hervorragendsten Aerzte. Daß sie trotz ihres Uebels jahre-, und jahrzehntelang ihrem Ruhmeskranze noch neue Blätter hinzugefügt haben, will nichts gegenüber ihrem eigenen Elend bedeuten, von dem die ihnen Nahestehenden die traurigsten Bilder gewonnen haben.

Unter zahlreichen erschütternden Krankengeschichten theilt das erwähnte Erlenmeyersche Buch auch die folgenden mit, denen wir einige Hauptzüge entnehmen. Ein adliger Gutsbesitzer, der durch Gallensteinkoliken zum Morphiumgebrauch gekommen war, hatte sich mehrmals durch Entziehungskuren des Mittels entwöhnt. war aber immer wieder rückfällig geworden. Auf ärztlichen Rath beginnt er schließlich, neben dem Morphium Cocaïn einzuspritzen. Anfangs empfindet er danach einen sehr angenehmen Sinnenrausch und ein behagliches Wärmegefühl, bald aber sieht er sich genöthigt, die Morphiumnenge zu steigern, da die Wirkung nachläßt. Der früher willensstarke Mann, an dessen Geistesfrische und Thatkraft die bisherige geringe Morphiumgabe ebenso wenig genagt hatte wie an seiner körperlichen Rüstigkeit und seinem gemüthvollen Humor, geräth schnell in leiblichen Verfall, sieht elend und verändert aus, verliert seine Energie, wird gleichgültig gegen die Seinigen und gegen feine bisherigen Interessen; sein Gang wird schleppend, seine Sprache schwach, sein Gedächtniß nimmt ab. Im Gegensatz zu früher widersetzt er sich dem Vorschlag der Entziehungskur; als er in eine Privatklinik kommt, verschafft er sich hinter dem Rücken des Arztes zweimal seine alte Morphium-Cocaïnlösung; in der Erlenmeyerschen Anstalt verschweigt er diese Thatsache, giebt sein Ehrenwart, weder Spritze nach Morphium noch Cocaïn bei sich zu haben, wird aber nach wenigen Tagen überrascht, als er sich aus einer Eau de Cologneflasche, die er mit Morphiumlösung gefüllt, aber mit jenem Parfüm zur Herstellung des Geruchs bestrichen hat, eine Einspritzung macht; nach weiteren fünf Tagen verläßt er die Anstalt, weil ihm die Gifte vorenthalten werden.

In einem anderen Falle handelte es sich um eine zweiunddreißigjährige Offiziersgattin, die durch ein schmerzhaftes Leiden Morphinistin und nach einer Entziehungskur Cocaïnistin geworden war. Sie bricht das ihrem Gemahl gegebene Versprechen, daß sie die Einspritzungen unterlassen wolle, wird energielos, gleichgültig, menschenscheu und mißtrauisch, hört eingebildetes Trommelwirbeln und Trompetenblasen, meint, daß ihr im Manöver befindlicher Mann ein Duell mit ihrem früheren Arzte habe, glaubt beide getödtet, legt Trauerkleidung an, verschließt vor dem zurückgekehrten Gatten die Thür, veranlaßt ihre Kinder, gegen den Vater mit ihr in Bund zu treten, spritzt auch ihnen Cocaïn ein und bemerk danach bei ihnen wie bei sich selbst bedeutungsvolle Buchstaben auf dem Arm, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Das gewaltsame Oeffnen der Thür verhindert sie durch die Drohung, sich dann sofort aus dem Fenster zu stürzen. Erst nach langen Bemühungen gelingt es, durch List bei ihr einzudringen; sie ist vollkommen geistesgestört und wird auch durch eine längere Anstaltskur nicht ganz wiederhergestellt.

Der beste Schutz gegen die Morphium- und Cocaïnsucht besteht darin, daß man den Anfängen widerstehe. Gewissenhafte Aerzte, an denen Deutschland so reich ist, werden nur unter sorgfältiger Erwägung der Gefahren das für viele Kranke unentbehrliche Gift in Anwendung bringen, und die staatliche Ueberwachung des Verkaufes wird dem Mißbrauch mehr und mehr die Möglichkeit entziehen. Möge auch die Kenntniß der Gefahr recht viele vor dem Uebel bewahren! Möge immer und immer wieder vor dieser Gefahr gewarnt werden Dr. H. Otto.     




Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.

(11. Fortsetzung.)

Von einem plötzlichen Entschlusse getrieben, setzte der alte Baron mit einer hastigen Bewegung ein Zwanzigmarkstück auf die verdeckte Karte, mit stieren Augen blickte er darauf hin, er sah nichts mehr als das blitzende Goldstück.

Plötzlich war es verschwunden, an seiner Stelle sah er den Großvater mit der wallenden Perücke, den langen gespreizten Fingern. Er sprang auf und griff zitternd danach – alles lächelte über seine Aufregung – es war der Karokönig – er hatte verloren. Wie geistesabwesend betrachtete er lange die Karte, dann warf er sie zornig unter die übrigen.

Wie man nur so träumen konnte! Nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem Bilde zu Hause! – Oder war es eine Warnung? Wegen eines Goldstückes? Er durfte sich nicht lächerlich machen und setzte das zweite – auch verloren!

Anspacher schob ihm lächelnd seine Brieftasche zu. „Bedienen Sie sich, Herr Baron!“

Brennberg griff mechanisch hinein und spielte weiter. War es sein eigenes Geld gewesen, dessen Blinken ihn so erregt hatte? Er war jetzt viel ruhiger, als er die Banknoten auf die Karte setzte, und mit der Ruhe kam das Glück. Immer verwegener

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_192.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)