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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


„Was habt Ihr denn begonnen heute?“ fragte er mit einem Anflug von Gemüthlichkeit.

„Ich schrieb an die Mutter.“

„Und Hilde?“

„Fräulein von Zweidorf? Ich weiß es nicht; sie wollte auch schreiben.“

„Ich hatte mir gedacht, Ihr würdet Euch in der Einsamkeit etwas zusammenfinden,“ meinte er, gab Pelz und Hut dem herbeieilenden Diener, strich sich vor dem Spiegel die Haare glatt und drehte den Schnurrbart. „Der Kerl, der Maiberg, muß irgend etwas übelgenommen haben,“ setzte er hinzu, „er will abreisen, hat unterwegs kein Wort mit mir gesprochen. Na, meinetwegen!“

Er verstummte, als Maiberg jetzt sichtbar wurde, der für Hilde die Thür offen hielt.

„Ah, Fräulein von Zweidorf,“ rief ihr Leo entgegen, „wie geht es Ihnen denn? Sehen Sie, die Stubenluft bekommt Ihnen nicht, Sie sind ganz blaß geworden in den zwei Tagen. Jetzt passen Sie aber einmal auf, ich habe Glück gehabt; manche Menschen sind doch einfach Barbaren, besitzen die größten Kostbarkeiten und haben nicht einen Schimmer davon!“ Dabei war er zu dem Nebentischchen getreten, auf das er vorhin das Packet gelegt hatte, und begann das letztere äußerst behutsam aufzuwickeln. „Hat dieser Rittmeister Berndorf da ein Stück uralten köstlichen Meißner Porzellans, sagt, er wolle das geschmacklose Ding seinem Wachtmeister zum Polterabend schenken, da er die verrenkten Gestalten nicht sehen könne und oben in die Schale doch nichts hineinlegen möge, weil ihm die drei Weibsbilder den Appetit verderben würden – und nun sehen Sie, diese Grazien! Eins der berühmtesten Muster der Fabrik soll ein Wachtmeister zur Hochzeit bekommen! Ich habe Lärm geschlagen und er wollte mir schon das Ding schenken, aber ich habe es ihm abgekauft, kann doch nichts von ihm geschenkt nehmen; das Stück ist unter Brüdern tausend Mark wert, wir wurden um dreihundert einig – Was? Ist’s nicht wunderschön?“

Hildegard stand neben ihm mit ihrem blassen Gesicht und mit den Augen, die seit Weihnacht so melancholisch blickten. Leo hielt die Schale in die Höhe, beide betrachteten sie; Antje sah einen Augenblick von ihrer Theemaschine zu ihnen hinüber, aber sie sprach kein Wort; man hatte sie ja nicht gefragt.

„Ja, es ist wundervoll!“ antwortete Hilde.

„Es paßt in das Boudoir meiner Frau,“ fuhr Leo fort, „sieh es Dir an, Antje!“

„Ich danke Dir; nimm es in Dein Atelier, es ist viel zu kostbar für mich,“ erwiderte sie und erschrak selbst vor der Schroffheit, mit der sie das herausgebracht hatte.

„Willst Du damit etwa sagen,“ entgegnete er mit gesuchter Höflichkeit, „daß die Schale Deinen Beifall nicht hat und daß sie eine unnütze Ausgabe sei? Nun, beruhige Dich nur, aus Hochdero Portemonnaie geht es ja nicht.“

Ueber ihr geröthetes Gesicht huschte flüchtig ein trauriges Lächeln. Jussnitz sah es, und es reizte ihn so, daß er die Anwesenheit Hildegards und des Freundes vergaß und heftig rief: „Ich erstand die Schale mit dem Gelde, welches ich mir erwarb und – damit Du es weißt, ich habe ein Bild verkauft in Berlin. Und nun schreibe Deiner Mutter, daß ich das erste Geld, welches ich in unserer Ehe verdiente, verausgabte für Firlefanz, wie sie es in ihrer Beschränkheit zu nennen beliebt, anstatt es Dir in die Hände zu geben, um Bäcker und Fleischer zu bezahlen. Sie wird Dir ihr Mitgefühl nicht versagen.“

Antje, die den silbernen Kessel eben in der Hand hielt, zitterte leise, aber sie erwiderte nichts. Maiberg blätterte in einer Zeitung, als habe er nichts gehört, und Hilde hatte sich in eine der tiefen Fensternischen zurückgezogen. Sie hatte ein unheimliches Lächeln um den Mund, als freue es sie, daß er leide unter der „unbedeutenden Frau“, die er sich erwählt hatte.

Man setzte sich stumm zu Tische, niemand war in der Stimmung, ein Gespräch zu beginnen. Die Schüsseln wurden umhergereicht, man hörte nur das Klappern der Teller und Gabeln. Es war förmlich gewitterschwül im Zimmer. Da klangen plötzlich von draußen herein wie erlösend Stimmen und das fröhliche ansteckende Lachen der Baronin, und gleich darauf kam diese, begleitet von den beiden Fräulein von Benken, dem Rittmeister von Barrenberg und dem unvermeidlichen Lieutenant von Osten, über die Schwelle.

„Nur aus einem ganz besonderen Anlaß wagen wir es, die getreuen Nachbarn und guten Freunde zu überfallen,“ rief Irene von Erlach. „Bester Herr Jussnitz, sehen Sie uns nichts an? Rathen Sie, was geschehen ist – Sie auch, Maiberg – Fräulein von Zweidorf, wie sehe ich aus?“ – Wenn die Baronin in eine Gesellschaft kam, so wirkte sie wie Champagner oder ein Walzer von Strauß. Heute noch besonders! – „Einen riesig dummen Streich habe ich gemacht,“ rief sie, „und ich warne einen jeden, mir darin zu folgen. Wäre ich nicht der ewigen Quälereien müde, so – so – na, kurz und gut, hier steht –“ und sie reckte sich an dem schmunzelnden Barrenberg empor und zog ihn an seinem heute besonders unternehmend gewirbelten Schnurrbart – „hier steht mein Bräutigam!“

Sie schlug, wie über sich selbst erstaunt, die Hände zusammen und lachte so herzlich, daß alles mit einstimmte, am lautesten Leo.

„Bravo! Verlobung! Das müssen wir feiern!“ rief er „Antje, laß Sekt bringen!“

Gehorsam bestellte Antje Champagner, und als er kam, stieß sie freundlich ernst mit dem Brautpaare an. „Viel Glück, alles Glück!“ sagte sie und die Augen wurden ihr feucht.

„Ei, warum sollten wir kein Glück haben,“ lachte die Braut; „gelt, Wilhelm, mir machen uns das Leben nicht so schwer, wir versuchen es halt miteinander – und – –“

„Nun – und?“ fragte Maiberg scherzend.

„Und wenn’s nicht geht –“

„Hör’ mal, Irene,“ unterbrach sie jetzt der Bräutigam, „das klingt ja sehr verheißend!“

„Nun, wenn’s nicht geht, da lassen wir uns eben scheiden,“ vollendete sie und hielt ihre kleine Hand an seine Lippen, die er verlegen lächelnd küßte.

Antje ging still wieder auf ihren Platz.

„Bravo, Barrenberg!“ sagte Leo, „langweilen werden Sie sich nie.“

„Langeweile?“ fragte Frau von Erlach, „Langeweile ist aller Laster Anfang; es giebt nach meiner Ansicht nichts Unklügeres, als wenn eine Frau ihren Mann sich langweilen läßt.“

„Sehr tröstlich für mich,“ erklärte der glückliche Bräutigam.

„Es giebt mancherlei Mittel zur Vertreibung der Langenweile,“ bemerkte Maiberg gelassen, „nur ist es die Frage, ob das Gegentheil von Langerweile gerade immer Glück bedeutet.“

„Hunderttausend Mittel,“ bestätigte Irene, das letzte überhörend, „nur gehört nicht, wie so oft irrthümlicherweise angenommen wird – die Liebenswürdigkeit dazu! Die kann kein Mann lange ertragen. Dafür so ein wenig – aber ich will nichts verrathen, sehen Sie nur, wie erschrecklich neugierig Fräulein von Zweidorf aussieht!“

Antje wandte mit den andern ihre Blicke auf Hilde. Des Mädchens Augen hatten einen Augenblick aufgeblitzt; jetzt war sie purpurroth geworden.

Jussnitz sah sie groß an. „Machen Sie mir doch morgen früh beim Malen solch ein Gesicht!“ rief er ihr zu. Aber Hilde that, als verstünde sie es nicht.

„Die hat Talent für das, was ich eben meinte,“ bemerkte Frau Irene zu Jussnitz. Er lächelte und nickte. Antje blieb still.

„Zu albern!“ flüsterten Melly und Nelly sich zu. Später kam noch ein lärmendes Kartenspiel zustande, dem gar noch ein Pfänderspiel folgte. Die Baronin war von einem nie dagewesenen Uebermuth.

Antje setzte sich in eine der tiefen Fensternischen; sie hatte thatsächlich Kopfschmerzen. Maiberg trat zu ihr und bat sie, sie möge sich doch zurückziehen. Aber sie lächelte und verneinte; Leo würde es nicht gern haben, meinte sie. In Wahrheit, sie wollte nicht, sie sah mit immer starrer werdenden Augen ihrem Gatten nach, der beständig neben Hildegard auftauchte, obgleich das Mädchen ihn kaum eines Wortes würdigte und sich in allen den kleinen Wendungen des Spiels an Barrenberg oder Maiberg wandte. Antje biß sich auf die Lippen, als sie die Baronin darüber lächeln sah, und ihre Hände ballten sich zusammen. Weshalb ließ denn Gott zu, daß Leo sie gewollt hatte, die nimmer für ihn paßte? Und warum legte er die unsagbare Liebe und Treue in so ein armes Frauenherz, daß es vor Pein brechen möchte über das, was ihm angethan wird? Und sie sah zu Maiberg auf und konnte es nicht hindern, daß auf einmal zwei

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