Seite:Die Gartenlaube (1891) 179.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sondern ein Hauptpfiffikus, der sie alle bisher getäuscht hatte. Das Gerücht vergrößerte seinen Reichthum ins Ungeheure, man sprach von Millionen, die der Alte besitze, und dieser ließ die Herren in der Täuschung.

Zum ersten Male in seinem Leben hatte Brennberg Gelegenheit, an den grünen Tisch zu treten; es wurde viel und hoch gespielt in dem Klub. Wenn er dann so dabei stand und zuschaute – weiter kam es vorerst nicht – dann konnte er den Blick nicht wenden von den fallenden Karten, dem hinüber und herüber rollenden Gelde, und dabei stand immer der Ahne in der Allongeperücke mit den gespreizten langen Fingern vor ihm. Aber Christian freute sich, daß er nichts von ihm geerbt habe, daß er alle Aufforderungen, sich zu betheiligen, so tapfer abwies. Das Zusehen war ja kein Verbrechen und die Erregung, die er dabei empfand, nur eine Folge des Ungewohnten; er redete sich immer ein, seine Pflicht als Aufsichtsrath führe ihn hierher, in Wirklichkeit aber war es nur der Anblick des grünen Tisches, der ihm bereits unentbehrlich war.

In dem aristokratischen Klub hörte er auch von der Aufsehen erregenden neuen Schönheit Bertha Margold sprechen, welche plötzlich in der Gesellschaft aufgetreten sei; selbst die Bevorzugung, welche sie von seiten des Ministers auf dem Beamtenball erfahren hatte, war bereits allgemein bekannt. Man lachte über den alten Sünder, über seine plötzliche Bekehrung zu demokratischen Ansichten der Gärtnerstochter zuliebe – ihre Herkunft war längst erforscht –, brachte auch den Namen Theodors in Verbindung mit dem des Mädchens, ja, man gab sich den Anschein, als wäre man neidisch auf ihn, der die neue Schönheit allen vorweg geschnappt habe; aber an ein ernstes Verhältniß dachte niemand.

Der alte Herr war lebhaft dadurch beunruhigt; seine augenblickliche Aufwallung von damals, als er mit Margold aus der Sitzung heimging, war längst geschwunden, er hatte keinen Grund mehr, Rache zu nehmen an der Gesellschaft, die ihn jetzt so liebenswürdig und ehrenvoll aufgenommen hatte; aber er wußte, daß Theodor die Sache ernster nahm, als man hier ahnte.

Der Aufwand des Lieutenants, welcher anfangs mit den veränderten Verhältnissen seines Vaters gestiegen, ja selbst für diese beängstigend hoch gewesen war, hatte in der letzten Zeit auffallend abgenommen; daran konnte allein seine wahre tiefe Leidenschaft schuld sein, die ihn ganz und wohlthätig beherrschte, und Christian spürte darin mit einer wehmüthigen Erinnerung den gesunden und kräftigenden Einfluß Margoldschen Wesens. Er gestand sich ganz im stillen, daß eine Ehe mit dem braven Mädchen, in dessen Adern treues, redliches Margoldsches Blut floß, für seinen lebesüchtigen leichtblütigen Sohn durchaus kein Unglück wäre und noch weniger eine Schande; denn auch auf seinem Schönauer Standpunkte, von welchem aus ihm eine solche Verbindung als widersinnig und unmöglich erschienen war, stand er nicht mehr. Lediglich der peinliche Gedanke, den gesellschaftlichen Boden, den er gewonnen hatte, wieder zu verlieren, die Herren des Klubs, in dem er jetzt so gern verkehrte, die Nase rümpfen zu sehen, stimmte ihn dagegen.

Noch hatte Theodor kein Wort darüber gesprochen, und sein Vater hütete sich, die Angelegenheit zu berühren, über deren Stand ihm Bertls Bruder Hans stets Bericht erstattete. Dieser war jetzt der Vertraute Stefanellys, der Anführer der unzähligen Unterhändler, welche dieser gewandte Stratege nach allen Seiten hin über die Stadt M ... und Umgebung zerstreute. Eine solche Art von Arbeit sagte Hans vortrefflich zu; da scheute er keine Mühe, keine beim Champagner durchwachte Nacht, wenn es galt, für seinen Chef ein vortheilhaftes Geschäft abzuschließen, neue Rekruten zu werben für die riesige Armee von Zahlern, die blindgläubig, willenlos ihrem Führer folgten. Da wurde niemand verachtet, vom einfachen Arbeiter an, der seine Ersparnisse in den Unternehmungen anlegte, bis zum Millionär, der von seinem Ueberfluß hineinsteckte.

Stefanelly war eben daran, ein eigenes Bankgeschäft zu gründen, um den riesigen Umsatz, der jetzt anderen Bankhäusern zu gute kam, in seine Tasche fließen zu lassen, und hatte Hans die Aussicht eröffnet, ihn als Theilhaber aufzunehmen, wenn er sich bewähre. Hans wohnte jetzt sogar in dem „Palais“ des Stefanelly, welcher als Junggeselle einer weiblichen Repräsentation für seinen verschwenderischen Haushalt bedurfte. Dazu eignete sich die schöne Loni vortrefflich. Der üppige aufdringliche Reichthum, den sie da mitgenoß, behagte ihr, ebenso die Gesellschaft, für welche sie die Dame des Hauses vorstellen durfte. Es waren lauter Gesinnungsgenossen, alle diese unnennbaren fragwürdigen Existenzen, die in einer Großstadt auftauchen, die nie arbeiten und immer genießen, Leute, an welche der Unternehmer durch irgend welche frühere Verbindung zweifelhafter Art gegen seinen Willen gefesselt war, Gimpel, welche er zur späteren Verwerthung in sein Netz ziehen wollte, Schmarotzer, die der Goldklang anzog, die mit tönendem Lob auf den Bierbänken zahlten.

Stefanelly hatte durchaus nicht im Sinne, bei dieser Gesellschaft zu bleiben, er wartete nur den geeigneten Augenblick ab, um das lästige Volk abschütteln zu können, das ihm wie einer Krankheit aus früherer Zeit anhaftete. Die ersten Kreise sollten in seinem Haus verkehren, der Anspacher selbst, der so verächtlich von ihm sprach, sollte erscheinen, und Loni würde auch für diese Leute zu wirthschaften wissen, davor war ihm gar nicht bange.

Hans hatte demnach das größte Interesse daran, daß seine Schwester den jungen Brennberg heirathete. Das junge Paar und den Alten dazu in das Haus zu bringen, war dann nicht mehr schwer, und machte einer den Anfang, so kamen die andern bald nach. Er hetzte Bertl, die offene Erklärung von Theodor zu fordern, er verstand es, dem alten Baron, mit welchem er täglich geschäftlich zu thun hatte, das Glück, die Bequemlichkeit einer neuen Häuslichkeit unter Führung einer ihn verehrenden Frau wie Bertha so verführerisch darzustellen, daß derselbe oft gern bei dem Gedanken daran verweilte.

Gegen Ostern stiegen die Aktien infolge verschiedener Gerüchte über eine bedeutende Vermehrung der hauptstädtischen Garnison, über Miethsteigerungen und Wohnungsmangel, über eine beabsichtigte große Ausstellung im kommenden Jahre zu einer noch nie dagewesenen Höhe.

Der „Herr Aufsichtsrath“ betrat, von Stolz geschwellt, abends den Klub, von allen Seiten ehrfurchtsvoll begrüßt, mit Schmeicheleien und Glückwünschen überhäuft. Der alte Vollblutadel der Stadt war nicht reich. Die meisten seiner Mitglieder lebten in verhältnißmäßig bescheidenen, sehr viele in geradezu beschränkten Verhältnissen. Diese spielten deshalb neben der jungen Geldaristokratie eine gedrückte Rolle, ein Umstand, der sich nirgends mehr fühlbar machte, als gerade hier im Klub, wo beide sich im Innern feindlichen Elemente zusammentrafen. Man machte sich auf der einen Seite ein grausames Vergnügen daraus, seinen Reichthum zu zeigen, durch üppiges Leben, rücksichtslose Verschwendung den Neid der weniger Glücklichen zu erregen, auf der andern Seite ließ man sich durch nichts imponiren, strengte seine Kräfte bis zum äußersten, oft bis zur Selbstvernichtung an, um nicht zurückzubleiben. Es war ein unedler, roher Wettkampf, der da am heftigsten wüthete, wo er mit den ungleichsten Waffen geführt wurde – am Spieltisch. Unter dem Schein einer falschen, ihren idealen Ursprung völlig verkennenden Ritterlichkeit wurde hier. den Warnungen vernünftiger Männer zum Trotz, mit einer Kaltblütigkeit, mit einer Größe im Ertragen schmerzvoller, ja tödlicher Wunden gekämpft, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.

In Herrn von Brennberg sah die Geburtsaristokratie einen leistungsfähigen Zuwachs ihrer Partei, der es mit den Gegnern in jeder Beziehung würde aufnehmen können. Leider erwies er sich aber in ihren Augen als ein Knicker, der nichts aus sich zu machen verstand und zum Spiele durchaus nicht zu bewegen war, als ein „Kibitz“, der die von ihnen theuer bezahlte Nervenaufregung als Zuschauer sich stahl.

Auch heute setzte sich Christian wieder an seinen gewohnten Platz am grünen Tisch und verfolgte mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen das außergewöhnlich hohe Spiel. Die Herren kamen eben von einem Festmahl zu Ehren des Landesfürsten und befanden sich in weinseliger Stimmung, auch war Baron Anspacher ausnahmsweise zugegen und hatte eine Aufforderung zum Spiele angenommen, – da durfte es nicht um Kleingeld gehen. Der Bankier gewann und verlor mit einem blasirten überlegenen Lächeln, man sah ihm an, daß er sich groß machte mit seiner Gleichgültigkeit. Das reizte immer mehr, und man griff schließlich zu einem gewöhnlichen Hazardspiel; Whist und l’Hombre gingen zu langsam, und es handelte sich doch für diese Herren nur um das blanke Gold, nicht mehr um die Kunst des Spieles. Anspacher war kein leidenschaftlicher Spieler und ließ sich erst nach langem Hin und Wider überreden. Dann aber gewann er immerfort mit unwandelbarem Glück, so sehr er sich auch absichtlich in Gefahr zu begeben schien. Dem alten Baron wurde es heiß

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_179.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)