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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ersichtlich ist, besitzt das Labellum bei i eine ziemlich weite Oeffnung, welche zum kleineren Theil von einem eigenthümlich gestalteten, in 3 besonders – von unten her betrachtet – abgebildeten Organ überdeckt wird, das der Träger der Narben (st) und der beiden, symmetrisch dazu gelegenen Antheren oder Staubbeutel (a a) ist.

Der obere schildförmige Theil a’ wird entwickelungsgeschichtlich als ein rudimentäres, verkümmertes, funktionslos gewordenes Staubgefäß aufgefaßt, die beiden andern Staubbeutel dagegen erzeugen reichliche Mengen von Pollen, dessen einzelne Körner (Zellindividuen) mit einer klebrigen Feuchtigkeit überzogen sind.

Die Narbe besitzt hier ausnahmsweise keinen Klebstoff.

Neben den beiden Staubbeuteln a a befinden sich zwei andere kleinere Oeffnungen im Labellum, deren eine im Durchschnitt in 2 sichtbar ist (ex). Rückwärts setzt die Narbe sich fort in das Ovarium oder den Fruchtknoten (ov), in welchem nach erfolgter Bestäubung die Samen sich entwickeln. Da die Ränder der Oeffnung i umgebogen sind, so stellt das Labellum eine Art konischer Falle vor, die nur durch die seitlichen Löcher ex sparsames Licht erhält.

Catasetum saccatum.

Sehen wir nun, wie diese Vorrichtung wirkt. Eine Gattung kleiner Bienen, Andrena, namentlich die A. parvula, gehört zu den Hauptbesuchern der Frauenschuhblüthe. Die gelben und purpurnen Farben der Blume locken den kleinen Honigsucher herbei, der süße Duft aus dem Innern zeigt ihm den einzuschlagenden Weg. Mit einiger Mühe hat das Thier den Eingang zum Nektarkeller bewerkstelligt, um sich vorläufig hier als – Gefangenen festgehalten zu sehen. Denn vergeblich versucht die Biene, nachdem sie von den erwähnten Tröpfchen geschlürft, denselben Weg zurück zu nehmen: die Wände ringsum sind viel zu glatt, um ein Aufklettern zu gestatten, zudem verschließt der umgebogene Rand die Eintrittsöffnung nur allzu sicher.

Was thun? Nachdem die Eingekerkerte sich längere Zeit vergeblich abgemüht hat, beschließt sie, dem schwachen. Lichtschein zu folgen, der von den kleinen Oeffnungen (ex) her in das Dunkel dringt, und in dieser Absicht unterstützt die Blüthe sie kräftigst. Denn die Behaarung des nach hinten führenden Wegs erleichtert dessen Verfolgen seitens der Biene in hohem Grade.

Dabei kann sie aber zweierlei nicht vermeiden: zuerst ein Anstreifen mit dem bepelzten Rücken gegen die Narbe (st), die etwas in das Labellum hinabgedrückt ist; sie überwindet das kleine Hinderniß und schickt sich nun an, durch eine der Kellerluken das Freie zu gewinnen. Dann aber muß das Insekt notwendigerweise unter einem der beiden Staubbeutel (a) durchkriechen und sich so mit dem leicht anklebenden Pollen desselben behaften. Wahrscheinlich kümmert aber diese Beschmutzung ihres Haarkleides die Biene ebenso wenig wie einen entsprungenen Gefangenen sein zerrissener Rock – genug, kaum von der einen Blüthe entlassen, sucht sie eine zweite auf, und das geschilderte Spiel wiederholt sich, – aber jetzt mit dem Unterschiede, daß die Narbe mit dem fremden, eingeschleppten Pollen beim Anstreifen belegt und so die Befruchtung eingeleitet wird.

Die Gattung „Franuenschuh“ stellt in ihrer einfachen Bestäbungseinrichtung wahrscheinlich annähernd den Urzustand der großen. Orchideenfamilie dar; weit umständlicher sind schon die

Verhältnisse bei der Gattung Orchis und leicht an den schönen rothen Blumen der weitverbreiteten Orchis maculata an Orchis mascula und Orchis pyramidalis zu beobachten. Hier, wie auch vielfach anderwärts. sind die Pollenkörner nicht lose, sondern zu gestielten Organen miteinander verbunden, den sogenannten „Pollinien“, die mittels besonderer Klebscheiben den besuchenden Insekten an den Kopf oder Saugrüssel, sogar auf die Augen sich heften, um nach andern Blüthen verschleppt zu werden, ein Vorgang, der bei den genannten Arten sich recht anschaulich durch Einführen eines spitzen Bleistiftes in den Blumenschlund nachahmen läßt.

Wir wenden uns nun einem recht verwickelten Beispiele zu, welches der in den Tropen heimischen Gruppe der Catasetideen, nach Darwin der merkwürdigsten aller Orchideen, entnommen ist. Die Gattung Catasetum enthält ausschließlich männliche Blüthenformen, da die Narbe durch allmähliche Verkümmerung im Laufe zahlloser Generationen funktionslos geworden ist; wir kommen weiter unten auf diese Eigenthümlichkeit zurück. Vorläuflg soll der Leser mit dem wunderbaren Bau der Blüthe von Catasetum saccatum bekannt gemacht werden. Unsere Abbildung derselben giebt in B eine Seitenansicht der Blüthe, von welcher die das besuchende Insekt bloß anlockenden, aber nicht unmittelbar mitwirkenden Kelch- und Blumenblätter abgetrennt sind.

Beginnen wir von unten herauf, so zeigt sich uns zuerst der rudimentär gewordene, schraubig gedrehte Fruchtknoten, an dessen oberen Ende die übrigen Blüthen- theile haften, nach links hin, horizontal ausgestreckt, das dem „Schuh“ des Cypropedium vollkommen entsprechende Labellum das unterste Blumenblatt. Es ist, wie man sieht, hohl und führt an der Oberseite eine große klaffende Oeffnung, die absonderlich gestaltet und an den Rändern von Leisten eingefaßt ist. Das Innere des Labellums erzeugt ebenfalls keinen eigentlichen Nektarsaft, aber die Wände der Höhlung bestehen aus einem fleischigen dicken Zellgewebe von süßlichem Geschmack und werden, wie dies hier gleich hervorgehoben sein mag, von den Insekenbesuchern benagt.

Das freie Ende der Lippe verläuft in ein seltsames, bartähnliches, gefranstes Anhängsel, das dem anfliegenden Thiere einen sichern Landungs- und Ruheplatz darbietet.

Senkrecht zum Labellum erhebt sich ein anderes, in dem einfachen Blütenbau des „Frauenschuhs“ nicht vorkommendes Gebilde. Es ist das „Säulchen“ (columna), ein in den verschiedensten Formen auftretendes und für die Orchideenfamilie charakteristisches Organ. In A ist es von vorn gesehen dargestellt. Der allgemeine Eindruck seiner Gestalt ist ein recht wunderlicher, die schöpferische Natur scheint hier seiner krausen Laune nachgegeben zu haben – wie wundervoll indeß dieser kleine Apparat arbeitet, wird sich alsbald zeigen. Verfolgen wir von dem spitzen Zipfel des Säulchens abwärts unsern Weg, so treffen wir bei a zuerst auf ein Paar kugeliger Vorwölbungen, hinter deren Wandungen sich die zu rundlichen Körpern der,. einigten Pollenmassen verstecken. Darunter liegt eine andere Kugelung pd, in welcher der gemeinsame Stiel oder Fuß der beiden Pollenkörper verborgen liegt, der in die etwas tiefer postirte

Klebscheibe (bei d) endigt. Ein derartiges Organ wird, wie schon bemerkt, Pollinium genannt. Wir haben dasselbe, losgelöst aus dem Gesammtverbande, nach besonders abgebildet. Die etwas

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_174.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)