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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

aufsuchen. Diese geflügelten Boten verschleppen die stark klebrigen Pollenstaubmassen der einen Blüthe auf die Narbe einer andern und bewirten dadurch die Fruchtbildung. Es blieb nichts anderes übrig, als diesen Vorgang durch die Uebertragung mittels eines feinen Pinsels künstlich nachzuahmen, und seitdem erzeugt die Pflanze auch auf Java die geschätzten aromatischen Schoten.

Bis zum Beginne dieses Jahrhunderts wußte man von der Pracht tropischer Orchideen so gut wie gar nichts. Erst durch A. von Humboldts und Bonplands berühmte Reisen in Süd- und Mittelamerika wurde eine eingehendere Kenntniß dieses Gebietes der Pflanzenkunde angebahnt. Die englischen Botaniker Brown und Lindley namentlich, in Deutschland Endlicher und

Cattleya citrina

Reichenbach, wandten den wunderbaren Blüthen ihr Interesse zu, aber erst Darwin gelang es vor beinahe dreißig Jahren, das Geheimniß der Orchideenblumen völlig zu enträthseln.

Während im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts etwa hundert Arten bekannt waren, zählt man heute über sechstausend, und noch werden alljährlich neue Formen entdeckt. Und nicht allein die feuchtheißen Urwälder der Tropen liefern ihren Beitrag, auch dort, wo niemand die farbenglühenden Blüthen mehr vermuthen würde, in den Anden, 4000 m hoch und darüber, gedeiht eine Anzahl Arten. Auch in Afrika birgt die kältere Hochlandsregion prächtige Orchideen, vor allem die herrliche brennendrothe Disa grandiflora vom Tafelberge.

Die nebenstehende Abbildung, einem Verzeichnisse der Landauer Firma Seeger und Tropp entnommen, führt uns eine schöne, beliebte Treibhaus-Orchidee vor, die auf Bäumen lebende Cattleya citrina mit ihren herrlichen leuchtend gelben Blumenglocken. Bei Phalaenopsis Schilleriana, von welcher wir ebenfalls eine Ansicht beifügen, fällt neben der wundervollen Blüthe die hübsche Zeichnung der Blätter angenehm ins Auge.

Die schönste aller bisher bekannten. Orchideen muß den Schilderungen derjenigen zufolge, welche Gelegenheit hatten, die Blume in ihrer Heimath zu sehen, die Sobralia macrantha sein. Diese herrliche Orchidee Süd- und Mittelamerikas, palmbaumschlank an Wuchs, sendet Schafte bis zu 6 m hoch empor, die über und über mit den großen rosigen Blumen vom köstlichsten Wohlgeruch bedeckt erscheinen. Einer Fee der bergigen Einsamkeit gleich, wiegt sie sich über dem jähen Abgrunde. So führt sie in erhabenster Umgebung, unberührt vom alltäglichen Getriebe, in stets sich erneuernder Frische und Schöne in der That ein Paradiesesleben, und „Flor del Paradiso“ nennen auch die Bewohner des Landes bewundernd die Blume.

Auf diesem naiven Standpunkte der Freude an Farben und Formen, nicht der Orchideen allein, sondern auch aller anderen blühenden Gewächse, verharrte die Mehrzahl der Botaniker vergangener Jahrhunderte. Die bunten Blüthen schienen einzig dazu da, das Auge des Menschen zu erfreuen – ob die glänzende Färbung nicht vielleicht auch zum Leben der Pflanze in irgend einer Beziehung stehen möchte, diese Frage tauchte unter den damaligen Forschern nur höchst vereinzelt auf. Warum schmücken die schlechthin „Blumen“ genannten Gewächse sich mit prächtigen Farben? Würden nicht etwa grünliche, den Laubblättern ähnliche Blüthen dieselben Dienste thun? Weshalb verhauchen viele von ihnen uns angenehme, andere wieder geradezu abscheuliche Düfte? Warum sondern solche Blüthen oft reichliche Mengen süßen Saftes ab? Einen bedeutungsvollen Versuch, diese und ähnliche Fragen zu lösen, unternahm vor nun, mehr beinahe hundert Jahren ein deutscher Botaniker, Christian Konrad Sprengel, Rektor zu Spandau (1750–1816), in seinem von großer Beobachtungsgabe und liebevoller Hingebung an den Gegenstand zeugenden Werke „Das entdeckte Geheimniß der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen“, Berlin 1793. Sein Forschereifer führte ihn bis hart an die Pforte des Blumengeheimnisses, diese selbst zu öffnen, war einem Größeren vorbehalten.

Charles Darwin hat zuerst, 1860, in dem umfassenden Werke „Ueber den Ursprung der Arten“ auf Grund zwanzigjähriger sorgfältiger eigener wie fremder Beobachtungen den Satz ausgesprochen, „daß kein organisches Wesen eine unbegrenzte Reihe von Generationen hindurch sich selbst befruchtet, sondern daß eine Kreuzung mit einem andern Individuum gelegentlich wenn auch vielleicht oft erst nach langen Zeiträumen – unerläßlich für das Fortbestehen der betreffenden Art ist.“ So zeigt sich bei den Blumen, daß die Befruchtung einer Blüthe mit dem Blütenstaub (Pollen) einer andern derselben Art kräftigere und keimfähigere Samen erzeugt, als wenn die Narbe jener Blüthe mit dem Pollen ihrer eigenen Staubgefäße (Antheren) belegt wird. In den weitaus meisten Fällen vermeidet sogar, um mich bildlich auszudrücken, die Natur mit aller Sorgfalt ein gleichzeitiges Reifen der männlichen und weiblichen Blumenorgane, um Eigenbestäubung nach Möglichkeit zu verhindernd. Demselben Zwecke dient auch die ganze Gestaltung der meisten Blüthen, im besonderen der Orchideen. Ja, hier geht in manchen Fällen die Abneigung der Natur gegen die Selbstbefruchtung so weit, daß der eigene Pollen einer Blüthe auf ihre Narbe wie ein tödliches Gift wirkt; sie verschrumpft, von ihm berührt, rasch und die ganze Blume stirbt ab!

Ist somit der Vortheil der Kreuzbefruchtung dargethan, so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_172.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)