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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

gerecht zu werden. Nennt ja ein Geschichtschreiber der späteren Zeit, wo es in den Köpfen der Gebildeten doch bereits tagte und die Ahnung von der Menschenwürde, der Gleichberechtigung der Sklaven die Schatten des Wahnes zu verscheuchen begonnen hatte, die Sklaven „gleichsam eine tieferstehende Menschenrasse!“

Wir haben den Spartacus am Vesuv verlassen. Er durfte mit seinem ersten Erfolge zufrieden sein. Ein römisches Corps von 3000 Mann, das sich die geplagten Bewohner der Landschaft zum Schutz erbeten hatten, besetzte den einzig benutzbaren Zugang zum Berg und glaubte, die Bande durch Hunger mürbe machen zu können. Plötzlich aber sah es sich in seinem Lager überrumpelt und nahm, mehr vom Schrecken als vom Feinde übermannt, nach allen Seiten hin Reißaus. Die Sklaven hatten sich mit Todesverachtung – sie hatten ja nichts als ein elendes Leben zu verlieren – bis auf den letzten Mann über jähe Abhänge heruntergelassen; die Leitern zu diesem Wagestück waren aus wilden Reben geflochten. Für Spartacus war dieser Sieg ein ungeheurer Erfolg – aus seiner Bande wurde in kurzer Zeit ein Heer, das trotz mangelhafter Ausrüstung den Römern bereits auf freiem Feld die Stirn bot, und wiederum mit Glück. Der Prätor Varinius, der mit einem regelrechten Heere in Campanien eingerückt war, hatte nicht bloß mit dem Feinde, sondern mit der Feigheit und Unbotmäßigkeit seiner eigenen Leute zu kämpfen. Eine Abtheilung seines Heeres wurde von den Sklaven überrumpelt und zersprengt, der Befehlshaber war im Bade überrascht worden und mit Mühe der Gefangenschaft entgangen, um bald darauf im Treffen zu fallen. Der Höchstkommandirende, Varinius, hatte keinen besseren Erfolg, bloß daß er mit dem Leben davonkam, aber auch dies nur mit genauer Noth, denn seine Liktoren und sein Pferd fielen in die Hände des Feindes; die entscheidende Schlacht, in welcher er sich bereits einem an Zahl mindestens ebenbürtigen Heere gegenübersah, wurde zu einer vollständigen Niederlage.

Mehr und mehr schwoll das Heer des Spartacus an; – er war für Tausende und Abertausende zum Erlöser geworden. Jetzt erachtete er den Augenblick für gekommen, durchzubrechen, aber die unselige Verblendung seiner Leute trug über die bessere Einsicht des Führers den Sieg davon.

Schon jetzt bekam die Einheit einen Riß; die Germanen (Kelten?) machten sich unter Anführung eines gewissen Krixus vom Hauptheere los und zogen ihre eigenen Wege – ins Verderben. Am Garganusgebirge in der Landschaft Apulien wurden sie von den römischen Truppen eingeholt und bis auf ein Drittheil aufgerieben. Was mit den Ueberlebenden geschah, verlautet nicht; jedenfalls wurde kein Gefangener verschont; die Römer verfuhren in diesem Kriege, der ja in ihren Augen solchen ehrlichen Namen nicht einmal verdiente, ebenso summarisch als grausam: sie schlugen die Gefangenen, nach bestehendem „Brauch“, ans Kreuz, und die Sklaven hielten Gegenrecht. Spartacus brachte dem Andenken des gefallenen Bandenführers Krixus, obschon dieser sich von ihm losgesagt hatte, Menschenhekatomben: dreihundert gefangene Römer fielen als Opfer bei dem Leichenspiele! Auch damit vergalt er gleiches mit gleichem, denn den Manen der römischen Großen bluteten ja der Sitte gemäß die Gladiatoren im Zweikampf.

Das durch den Wegzug der Kelten und Germanen geschwächte Heer des Spartacus ergänzte sich indessen wieder durch stets erneuten Zuzug, und auch das Glück blieb dem Führer treu. Es folgte ein Sieg auf den andern über regelrechte Römerheere, und als es ihm gelungen war, über den Apennin vorzudringen und den Statthalter des „diesseitigen Galliens“ (das heißt des nördlichen Italiens) nachdrücklich aufs Haupt zu schlagen, war der Freiheit eine Gasse gebrochen, ja mehr als eine! Aber das Ungestüm seiner Banden drängte Spartacus auf den Weg nach Beute, nach Rom.

Damit war der Anfang vom Ende gegeben. Zwar wenn er wirklich über ein „Heer“ von 120000 Streitern geboten hätte, wie ein Geschichtschreiber fabelt, so wäre trotz mangelhafter Bewaffnung und trotz Indisciplin ein Erfolg immerhin noch möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich gewesen – stand doch selbst Hannibals kühner Geist unter günstigeren Umständen von diesem Wagniß ab! Aber jene Angabe ist eine Uebertreibung ins Maßlose, wie überhaupt die Ungenauigkeit bei Zahlenangaben eine Eigenthümlichkelt der ganzen antiken Geschichtschreibung ist. Dagegen kommt bei Spartacus ein Charakterzug zum Vorschein, der von ungewöhnlicher Einsicht zeugt: sein weitschauender Blick ließ ihn ahnen, daß die größte Gefahr für sein Unternehmen in der Habsucht und Beutegier seiner Bande lag; darum hatte er nach Einnahme der reichen See- und Handelsstadt Thurii dafür gesorgt, daß seine Leute kein edles Metall, sondern nur Eisen und Kupfer in die Hände bekamen.

In Rom machte man, als die Lage nun selbst für die Hauptstadt kritisch geworden war, außergewöhnliche Anstrengungen. Der Ehrgeiz nach Kriegslorbeeren war verraucht, denn die bisherigen Heerführer waren, wenn überhaupt, ohne solche zurückgekehrt! Marcus Crassus, der eine der Prätoren, mußte als Feldherr mit außerordentlichen Vollmachten ausgerüstet werden; nach seiner Vereinigung mit den schon im Feld stehenden Truppen der Konsuln zählte sein Heer nicht weniger als acht Legionen, das heißt gegen 50000 Streiter.

Crassus hatte bisher wenig Gelegenheit gehabt, als Heerführer zu glänzen; aber er kannte doch, wie die meisten römischen Großen, das Kriegshandwerk aus eigener Praxis und rechtfertigte jetzt das in ihn gesetzte Vertrauen vollkommen. Möglich, ja wahrscheinlich, daß man seine Kriegstüchtigkeit unterschätzt, wenn man sie nach seinen späteren Mißerfolgen gegen die Parther beurtheilt: das war ein Kampf „mit des Geschickes Mächten“ wie der Napoleons in Rußland, und Napoleons Lorbeer ist weder durch den Brand Moskaus noch durch die Schneestürme der russischen Steppe im mindesten versehrt worden. Crassus trat sofort mit eiserner Strenge auf. Eine Abtheilung, die sich unter dem Unterfeldherrn Mummius feig gezeigt hatte, ließ er dezimiren, das heißt, er ließ jeden zehnten Mann hinrichten. Es gelang ihm dann – wir wissen freilich nicht wie – den Spartacus von der nördlichen Richtung weg gegen Süden zu drängen, dem Meere zu. Die Lage des Sklavenführers muß jetzt schon eine bedenkliche gewesen sein, sonst hätte er schwerlich den Plan gefaßt, einen Theil seiner Mannschaft nach Sicilien zu werfen, um dort den Feuerbrand, der vom letzten Sklavenaufstand her unter der Asche noch immer fortglomm, zur neuen Flamme zu entfachen. Kilikische Seeräuber, die dort kreuzten, sollten gegen eine Summe Geldes den Transpart besorgen. Der Plan war gut: wenn er glückte, so waren die Römer zu einer Theilung ihrer Streitkräfte gezwungen. Aber er scheiterte an der Treulosigkeit der Piraten; diese nahmen das Geld an, die Mannschaft aber nicht auf und segelten von dannen. Hatte Crassus hier die Hand im Spiele gehabt und den Verrath „honorirt“? Er war ja der reichste aller Römer! Sein Grundbesitz, seine Unternehmungen und Fabriken, worin Tausende von Sklaven beschäftigt waren, seine Kapitalien, deren Zinsen das Doppelte und Dreifache der heute geltenden Rente abwarfen, brachten ihm Jahr für Jahr riesige Summen ein. Es verlautet zwar nicht, daß er von seinem Ueberfluß großmüthig gespendet habe; wenn er aber gegen die Korsaren freigebig gewesen ist, so geschah dies ja auch in seinem Interesse. Was er jetzt unternahm, um dem Feind den Rückweg nach dem mittleren und nördlichen Italien zu versperren, war ein großartiges Werk: er zog da, wo die Halbinsel am schmalsten ist, zwischen dem Tyrrhener Meer und dem Tarentinischen Meerbusen einen Wall von dem einen zum andern und einen Graben, 15 Fuß hoch und ebenso breit, in einer Längenausdehnung von 300 Stadien, das heißt ungefähr 7 geographischen Meilen! Diese zu erstürmen konnte dem Spartacus nicht einfallen, er mußte suchen, in aller Stille und unbeachtet hinüberzukommen.

Die Natur kam ihm zu Hilfe. Im Schneegestöber einer Winternacht gelang es ihm, eine Strecke des Grabens auszufüllen und seine Mannschaft, wenigstens zum Theil, hinüberzuschaffen. Jetzt war es Crassus, der ins Gedränge kam, so sehr, daß er vom Senat dringend einen Nachschub großer Heeresmassen verlangte.

Da kam unverhofft Unterstützung von ganz anderer Seite her, als er sie erwartet hatte: aus dem Lager der Feinde. Wiederum die alte Uneinigkeit und wiederum die Germanen und die Kelten, die sich zu einem Sonderbund unter eigenen Anführern zusammenthaten! Die Strafe für diesen Abfall ließ nicht auf sich warten. Zwar am „Lucanischen See“ erschien Spartacus gerade noch zu rechter Zeit, um die Abtrünnigen vom Untergang zu retten, in einem zweiten mörderischen Treffen aber, wo es dem Crassus gelungen war, sie mit seiner ganzen Heeresmacht zu fassen, wurden sie bis auf den letzten Mann zusammengehauen: 12300 Mann stark fielen sie an Ort und Stelle, wo sie gestritten hatten, nur zwei hatten den Rücken gewandt und den Todesstreich von hinten erhalten. Spartacus übte zwar Vergeltung, indem

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