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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Innen herrschte bald eine beängstigende stickige Luft, so daß Maiberg ohne weiteres ein Fenster zur Hälfte herunterließ. Antje hatte sich fest, ganz fest in ihre Ecke geschmiegt und den Mantel eng um sich gezogen.

Wer wollte da mit in das Heiligthum ihres Hauses, wollte in den Zimmern athmen, die ihr gehörten? Was würden die klaren Augen ihres Kindes sehen müssen?

Sie zitterte am ganzen Körper, als sie über die Schwelle des Kinderzimmers schritt. „Um Gott,“ rief die alte Classen, die Wacht gehalten hatte am Bettchen der Kleinen, „wie schauen Sie aus!“ Antje hatte beim Eintritt in das warme dämmernde Zimmer des Lieblings den Pelz abgestreift und war niedergekniet vor dem schlummernden Kinde.

„Gehen Sie zu Bett!“ bat die Alte, „Sie haben das Fieber, gnä’ Frau!“

„Ja gleich, liebe Classen, nur will ich erst noch – – hole die Minna, wir müssen ein Zimmer herrichten – wir haben Besuch.“

„Du meine Güte, es muß ja zwei Uhr sein!“

„Ja, das kommt wohl so vor!“ Und Antje holte den Schlüsselkorb und stieg die Treppe hinunter zu dem Wäschespind. Im Speisezimmer hörte sie Leos Stimme; sie klang heftig und gereizt.

„Ich hätte Sie nicht für so unbesonnen gehalten, Hildegard,“ schalt er, „was dachten Sie sich bei dieser Sache? Wollten Sie mich etwa ärgern? Was sollte es sein? In welche Lage bringen Sie sich und mich!“

Antje ging zur Thür hinüber und öffnete sie ein wenig. „Bitte, Leo, sprich leiser,“ sagte sie ruhig.

Hilde saß mit bleichem, aber lächelndem Gesicht auf der Kante eines Stuhles, das Taschentuch in den Händen windend. „Es war ein Scherz,“ sagte sie und hob die Schultern.

„Sie müssen sich noch etwas gedulden, Fräulein von Zweidorf,“ sprach Antje, zu dem Mädchen gewendet, „die Stube ist noch kalt, aber bald soll alles in Ordnung sein.“

Und sie händigte dem Stubenmädchen die Wäsche ein, befahl ihr, sich zu beeilen, und versprach, Hilde mit Kleidern auszuhelfen, bis ihre Sachen geholt sein würden. Sie begleitete dann später den Gast selbst in das trauliche Zimmer, ihm in Gegenwart der Dienerin angenehme Ruhe wünschend.

Sie selbst hatte keine. Schlummerlos lag sie die ganze Nacht und lauschte auf das Wehen des Windes und das Knarren der Aeste draußen in den hohen Bäumen, auf das Hin- und Herwandern ihres Mannes nebenan. Wenn er jetzt gekommen wäre, freundlich mit ihr gesprochen hätte über das Geschehene, wie gern würde sie ihm alles geglaubt haben; aber auch jetzt machte er nicht einmal den Versuch einer Aufklärung.

Er hatte vorgegeben, nicht müde zu sein; aber Antje wußte, er wollte nur allen Erörterungen aus dem Wege gehen. Sie hörte, wie er sich endlich auf ein Sofa warf und eine Weile nachher, als er sie eingeschlafen glaubte, hereinkam. Ihre Hand zuckte, sie hätte sie ihm so gern hinüber gereicht und gebeten: „Habe Vertrauen zu mir, Leo, laß es so nicht weiter gehen!“ – doch sie fand nicht den Muth dazu.

Aber auch Hilde schlief nicht. Sie hätte so gern geweint und fand doch keine Thränen, sie war so arm geworden in dieser Weihnacht. Sie war empört und gedemüthigt bis aufs äußerste, und sie haßte diese junge Frau, die an einer Stelle stand, die ihr gebührte.

Die Baronin hatte es im Wagen der Nichte erzählt, als sie mit Hilde vom Atelier wegfuhren; sie hatten französisch gesprochen in dem Glauben, Hilde verstehe das nicht, sie, deren Mutter doch eine Französin war. Im höchsten Grade unbedeutend sei diese Frau, hatte die Baronin gesagt, unbegreiflich, daß ein so reizender Mensch wie Jussnitz sie habe wählen können! Natürlich habe es sich auch gerächt, sie lebten elend nebeneinander her; man sehe ja, wie ihn dies Phlegma, verbunden mit den engsten und einfältigsten Ansichten, nervös mache bis in die Fingerspitzen. Das einzige, was ihn noch an seine Frau fessele, sei ihr Geld – armer Mensch! –

„Armer Mensch!“ sagte jetzt auch Hilde halblaut und rang ihre zitternden Finger ineinander. Dann aber ballte sie die Hand zur Faust und aufschluchzend rief sie: „Schlecht ist er, so schlecht! – O, ich einfältiges, thörichtes Geschöpf!“ Und sie erschrak vor dem Tone ihrer eigenen Stimme.




„Fräulein von Zweidorf hat Kopfschmerzen,“ meldete das Stubenmädchen am andern Morgen, als man sich etwas später als sonst zum Frühstück im Speisezimmer zusammenfand.

Antje ließ fragen, was man ihr zum Frühstück bringen dürfe, ob Thee oder Kaffee. Die Antwort lautete, Fräulein von Zweidorf danke für alles.

Antje hatte eben den Thee bereitet und füllte dem Doktor Maiberg und Leo die Tassen. Sie stand an dem Tischchen, das den silbernen Kessel trug, in einem sehr einfachen Morgenkleide aus dickem weißen Lodenstoff, und die Wintersonne, die in breiten Streifen durch die Fenster fiel, umgab die lichte Gestalt mit einem blendenden Schimmer. Sie hatte den Herren eben noch den Rücken gewandt, nun kam sie herüber und nahm Platz zwischen ihnen.

„Du hättest wohl die Pflicht, nachzusehen, wie es Fräulein von Zweidorf geht?“ sagte Leo ungeduldig, „sie scheint doch krank zu sein.“

„Ich war vorhin schon bei ihr,“ erwiderte die junge Frau, „sie ist nicht krank, sie ist nur sehr erregt. Auf alle meine Fragen bekam ich die Antwort, man solle ihre Kleider von der Tante holen lassen, sie wolle mit dem nächsten Zuge abreisen.“

„Abreisen?“ fragte Leo, und das geröstete Brot zerbrach in seinen Fingern. „Wohin?“

„Zu ihren Eltern, meinte sie.“

„Das ist ja sehr erfreulich für mich und mein Bild,“ erklärte er. „Und was sagtest Du, wenn ich fragen darf?“

„Ich redete ihr zu, doch vorerst eine Aussöhnung mit ihrer Tante zu versuchen –“

Jussnitz verzog sein Gesicht.

„– aber sie gerieth in eine förmliche Empörung über diese Zumuthung,“ fuhr Antje fort, „nannte ihre Verwandte eine ganz ungebildete Person, von der sie tödlich beleidigt sei, und bat sich dann Feder und Tinte aus, um an ihren Vater zu schreiben.“

„Ich werde nachher zu der biedern Frau Polly fahren,“ erklärte Leo. „Hilde hat recht, sie kann nicht wieder zu ihr, die Ungezogenheit heute nacht hatte einen sehr starken Stich ins Waschweiberhafte! Abreisen aber darf deshalb Fräulein von Zweidorf nicht, mein Bild soll nicht unter ihrem kindischen Trotz leiden. Darum habe die Güte, Antje, noch einmal zu ihr hinauf zu gehen und sie einzuladen, daß sie unser Gast bleiben möge bis – – nun, wir werden ja sehen. In einer Stunde fahre ich – Maiberg, Du kommst doch mit? – Also, Antje, ich möchte eine endgültige Antwort haben.“

Antje hatte an ihm vorüber gesehen; das silberne Löffelchen in ihrer Hand zitterte leise. „Ja!“ antwortete sie dann, als Leo fertig war.

„Du darfst natürlich nicht das Bild als Hauptsache angeben,“ fuhr er belehrend fort, „Du sagst eben nur, wie sehr wir uns freuen würden, sie einige Zeit hier zu behalten; hast Du verstanden?“

Diesmal antwortete Antje nicht. Sie erhob sich, nahm ihren Schlüsselkorb und verließ das Zimmer.

„Deine Frau sieht recht blaß aus,“ bemerkte Wolf.

„Das thut sie immer, wenn ihr irgend etwas nicht paßt; ich habe mich daran gewöhnt, es nicht mehr zu sehen.“ Und Leo nahm die Zeitung, und den Rauch seiner Cigarre behaglich einziehend, fügte er hinzu. „’s ist im Grunde eine unglaublich komische Geschichte; man kann es nicht ausdenken, was Frauen alles erfinden, um sich gegenseitig zu ärgern. Der ganze Streich der Erlach ist eigentlich gegen Antje gerichtet – na, sie hat sich diesmal noch mit leidlichem Anstande aus der Patsche gezogen.“

„Mit leidlichem Anstande? Sie hat sich benommen wie eine richtige, wackere Frau, die sie auch ist,“ versetzte Maiberg und gab dabei seiner Theetasse einen ärgerlichen Stoß. Er dachte an Leos Worte von gestern abend, die ihm verboten, beständig neben Antje zu stehen, und er wurde roth gegen seinen Willen. Dann erhob er sich. „Mit Deiner gütigen Erlaubniß,“ sagte er sehr ruhig, „werde ich nicht mit nach Dresden fahren.“

„Weshalb denn nicht? Wir wollten im Englischen Garten mit Barrenberg frühstücken.“

„Ich danke Dir – ich habe wirklich nicht Lust, mich schon wieder unter fremde Leute zu stürzen.“ Und mit einem sehr ernsthaften Ausdruck seiner blauen Augen nahm er dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_150.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)