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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Die spitzen Worte kühlten mit einem Male in Berthas Brust die Begeisterung für die Räthin, und an die Stelle der flammenden Dankbarkeit trat der heiße Wunsch diese Frau sammt ihrer Tochter zu beschämen.

*  *  *

In dem Zimmer der Frau Köhler herrschte fieberhafte Thätigkeit. Sie war mit ihren zwei Töchtern ganz in den Dienst Berthas gestellt.

Der Registrator Köhler, ein hoffnungsvoller Beamter, war nach zehnjähriger glücklicher Ehe das Opfer einer Epidemie geworden und hatte seine Frau mit zwei Töchtern in den dürftigsten Verhältnissen hinterlassen. Ein schwerer Lebenskampf begann. Das eine der beiden Mädchen, Lili, litt noch dazu an einer Verkrümmung des Rückgrates und war nur mit der sorgsamsten Pflege über die Kinderjahre hinwegzubringen gewesen. Trotzalledem verlor die entschlossene Frau weder Muth noch Stolz und rang sich mit ihrer Hände Arbeit durch, bis die zwei Mädchen mit erwerben konnten. Jetzt hatte sie, Dank den eifrigen sechs Händen, mit Nahrungssorgen nicht mehr zu kämpfen, aber ein bitteres Weh saß ihr in der Brust, denn die freudlose düstere Jugend ihrer Mädchen ging ihr schwer zu Herzen.

Lili machte ihr in dieser Beziehung weniger Kummer, ihr körperliches Leiden hätte sie von vornherein von den Freuden der Welt mehr oder minder ausgeschlossen, und sie zeigte auch keinerlei Sehnsucht danach. Mit immer heiterem Sinn trug sie ihr hartes Los unermüdlich, unbeirrt, mit inniger Liebe an der Mutter hängend. Aber die ältere, Therese! Sie war ein bildhübsches, stattliches Mädchen, und sie konnte dem Mutterauge die gewaltsam unterdrückte, stetig wachsende Sehnsucht nach Glück und Freude, die in jeder jungen Brust keimt, nicht immer verbergen.

Frau Köhler versuchte ja alles, um diesem natürlichen Gefühl ihrer Tochter gerecht zu werden, aber was konnte sie thun bei rastloser Arbeit, ohne den Schutz eines Mannes? Die sommerlichen Sonntagsausflüge, der vereinzelte Besuch eines Theaters trugen eher dazu bei, den Drang nach Freiheit und berechtigtem Lebensgenuß in Theresens Innerem zu verstärken, als daß sie ihn gestillt hätten.

Es war der letzte Abend vor dem Beamtenballe, auf welchem Bertl an der Frau Räthin Stürmling und ihrer Tochter Irma Seite ihren Eintritt in die große Welt feiern sollte. Bertl war in der Stadt, die letzten Einkäufe zu besorgen, nach ihrer Rückkehr sollte Generalprobe sein, und noch war nicht alles fertig. Die drei Frauen arbeiteten unermüdlich, kein Wort wurde gesprochen. Die Nähmaschine klapperte, die Stoffe rauschten unter den fleißigen Händen.

Lili summte leise ein Lied, während sie Mohnrosen formte. Frau Köhler blickte während der Arbeit forschend auf Therese, die oft schwer aufseufzend die dunkelbraunen Haare aus der Stirn strich. Die Arbeit brannte unter ihren Fingern – wenn sie das alles für ihre Therese machen dürfte! Sie fühlte es, daß das junge Mädchen auf demselben Gedankengange sich befand. Bertha, die Tochter dieser ungebildeten Frau Margold, ging morgen auf den Beamtenball, wurde dort gefeiert, und Therese, die Tochter eines Beamten, ebenso schön, ebenso freudebedürftig, mußte unterdessen am Nähtische sitzen! Es war nicht Neid, was sich in ihr regte, sie hatte Bertha, das offenherzige schöne Kind, wirklich gern, und auch die derbe Ehrenhaftigkeit der Frau Margold wußte sie zu schätzen, aber sie litt unter ihrer Lage wie unter einem ihr widerfahrenen Unrecht, sie empfand einen Haß gegen das Schicksal, das sie so vernachlässigte, einen Widerwillen gegen diese Räthin Stürmling, die ihr, der armen Standesgenossin, unbedingt abgeschlagen hätte, was sie Frau Margold aus unlauteren Gründen, wie sie richtig ahnte, genehmigte. Für sich verlangte sie ja nichts mehr von diesem Leben. Das stolze Bewußtsein, sich ehrenhaft durchgerungen zu haben, genügte ihr vollkommen. Sie hatte die Arbeit lieb gewonnen, fand für sich eine Freude darin und sehnte sich durchaus nicht danach, in die alten Kreise zurückzukehren, die sie im Unglück nicht mehr gekannt hatten; ihre Tochter Therese dereinst von einem tüchtigen Handwerksmann, welchem Fache er auch angehöre, heimgeführt zu sehen, war ihr innigster Wunsch. Darum billigte sie auch nicht das Streben Bertls, aus ihrem Stand herauszukommen, sie verwarf entschieden deren Verhältniß zu Theodor von Brennberg und machte daraus weder Bertl selbst noch ihrer Mutter gegenüber ein Hehl.

Der Sohn des Schlossermeisters Bergmann im Hinterhause, ein hübscher tüchtiger Mann, hatte, wie Frau Köhler nicht entging, ein Auge auf Therese geworfen, und auch diese schien ihm nicht abhold. Aber es machte den Eindruck, als sei sie stark von Bertl beeinflußt, als schäme sie sich vor ihr der aufkeimenden Neigung zu dem jungen Schlosser, seit sie wußte, daß ein Offizier, ein Herr von Brennberg, gewissermaßen Bertls Verlobter war.

„Das gute Fräulein Bertha wird sich auch täuschen,“ begann plötzlich die Registratorswitwe, ihre Arbeit unterbrechend, „trotz aller Toilette wird man doch dahinter kommen, wer sie ist; gerade weil sie schön ist, wird man nicht ruhen mit Fragen und Forschen – und dann nutzt es ihr alles nichts, das Gärtnerkind werden sie nicht dulden.“

„Das sag’ doch nicht, Mutter,“ entgegnete Therese, ihr brünettes, fein geschnittenes Gesicht mit den rehbraunen Augen erhebend. „Du sprichst noch von Deiner Zeit; heutzutage fragt kein Mensch danach. Wenn ein Mädchen schön ist und wohlhabend wie Bertl, dann ist alles ganz recht. Das gefällt mir von unserer Zeit, daß sie keine so schroffen Unterschiede mehr kennt; das Kind eines Gärtners zu sein ist doch keine Schande!“

In Frau Köhlers Auge blitzte es freudig auf.

„Gewiß ist es keine Schande, aber eben deshalb soll man es auch nicht zu verbergen suchen, daß man ein Gärtnerskind ist, und sich nicht in einen andern Stand unter dem Mantel einer Frau Stürmling eindrängen, in einen Stand, wo man noch immer dieselben Vorurtheile hegt wie früher, nur mit dem Unterschiede, daß man einem schönen Gesicht und einer guten Mitgift zuliebe seine Grundsätze leichter verleugnet. Ein tüchtiger Handwerksmann, der die Hände zu rühren weiß, der sein Geschäft versteht, der lacht sie doch alle aus, die Herrschaften mit ihren unzähligen Bedürfnissen, die in keinem Einklang stehen zu ihren Einnahmen, mit ihrem kummervollen Scheinleben, zu dem sie verdammt sind. So eine Meisterin wie die Bergmann zum Beispiel, glaubst Du, die würde mit der Frau Räthin tauschen? Die wäre schön auf den Kopf gefallen! O, das Glück sieht oft recht rußig und garstig aus und das Unglück recht schön und glänzend, merke Dir das, Therese!“

Das Mädchen erröthete tief und beugte sich wieder über die Arbeit.

„Ei, da bin ich ja am Ende ein Glückskind!“ sagte lachend Lili.

„Du bist es auch,“ entgegnete die Mutter, „weil Du zufrieden bist mit Deinem Los und unter Dich, nicht über Dich blickst. Darin liegt das ganze Geheimniß.“

In diesem Augenblick trat Bertl ein mit der Frau Stürmling, welche Musterung halten wollte, ob ihr Schützling morgen auch ihrer würdig gekleidet sein würde. Die Räthin grüßte Frau Köhler und die Mädchen mit einem mitleidigen „Guten Abend“ und bat dann Therese, das Kleid Bertls anzuziehen, damit sie und Bertl den Gesammteindruck kennenlernten.

Verdrossen zögerte Therese; sie war keine Probirmamsell. Aber die zärtliche Bitte Bertls bestimmte sie, nachzugeben.

Therese sah reizend aus in dem duftigen meergrünen Gewande, das ihren Nacken, ihren feingeformten Arm frei ließ; trotz des peinlichen Gefühles, das sie empfand, betrachtete sie sich selbst mit Wohlgefallen in dem Spiegel. Frau Köhler aber trat das Wasser in die Augen beim Anblick ihres schönen Kindes, das sie noch nie in solchem Schmuck gesehen hatte.

Bertl schlug das Herz mächtig; wie mußte sie sich erst darin ausnehmen in der vollen Beleuchtung eines Ballsaales! Der Sieg konnte ihr nicht fehlen.

Die Räthin war sichtlich verdutzt. Solchen Geschmack hatte sie Bertha, dem Gärtnerskind, doch nicht zugetraut, und trotz aller Ausstellungen, die sie machte, mußte sie ihre Zufriedenheit doch bekennen. Der Gedanke kam ihr, daß sie eine große Unvorsichtigkeit begangen habe. Bertha würde noch schöner aussehen als dieses Mädchen und ihre bleichsüchtige magere Irma gänzlich in den Schatten stellen – nein, nicht nur Irma, auch am Ende sie selbst, die sieggewohnte Frau Räthin! Das war denn doch zu viel verlangt für den Aufschub der Miethe um einen Monat.

Indessen es gab keinen Ausweg mehr und Frau Räthin mußte sich wieder mit dem Gedanken trösten, daß es doch schließlich auf das Auftreten ankomme. Aber die Prüfung von Bertls Ballstaat noch lange auszudehnen, daran hatte sie kein Interesse mehr. Sie entschuldigte sich: das Hämmern und Kreischen aus der Schlosserwerkstätte greife ihre Nerven an, und drückte ihre Bewunderung

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